„Der Mensch glaubte dem Wort“

 

(3.Sonntag nach Epiphanias)

 

 Johannes Ev. 4, 46-54

 

 

„Der Mensch glaubte dem Wort“. Ich würde sagen, dieser Satz, der im heutigen Predigttext steht, ist schon ein Wunder. „Der Mensch glaubte dem Wort“; für ein Wunder brauchen wir dann drei Elemente: ein Mensch, das Wort und den Glauben. In diesem Sinne ereignet sich ein Wunder, wenn ein Mensch dem Wort glaubt.

 

Andererseits merken wir, dass im Gegensatz zur anderen Evangelien hier im Johannes Evangelium das Wort Zeichen benutzt wird und nicht Wunder. Ein Zeichen [σημεῖον, say-mi'-on] ist das, was etwas anderes bezeichnet. Das heißt, für einen Zeichen brauchen wir den, der das Zeichen sieht, das Zeichen selbst und die Wahrheit, die das Zeichen offenbart. Das erfährt man zum Beispiel, wenn man einen Ehering sieht, der von einer Ehe zweier Menschen erzählt.

 

Die Zeichen im Johannes Evangelium weisen auf die göttliche Natur Jesu und seine Mission hin für alle, die offen sind, sie zu sehen. Die Zeichen heben die Identität Jesus hervor. Es ist sogar möglich zu sagen, dass Jesus selbst als Zeichen im Evangelium wirkt; ein Zeichen das Gott bezeugt. Ganz am Anfang des Evangeliums lesen wir: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. ... In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.“ Das Wort „Wort“ bedeutet auf griechisch Logos und es hat eine vielfältige Bedeutung, dazu gehört: „Grund“, „Sinn“, „Weisheit“, „schöpferisches Prinzip“. Aber „Logos“ ist auch das, was etwas offen legt. Jesus ist der Offenbarer, der den unsichtbaren Gott den Menschen zu erkennen gibt. Das macht er aber im Johannes Evangelium mit etwas Zurückhaltung. Hier lesen wir, dass Jesus den Mann fast schon zurechtweist: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Das erinnert uns an das erste Zeichen im selben Evangelium, das Jesus in Kana getan hat, nämlich als er Wasser in Wein verwandelt hat. Davor hat er zu seiner Mutter tadelnd gesagt: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Vielleicht können wir daraus schließen, dass Jesus nicht so ein Mensch war, der seine Kraft oder Fähigkeiten zur Schau stellen wollte. Oder vielleicht wollte er nicht, dass die Menschen nur die Wunder um der Wunder willen erwarten und dann seine Mission, ein Zeichen für Gott zu sein, nicht erfüllt wird. Es kann auch sein, dass er wusste, dass das wahre Zeichen nur durch seinen Tod und seine Auferstehung den Menschen gegeben wird.

 

Ich würde gerne heute mit Ihnen über den Satz „Der Mensch glaubte dem Wort“ nachdenken. „Der Mensch glaubte dem Wort“. Wer ist dieser Mensch? Vom Text wissen wir, dass er aus Kapernaum kam und dass er ein königlicher Beamter war. Das heißt, dass er im Dienst des Königs stand. Wir wissen nicht, ob er ein Jude oder Heide war. Wahrscheinlich war er ein reicher Mann, der viel tun konnte, der über andere Menschen, sogar über Knechte, regierte. Er war aber haupsächlich ein Mensch, der eine Familie hatte, der Träume hatte, der enttäuscht wurde, der sich fürchtete und der Todesangst hatte. Wir können auch vermuten, dass dieser königliche Beamten in seinem Leben gelitten hat, und sich immer wieder über bestimmte Gaben gefreut hat. Wir können aber sehr klar im Text sehen, dass dieser Mann ein Vater war und er an einem großen Schmerz litt. Jetzt können wir uns eine Familie vorstellen, die einen 12- oder 13-jährigen Sohn hatte, der todkrank war. Wir können uns vorstellen, dass die Eltern alles tun würden, um ihrem Sohn zu helfen. Dieser königliche Beamte liebte seinen Sohn wie jeder von uns seinen Sohn oder seine Tochter liebt. Er liebte seinen Sohn so sehr, dass er von Kapernaum bis nach Kana gekommen ist, um Jesus zu bitten, herabzukommen und seinem Sohn zu helfen; denn der war todkrank. Demzufolge, können wir sagen, dass dieser Mensch auch ein gläubiger Mensch war, der nicht nur glaubte und hoffte, sondern auch seinen Glauben praktizierte.

 

 

Sie sehen, es ist immer möglich in einer Geschichte, sogar in einem Ereignis oder einem Gespräch, einen Menschen zu erkennen. Allerdings können wir nicht alles über einen Menschen wissen. Wir können nie einen Mensch ganz und gar kennen, nicht einmal uns selbst. Gott hat den Menschen—jeden Menschen—nach Gottes Bild gemacht. Wir glauben, dass Gott auch ein Mensch geworden ist. Das heißt, dass ein Jeder von uns in seinem Innersten unbeschränkte Würde und das Potential, Gott näher zu kommen, trägt. Wenn wir noch was über diesen Mensch sagen können, würde ich sagen, dass er ein offener Mensch war. Er war offen für Gott und für die Wunder des Lebens. Für ein Zeichen brauchen wir einen Mensch, der offen für Gott und für das Leben ist.

 

„Der Mensch glaubte dem Wort“. Das Verb „glaubte“, im Präteritum, kommt zweimal in unserem Text vor. Erst lesen wir, dass der Mensch dem Wort Jesu glaubte, ohne ein Zeichen oder Wunder zu sehen. Er glaubte, dass sein Sohn lebt und geheilt wurde, ohne es beweisen zu können. Liebe Gemeinde, der Glaube ist nur dann Glaube, wenn er glaubt, was es nicht sehen oder beweisen kann. In diesem Sinne, ist ein Zeichen oder ein Wunder die Wirkung des Glaubens und nicht umgekehrt, weil ein Wunder nicht unbedingt den Glauben bewirkt.

 

 

 

Wir sollten hier aber auch noch die zweite Stelle, an der dieses Wortes gebraucht wird, anschauen. Wir lesen in Vers 53, dass der Mensch mit seinem ganzen Hause glaubte. Wir können nicht allein glauben. Was wäre das für eine Freude, wenn man allein glaubt und bleibt aber doch allein. Wenn wir glauben, dass Gott bei uns steht und dass er uns liebt, sollen wir unbedingt den Glauben mit anderen teilen. Der Mensch glaubte mit seinem ganzen Hause. Der Glaube, liebe Gemeinde, macht uns zu Zeugen. Das bedeutet, dass der Glaube den Menschen unbedingt zu der Möglichkeit führt, das Wort Gottes zu bezeugen. Ich würde heute sagen: Das ist unsere höchste Aufgabe, liebe Gemeinde, als Christen Zeugen zu werden.

 

„Der Mensch glaubte dem Wort“

 

Das Wort ist der Gegenstand unseres Glaubens. Das heißt, wenn wir fragen: was glauben wir?. die Antwort sein könnte, dass wir dem Wort glauben. In unserem heutigen Text, und vielleicht sogar im ganzen Johannes Evangelium, ist der Glaube an das Wort, den der Mensch hatte, wichtiger als die Heilung des Sohnes. Und es ist möglich zu sagen, dass ein Wunder das Wort hervorbringt. Warum ist das Wort wichtig? Wenn wir versuchen diese Frage zu beantworten, denken wir wahrscheinlich zu allererst an das Evangelium, an die Bibel. Das Evangelium ist die gute Nachricht, nämlich dass Gott mit uns ist. Die Bibel ist für uns das Zeugnis, das uns von Gott erzählt. Auf einer tieferen Ebene sagen wir, dass Jesus selbst das Wort Gottes ist. Er is das Wort Gottes, nämlich das Mensch gewordene Wort, oder das gelebte Wort. Durch Jesus Christus ist Gott zu uns gekommen. Dann können wir sehen, dass die Bibel uns Jesus Christus bezeugt. Die Bibel ist dann ein Zeichen, das auf Jesus Christus verweist. Der evangelische Theologe Karl Barth hat über das Wort Gottes geschrieben: „Wahres Zeugnis ist nicht identisch mit dem, was es bezeugt, aber es setzt es vor uns.“ [1] Das heißt, die Bibel setzt Jesus vor uns, so dass wir auch dem Wort, nämlich „Jesus Christus“ glauben können.

 

Wenn wir noch weiterdenken, dann wird der Mensch, der sich für den Glauben des Wortes öffnet und glaubt, selbst zu einem Wort; ein Wort, das auf die Liebe Gottes verweist. Durch Glaube wird der Mensch zum Wort. Das ist so, weil die christliche Wahrheit keine objektive Wahrheit ist. Wir können nicht Christen werden, ohne an der Wahrheit teil zu haben. Wenn wir, wie dieser königliche Beamte, dem Wort glauben, werden wir unbedingt ein Zeuge des Wortes sein; nämlich ein Zeuge Jesu Christi, der, den Gott bezeugt.

 

Was ich heute, liebe Gemeinde, sagen möchte ist, dass es die höchste Aufgabe des Christen ist, ein Zeuge oder eine Zeugin der Liebe Gottes zu werden, genauso wie es die Zeichen und die Wundern des Lebens sind. Das hat der königliche Beamte gemacht, als er mit seinem ganzen Hause glaubte. Wir sollen die Liebe Gottes jeden Tag unseres Lebens bezeichnen. Dafür sollen wir nicht unbedingt perfekte Menschen sein. Es ist egal, ob wir jung oder alt, reich oder arm, gesund oder krank sind. Wichtig ist, dass wir die Liebe Gottes bezeugen können.

 

Ein gekreuzigter Messias war nicht das Zeichen, auf das sich die Jünger von Jesus oder seine Zeitgenossen erhofften, aber er war das Zeichen, das sie brauchten. Das legt dar, dass Gott zu uns nicht nur in unseren Erfolgen, sondern auch in unserem Scheitern, in unserem Bedauern und in unseren Enttäuschungen kommt. Gott hat uns das größte Zeichen in der Figur eines zerbrochenen, aber auch eines triumphierenden Menschen am Kreuz gegeben. Sodass wir verstehen können, was der Apostel Paulus geschrieben hat: „wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.“ Und wir lesen weiter, dass „das Geringe vor der Welt und das Verachtete Gott erwählt hat, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.“

 

„Der Mensch glaubte dem Wort“. Glauben wir dem Wort? Amen.

 

 

Sylvie Avakian

 

Pfäffingen, 22.01.2017

 

 

 

[1] Karl Barth, Church Dogmatics, 1.2 (The Doctrine of the Word of God, Part 2), 463.