Der Erde und des Himmels

 (Gottesdienst im Grünen)

 

Liebe Gemeinde, heute brauchen wir nicht viele gesprochene Worte. Die Worte Gottes kommen heute zu uns durch die Schöpfung, durch die Natur, die uns umgibt. Heute reden die Bäume, die Vögel, der Himmel, der Fluss, der Wind, die Sonne und die Erde mit uns. In ihrer Stimme entdeckt unser Herz die Freude und unsere Seele findet die Ruhe die sie ersehnt. Heute ist die Natur für uns wie ein offenes Buch; ein Buch, das uns etwas über das Geheimnis der Liebe verrät; ein Buch, dass die Geschichte des Friedens, der Sanftmut und der Herrlichkeit der Kreatur und des Schöpfers erzählt. Die Natur trägt in diesem Sinne die Worte Gottes für uns. Der Ausdruck ‚Worte Gottes‘ haben hier eine weitere Bedeutung als wir sonst darunter verstehen. Hier mit ‚Worte‘ meine ich nicht unbedingt die Worte die wir schreiben, lesen oder sprechen. Die ‚Worte‘ hier sind die Mittel, durch welche eine Offenbarung geschehen kann. Das wissen wir aber auch wenn wir mit einander reden und Worte benutzen. Wir brauchen die Worte um uns klar und verständlich zu machen. Durch Worte öffnen wir uns und erlauben wir den anderen uns besser kennen zu lernen. In diesem Sinne sind die ‚Worte Gottes‘ all das was die Offenbarung Gottes ermöglichen. Heute möchte ich sagen, dass auch die Natur die ‚Worte Gottes‘ für uns trägt. Durch die Natur nähern wir uns Gott aber auch uns selbst. Ein offenes Buch ist die Natur. Wenn wir sie anschauen und sie betrachten spiegelt sie für uns die Stille Gottes, die Stille, die darüber der Psalm 46 sagt: „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!“ Die Stille und die Ruhe die man in der Natur erfährt sind die Zugänge zu Gott. Sie sind die Wege die uns zu Gott führen. Die Stille und die Ruhe der Natur verbinden uns innerlich mit Gott aber auch mit uns selbst. Auf diese Weise spiegelt die Natur auch unser tiefstes Selbst, genauso wie die schwindende Welle des Flusses all das wiederspiegelt, was in ihrer Nähe steht. In einer lauten Menschenmenge wäre das unmöglich. Die Wellen eines Flusses nehmen unsere Träume mit, die unerfüllten Wünsche unserer Vergangenheit. Sie nehmen unsere Erwartungen und Enttäuschungen mit, und in einem Augenblick verschwinden sie. Eine neue Welle wird aber bald kommen und eine neue Hoffnung mitbringen, eine Hoffnung die wir noch im Herzen tragen dürfen. Daher sagen wir, dass die Natur die Erde und den Himmel zusammenbringt; das Menschliche und das Göttliche, die Sehnsucht unseres Herzens und die gnadenvolle Liebe Gottes. Durch dieses Zusammenbringen von Gott und Mensch hat die Natur die Fähigkeit uns von menschlichen Ärger und Wut, Geringschätzung und Schmähung zu befreien, von Geschrei und von beschränkten menschlichen Verurteilungen. Wir brauchen dann unbedingt das Licht des Himmels in unseren dunklen Tagen. Der weite Himmel und der freie Wind machen uns von unseren Beschwernissen frei. Es ist genug einen Vogel zu sehen, wie er das kalte Wasser genießt und wie die Natur nach Gewitter und den furchtbaren Platzregen und Wolkenbrüche sich selbst wieder und wieder erneuert. Die Natur nimmt unsere Furcht und Angst, den Kummer unseres Lebens und die Bösartigkeit des menschlichen Verhaltens, und schenkt uns die Möglichkeit uns innerlich von aller Verderbnis zu befreien. Dort, unter einen Baum, oder unter den weiten Himmel, können wir eine Zuflucht für uns finden; eine Zuflucht die gleichzeitig uns die Zukunft öffnet und eine neue Hoffnung uns gibt, den Weg bis zum Ende zu gehen; den Weg der sich selbst vor uns öffnet; einen Weg der uns rein geschenkt wird, ohne dass wir dafür etwas tun müssen. In diesem Sinne steht unsere Geschichte auf den Seiten dieses Buches. Irgendwie gehören wir selber zur Natur, die wir heute als ein Buch betrachten. Nämlich gehören wir zur Natur in einer Art, die wir vielleicht heute nicht erkennen können. Aber wir wissen es, wir wissen, dass eine geheimnisvolle Art des Zusammenseins uns und die Natur zusammenbringt.

 

In seinem Gedicht „Da ich ein Knabe war …“ hat Hölderlin über seine Erfahrung die Natur geschrieben:

 

 

Da ich ein Knabe war,

Rettet' ein Gott mich oft

Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen,

Da spielt' ich sicher und gut

Mit den Blumen des Hains,

Und die Lüftchen des Himmels

Spielten mit mir.

 

 

Oh all ihr treuen

Freundlichen Gö‘tter!

Daß ihr wüßtet,

Wie euch meine Seele geliebt!

 

Zwar damals rieff ich noch nicht

Euch mit Nahmen, auch ihr

Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen

Als kennten sie sich.

 

Doch kannt' ich euch besser,

Als ich je die Menschen gekannt,

Ich verstand die Stille des Aethers

Der Menschen Worte verstand ich nie.

 

Mich erzog der Wohllaut

Des säuselnden Hains

Und lieben lernt' ich

Unter den Blumen.

 

 

Der Text vom Neuen Testament steht für uns heute im ersten Brief des Apostel Petrus, Kapitel (3,8-11).

 

„Endlich aber seid alle gleich gesinnt, mitfühlend, voll brüderlicher Liebe, barmherzig, gütig!

 

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung, sondern im Gegenteil segnet, weil ihr wisst, dass ihr dazu berufen seid, Segen zu erben.

 

Denn »wem das Leben lieb ist und wer gute Tage sehen will, der bewahre seine Zunge vor Bösem und seine Lippen, dass sie nicht Trug reden; er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche den Frieden und jage ihm nach!“

 

 

 

„Endlich aber seid alle gleich gesinnt, mitfühlend, voll brüderlicher Liebe, barmherzig, gütig!

 

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung“.

 

Heute, liebe Gemeinde, können wir diesen Text im Lichte der besonderen Einsicht der Natur verstehen. Die Natur bringt uns zusammen mit Gott und mit unserem wahren Selbst, aber auch mit allen anderen Menschen. Die Betrachtung der Natur hilft uns um es zu sehen, dass wir alle der Erde und des Himmels gehören. Uns allen verbindet die brüderliche Liebe, die wir hier auf der Erde erfahren dürfen, aber auch verbindet uns die Liebe Gottes. Hier in der Welt sind wir geboren und aufgewachsen. Hier haben wir unsere Familie, unsere Verwandte, Freunde und Bekannte. Wir sind aber auch von vielen unbekannten und fremden Menschen umgeben. Es kann sein, dass unsere Erfahrungen mit fremden Menschen nicht immer unbeschwert sind. Jedoch bringt uns heute die Erde mit allen Menschen der Welt, mit Bekannten und Unbekannten, zusammen. Wir sind alle hier in der Welt geboren und werden, wenn die Zeit gekommen ist, sterben und zur Erde, unserer Mutter gehören. Aus der Perspektive der Erde hat niemand einen Vorteil und niemand wird benachteiligt. Ebenso sind wir alle, aus der Perspektive des Himmels, die Kinder Gottes. In diesem Sinne hat Paulus den Galatern geschrieben: „Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.“ Angesichts dieser menschlichen Würde, die uns allen gegeben ist verstehen wir den heutigen Text: „wem das Leben lieb ist und wer gute Tage sehen will, der bewahre seine Zunge vor Bösem und seine Lippen, dass sie nicht Trug reden; er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche den Frieden und jage ihm nach!“ Auf diese Weise befreit uns die Natur von menschlicher Geringschätzung und Schmähung, sodass wir das Böse nicht mit Bösen vergelten, sondern wir werden alle gleich gesinnt, mitfühlend, voll brüderlicher Liebe, barmherzig und gütig.

 

Das letzte, liebe Gemeinde, das ich heute sagen möchte ist, dass wir, hier in der Welt eine Berufung haben. Unsere Berufung beschreibt der Apostel Petrus und sagt: „segnet, weil ihr wisst, dass ihr dazu berufen seid, Segen zu erben.“ Wie können wir aber heute diese Berufung verstehen? Wie und wen oder was sollen wir segnen?

 

Heute möchten wir über den Segen der Natur reden. Es ist aber klar, dass unser Segen nur die Erwiderung der Gabe der Schöpfung und der Natur ist. Die Erde und der Himmel sind uns gratis gegeben. Der Himmel steht gnädig über uns allen und die Erde empfängt uns ohne Vorurteile oder Abgrenzung. Bedauerlich nutzt aber heute der Mensch die Natur aus, statt sie mit Dankbarkeit zu genießen. Dadurch wird das Zusammensein von Erde und Himmel, von Mensch und Gott gestört. Heute hat der Mensch aufgehört die Natur zu bestaunen und sich dafür zu öffnen. Die technologische Orientierung unserer Welt verhindert die Natur sich selbst zu sein. Der Fluss und der Wind stehen bloß als Energieressourcen und für Ausnutzung. Deshalb können wir heute den Segen so verstehen, dass wir, durch ihn, der Natur ermöglichen wahrhaftig zu sein, das was sie ist. Durch den Segen erlauben wir dem Baum, dem Fluss und der Blume wahrhaftig zu sein und nur dann können wir am Geheimnis der Natur Anteil haben. In diesem Sinne hat der Mensch eine besondere Bedeutung und Rolle im Universum, nämlich, er der ist, der segnet und behütet. Auf diese Weise können wir heute den Segen so verstehen, dass jeder, der etwas Gutes tut segnet, jeder der den Frieden sucht segnet, jeder der einen Baum pflanzt oder eine Blume gießt segnet, jeder der sich um die Natur kümmert, sodass sie sich zeigt wie sie ist, segnet. Daher wissen wir, dass wir dazu berufen sind die Natur, und alles das uns umgibt, zu behüten und zu segnen, und nur dann wird die Natur für uns ein Zuhause sein. Amen.