Mit Jesus im Geist vereint

Galater 2, 16-21

 

 

Im heutigen Predigttext beschreibt der Apostel Paulus den Glauben, und insbesondere den Glauben Jesu Christi, als den einzig möglichen Weg für die Rechtfertigung des Menschen. Wir lesen, dass „wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes“. Hier wäre es wichtig zu merken, dass in der ur-griechischen Sprache des Briefes der Satz lautet: dass der Mensch durch den Glauben Jesu Christi rechtfertigt wird,[1] und nicht wie es üblicherweise übersetz ist, dass wir durch unseren Glauben an Christus gerecht werden. Wenn ich den Satz nochmal im Lichte der Ursprache lese, wird es so lauten, dass „der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben Jesu Christi“.

 

Das bedeutet, dass nur wenn ich den Glaube Christi auf mich nehme, nämlich wenn ich es schaffe seinen eigenen Glauben mir anzueignen, kann ich auch, wie Paulus, sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ In diesem Zusammenhang möchte ich heute mit Ihnen über zwei Fragen nachzudenken: Erstens, wie kann man den Glauben Christi auf sich nehmen? Und zweitens, Warum ist es überhaupt wichtig den Glauben Christi uns anzueignen?

 

Lasst uns über die erste Frage nachdenken: wie kann man den Glauben Christi auf sich nehmen?

 

Paulus legt den Glauben im Gegensatz zum Gesetz fest. Nicht durch das Gesetz, sondern durch Glauben sind wir gerechtfertigt. Wie kommen wir aber zu diesem Glauben, besonders wenn wir über den Glauben Christi denken, der vor uns ca. 2000 Jahre gelebt hat? Was bring uns mit Jesus und mit seinem Glauben zusammen? Wahrscheinlich würden wir hier sagen, dass nur durch den Geist sowas möglich ist, denn sonst das wäre eine Unmöglichkeit.

 

Was meinen wir aber mit dem Geist?

 

Den Geist können wir in zwei Hinsichten verstehen. In erster Hinsicht ist der Geist der Geist Gottes, der Heilige Geist. Und unter dem Heiligen Geist können wir einfach Gott erkennen. Im Johannes Evangelium, Kapitel 4, lesen wir: „Gott ist Geist“ (V. 24). In diesem Sinne, ist Gott nicht etwas Objektives, oder Sachliches, wie ein Tisch oder ein Haus. Sondern, und im Gegensatz zu alles was objektiv und sachlich ist, ist Gott Geist, nämlich er ist der Heilige Geist. In zweiter Hinsicht ist der Geist auch der Geist des Menschen. Er ist der menschliche Geist und das weist darauf hin, dass der Mensch nicht nur eine sachliche, objektive Gegebenheit in der Welt ist, nämlich jemand der biologisch in der Welt existiert, und alles bloß sachlich erledigt und sich nach seinen Instinkten richtet. Sondern er ist auch ein Geist in der Welt. Diese geistliche Realität des Menschen kommt in unterschiedlicher Art und Weise vor. Manchmal erfahren wir diese, wenn wir Gedichte lesen, oder Lieder hören, manchmal durch die Musik und die Kunst, manchmal durch Gebete und das Zusammenfeiern des Gottesdienstes und des Abendmahls. Irgendwie fühlen wir es in unserem Herzen, dass einiges uns innerlich bewegt. Als Folge dieser Erfahrungen wird man ‚mehr‘ geistlich als vorher. Ich bin jetzt auch nicht sicher ob man so sagen darf, nämlich, dass man mehr geistlich oder mehr spirituell als vorher ist. Eines kann ich sagen, dass der Geist uns allen gegeben ist. Wir können den Geist in uns entdecken und enthüllen. Wir können aber auch ihn verdeckt lassen und uns nach der Sachlichkeit und der Objektivität des Lebens richten. Wenn wir uns aber vor dem Geist öffnen bringt uns der Geist mit Gott und mit Jesus zusammen. Der Geist ist, in diesem Sinne, der Bund, der uns mit Gott und mit Jesus, aber auch mit allen anderen Menschen, verbindet und vereint. Der Geist ist Gott, aber auch der Geist ist in mir und in allen anderen, und nur durch den Geist komme ich zu Gott, zu Jesus und zu den anderen Menschen.

 

Im Gegensatz zum Geist kann das Gesetz diese menschliche und göttliche Dimension nicht spüren. Das Gesetz beachtet nicht den Geist. Das Gesetz erkennt die geistliche Realität nicht und die meiste Zeit ist der Mensch, der als Geist in der Welt wirkt, das Opfer des Gesetzes. Das ist so weil das Gesetz verlangt, dass alles unter sich geordnet wird. Der Geist aber ist jenseits des Gesetzes. Der Geist kann sich nie unter das Gesetz ordnen, denn der Geist ist frei. Deswegen wird der Geist, oder der Mensch, der als Geist in der Welt ist, die meiste Zeit als Belästigung des Gesetzes gesehen. Wir müssen es auch sehen, dass die Menschenmenge gewöhnlicherweise sich unter dem Gesetz ordnet, da diese der einfachste Weg im Leben zu sein scheint.

 

Paulus schreibt, dass „der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird“. Nun frage ich mich heute: wie ist es, dass das Gesetz versagt, den Menschen zu rechtfertigten? Wie können wir es heute verstehen, dass wir durch die Werke des Gesetzes nicht gerecht werden können? Wenn ich mich heute herumschaue merke ich, dass das Gesetz eine herrschende Rolle in unserem Leben spielt. Viele von uns müssen in einer bestimmten Zeit aufwachen, in einer bestimmte Zeit das Haus verlassen und zur Arbeit gehen, zum Fahren gibt es klare Regeln, einen Antrag zu stellen gibt es auch Regeln, auch für die Schüler und Schülerinnen gibt es klare Gesetze und Regeln, und wenn man für ein Studium einen Antrag stellt gibt es auch Gesetze und Regeln. Auch wenn wir nicht an einer Institution arbeiten haben wir dann wahrscheinlich unsere eigenen Regeln und Gesetze, die das Leben irgendwie klarer und einfacher für uns machen. Und für einen Augenblick denken wir, dass das Gesetzt doch uns rechtfertigen kann. Es sollte alles gut funktionieren, wenn wir uns an das Gesetz halten. Heute sollen wir es aber sehen, dass das Gesetz versagt uns zu rechtfertigten, weil es versagt auch uns als Geist in der Welt zu erkennen. Vor dem Gesetz verlieren wir unsere geistliche Identität und werden nur eine Zahl mitten unter der Menschenmenge sein. Das hat sicherlich Vorteile aber auch Nachteile. Ein Vorteil ist, dass wir als Menschen unsere menschlichen Rechte gleichmäßig haben können. Das ist gut und auch für eine demokratische Gesellschaft wichtig. Ein Nachteil dieser herrschenden Rolle des Gesetzes ist, dass das Gesetzt die menschlichen Beziehungen zu sachlichem Verhalten ändert. Demzufolge, sehen wir andere Menschen nicht in ihrer Einzigartigkeit, nämlich als Menschen denen der Geist Gottes gegeben ist und mit denen wir zusammenkommen wollen und sollen, sondern als diejenigen mit denen wir nicht Vieles zu tun haben sollen, und in diesem Sinne verlieren die menschlichen Beziehungen in unserer Gesellschaft das menschlichen Dasein für einander.

 

Weiterhin, kann die laute Stimme einer Menge die Wirkung des Gesetzes verstärken. Aber das Gesetzt versagt die Stimme des Geistes zu hören. So können wir das Ereignis der Kreuzigung Jesu verstehen. Als Pilatus sprach zur Menge und fragte: „Was soll ich dann machen mit Jesus…? Sie sprachen alle: Lass ihn kreuzigen!“ (Matthäus 27,22) und das hat er auch gemacht. Das Gesetz hat ihm es ermöglicht den Todbefehl zu geben, aber auch die Menge hat seine Entscheidung beeinflusst.

 

Heute können wir und wollen wir auch nicht auf das Gesetz verzichten, denn wir wissen, dass das Gesetz in sich selbst gut ist. Wir sollen aber es sehen, dass eine geistliche Identität uns gegeben ist, welche jenseits des Gesetzes ist, und welche allein uns rechtfertigten kann. Das heißt, dass das Gesetz gut ist, aber es ist nicht genug um die menschliche und geistliche Realität des Menschen zu bewahren, welche für uns besonders als Kirche wichtig und notwendig ist, und letztendlich kann man sagen, dass der Geist allein die Kirche macht, denn der Geist allein uns mit Gott, mit Jesus, aber auch mit anderen Menschen zusammenbringt.

 

Victor Hugos Roman, die Elenden, ist wahrscheinlich bekannt. Dort erzählt er die Geschichte von Jean Valjean, der wegen eines gestohlenen Brotes und mehreren Fluchtversuchen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Nach neunzehn Jahren Gefängnishaft wurde Jean Valjean entlassen. Valjean wird für eine Nacht durch einen Bischof versorgt, welcher sein Leben grundsätzlich ändert. Irgendwie, durch den Bischof, erfährt er diese geistliche Realität und wird seinen Verfolger nicht mehr hassen. Unter anderem Namen beginnt Valjean ein neues Leben. Er rettet ein Mädchen, Cosette, aus der Pflege der Sklaverei der Gastwirtsfamilie Thénardier. Er kauft das Mädchen frei und übernimmt ihre Erziehung. Jean Valjean bleibt aber doch überall, wo er hinkommt immer der ehemalige Sträfling und er wird von dem extrem gesetzestreuen Polizisten Javert, der Gerechtigkeit durch Gesetze erreichen wollte, bis ans Ende seines Lebens verfolgt. In der Geschichte erfährt man, dass das Gesetz den Menschen nicht ändern kann, nur der Geist kann uns ändern und uns ein neues Leben immer wieder schenken.

 

Ich habe jetzt so viele Überlegungen über die erste Frage mit Ihnen geteilt und ich kann nur mit einigen kurzen Gedanken über die zweite Frage die Predigt abschließen. Warum ist es überhaupt wichtig den Glauben Christi uns anzueignen? Wir brauchen den Glauben Christi, denn wir sind alle Sünder und nur der Geist Christi kann uns innerlich ändern, uns vergeben, uns rechtfertigen und uns ein neues Leben schenken. Nur der Geist kann uns mit allen anderen zusammenbringen, unabhängig von allen objektiven, sachlichen Unterschieden, die uns trennen. Das ist genau was wir in der Geschichte Viktor Hugos erfahren, aber auch von der Geschichte des Pharisäers und des Zöllners, die wir in der heutigen Schriftlesung gehört haben. Der Zöllner hat gebetet: Gott, sei mir Sünder gnädig! Und er ging gerechtfertigt in sein Haus, und der Pharisäer konnte diese nicht erreichen.

 

Das Gesetz reicht uns nicht, aber Jesus genügt! Amen.

 

 

 

Sylvie Avakian

 

_______________________________________________

 

 

 

Lieber Herr Jesus,

 

heute sind wir zu dir gekommen

 

wie der Zöllner zu Gott gekommen ist und gebetet hat;

 

nicht mit Überheblichkeit,

 

sondern mit dem Bewusstsein, dass wir Sünder sind.

 

Herr Jesus, auch wenn wir weit von dir gehen wollen,

 

und deinen Geist nie in uns entdecken können,

 

wir bitten dich: bleib mit und in uns.

 

Leite uns und segne unser Tun.

 

Wir bitten dich: Gott, sei uns Sünder gnädig!

 

Gott, sei mir Sünder gnädig!

 

Vergib mir meine Schuld

 

und mach mich neu.

 

Schenke mir ein neues Leben,

 

in dem ich dir folgen kann,

 

in dem ich anderen Menschen vergeben und sie lieben kann.

 

Ermutige mich, sodass ich nichts im Leben fürchte,

 

sondern mit Mut und Zuversicht

 

in die Zukunft gehe.

 

Lieber Herr Jesus,

 

sei du auch mit allen Menschen der Welt,

 

durch deinen Geist halte allen in deiner Liebe und Gnade.

 

Durch deinen Geist und dein Segen

 

leite diejenigen die dieses Land führen,

 

sodass sie sich für Gerechtigkeit und Frieden bemühen;

 

Gerechtigkeit und Frieden hier in Deutschland,

 

aber auch in der Welt.

 

Sei mit allen Menschen, die heute ihren Weg nicht klar sehen können,

 

mit allen die unter Armut, Krankheit und Ungerechtigkeit leiden.

 

Segne alle Kirchen der Welt, die heute Gottesdienste feiern,

 

und auch diese Kirche, segne ihre Familien, Kinder und Enkelkinder.

 

Schenke uns allen, Herr Jesus, heute und jeden Tag, deine Gnade und deinen Geist,

 

denn nur durch den Geist werden wir wahrhaftig deine Kirche sein. Amen.