Die Obrigkeit als Dienerin

Die Obrigkeit als Dienerin

 

Römer 13,1-7

 

 

Vielleicht rufen diese Zeilen auch bei Ihnen Widerstand oder Ärger hervor, so war es jedenfalls bei mir, ich hätte mir diesen Text jetzt nicht zum Predigen gewünscht. Der Text, so wie er steht, klingt etwas problematisch. Wir alle wissen das „Gehorsam“ ein tiefes christliches Prinzip ist. Wir sagen, dass Jesus selber gehorsam war „bis zum Tode“. Wem war aber Jesus gehorsam und wem sollen wir heute gehorchen? In diesen Tagen leben wir in Deutschland in einer historischen Zeit. Es ist viel im Umbruch, wir wissen nicht wohin die Reise geht. Wir hören so viele Stimme. Was entscheidet welche Stimme sollen wir zuhören und sogar gehorchen?

 

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.“

 

Ich habe mich gleich beim Lesen gefragt: Warum sollte man der Obrigkeit untertan sein, besonders wenn die Obrigkeit sich nicht als Dienerin Gottes erweist bzw. wenn das Wohl des Volkes sie nicht interessiert? Wieso ist dann die Obrigkeit von Gott angeordnet und warum ist es so, dass man Gottes Anordnung widerstrebt, wenn man sich der Obrigkeit widersetzt?

 

Es hilft, wenn wir zunächst schauen, in welchem Zusammenhang Paulus diese Sätze geschrieben hat: Es war im Jahr 56 oder 57. Der christliche Glaube war im ersten Jahrhundert noch nicht offizielle Religion des römischen Reiches. Auch hatten die Christenverfolgungen im Römischen Reich noch nicht begonnen, (diese werden vom 64 bis 313 dauern, nämlich bis zur Anerkennung des Christentums als die Religion des Römischen Reiches.)

 

Paulus schreibt den Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Sie bestand aus Judenchristen und Heidenchristen. Im heutigen Predigttext, aus Kapitel 13, schreibt Paulus aus pastoralen Gründen, das heißt, dass er keine dogmatische Lehre über die Aufgaben den Christen gegen die Obrigkeiten beschreibt. Paulus hat hier besonders die Judenchristen im Blick. Paulus wusste, dass die Juden und die jüdische Christen in Rom im Jahr 49 wegen eines Urteils des damaligen Kaisers Rom verlassen mussten. Sie durften erst im Jahre 54 nach dem Tod des Kaisers zurückkehren. Vielleicht hatten sie in der Zwischenzeit bei Verwandten in Palästina gelebt, die sich immer nach einer Befreiung von der römischen Macht gesehnt bzw. eine solche auch erstrebt haben. Um die Einheit der Gemeinde in Rom, nämlich die Einheit von Judenchristen und Heidenchristen, zu bewahren, schreibt Paulus diese Verse und mahnt zu politischer Zurückhaltung, denn Antirömische Parolen würden der Existenz der jungen Gemeinde sicher nicht helfen.

 

Diese kurze Beschreibung der Situation der Gemeinde im ersten Jahrhundert hilft uns, die Worte des Paulus besser zu verstehen. Sie kann vielleicht auch diesen folgenden Satz des Paulus erhellen: „Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott“. Aus Perspektive der Judenchristen, die sich der römischen Obrigkeit untertan stellen sollen, war er wahrscheinlich schwer zu akzeptieren. Von heutiger Perspektive sehen wir, dass eigentlich nichts im Leben außer von Gott ist. Dieser Satz vom Paulus, dass keine Obrigkeit außer von Gott ist, ist eine indirekte Anerkennung des Wirkens Gottes in der Welt und, dass Gott das Wesen ist, auch von Wohl und Frieden, wie sie das Römische Reich ihr Angehörigen damals anbieten konnte. Paulus schreibt, dass keine Obrigkeit außer von Gott ist. Wahrscheinlich können wir heute auch sagen, dass kein Leben außer von Gott ist.

 

 

 

 

 

Ist nicht alles, was wir in unserem Leben haben, uns von Gott gegeben? Wenn wir uns nicht eingestehen, dass uns alles geschenkt ist, werden wir das Evangelium, die gute Nachricht und die Liebe Gottes nicht annehmen können. Wenn wir nicht sehen, dass das, was wir haben, nicht uns allein gehört, schaffen wir es nicht die Liebe Gottes mit anderen zu teilen.

 

Mit der Obrigkeit ist es wie mit allem: unsere Gesundheit, unsere Familien, Kinder und Enkelkinder, unsere Schulen, Lehrer und Klassenkameraden, das Land, die Sonne, der Mond und das Haus, in dem wir wohnen, alle Menschen in unserer Umgebung und die Möglichkeit überhaupt in dieser Welt zu existieren: Alles ist uns als Geschenk gegeben. In unserer christlichen Sprache sagen wir, dass all dies die Geschenke Gottes sind. Wir müssen zugeben, dass wir diese nicht selber verdient haben.

 

Das Haus, die Straße und die Kirche sind uns gegeben, auch wenn wir dafür arbeiten und uns Mühe geben, dass alles schön ist und in guten Zustand bleibt. Auch wenn wir selbst das Haus aufbauen, wissen wir, tief in unserem Herzen, dass wir es nicht besitzen und, dass die Zeit kommen wird, wenn wir es auch verlassen müssen.

 

Liebe Gemeinde, und noch etwas möchte ich hinzufügen, dass wir für alles, was uns gegeben ist, verantwortlich sind und, dass wir diese Verantwortung eher als Dienst verstehen sollen denn als Besitz oder Kontrolle über was wir haben. Das gilt auch für unsere Familien und Arbeit. Wir sind für unsere Familien verantwortlich, für unsere Kinder und ihre Erziehung, aber auch für die Beziehungen mit den Menschen, die wir in unserem Leben erhalten oder gestalten. Nur wenn wir sehen, dass, was wir haben, uns gegeben ist, können wir unsere Verantwortung als Dienst verstehen. Denn Dienen heißt, dass man anderen helfen und mit ihnen teilen kann, was er hat. So verstehen wir auch die Verantwortung der Obrigkeit und derjenigen, die die Länder regieren. In diesem Sinne ist die Obrigkeit aufgerufen zu sehen, dass das was sie hat nicht ihr gehört, sondern es ist ihr gegeben. Nur dann kann die Obrigkeit als Dienerin wirken, nämlich als eine, der Menschen und Völker anvertraut wurden.

 

Paulus beschreibt die Obrigkeit als Dienerin. Er schreibt: „Denn sie ist Gottes Dienerin“. Und Paulus meint eine gerechte Obrigkeit. Die Frage für ihn ist nicht: Was muss ich tun, wenn die Obrigkeit ungerecht ist, sondern wie soll ich mich benehmen gegenüber einer gerechten und legitimen Obrigkeit.

 

Natürlich waren die Vorstellungen von Macht und Obrigkeit zur Zeit des Paulus völlig anders als heute. Das sollte aber auch nicht bedeuten, dass Demokratie wie heute begriffen und praktiziert unbedingt fehlerlos ist. Auch Demokratie, nämlich die ‚Herrschaft des Staatsvolkes',

 

 

 

kann fehlerhaft und verfehlt sein, nämlich wenn sie weigert zu sehen, dass Dienst, Liebe und Fürsorge die Merkmale der berechtigten Obrigkeit sind. Wie kurz vorher gesagt hören wir heutzutage viele Stimme, und die Frage bleibt noch: welchen müssen wir gehorchen? In seinem Brief an die Philipper hat Paulus die Erniedrigung und den Gehorsam Jesu Christi beschrieben:

 

„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ (Philipper 2, 6-8)

 

Paulus beschreibt Jesus als Gott, oder Gott gleich, der sich aber erniedrigte und nicht nur als Mensch, sondern auch als Knecht anderen Menschen diente. Jesus hat auch über sich selbst gesagt, dass er „sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matthäus 11,29) ist. Vor seinem Tod hat er die Füße seiner Jünger gewaschen und ihnen ein Beispiel für Liebe, Demut und Dienst gegeben, damit sie auch untereinander die Füße waschen und den anderen tun wie Jesus ihnen getan hat. Liebe Gemeinde, in allen unsere Verantwortungen sind wir aufgerufen mit Liebe und Demut der Verantwortung treu zu bleiben, denn wir besitzen nicht was wir haben, sondern es ist uns gegeben und anvertraut. Genauso wie unsere Kinder. Wir besitzen sie nicht. Sie sind uns nur anvertraut, sie zu erziehen. Und die Erziehung ist auch eine Art des Dienstes und der Fürsorge. Nur wenn der Mensch sich für Dienst und Fürsorge bereitstellt, kann er auch Vergebung erfahren, welche der Kern unseres christlichen Glaubens ist.

 

Wenn die Obrigkeit als Dienst und Fürsorge vorgestellt werden kann, dann sind wir auch aufgerufen, ihr zu gehorchen. Wir müssen aber immer wieder beachten, dass in allem was wir tun, Gott mehr gehorchen als den Menschen, wie wir heute in der Schriftlesung aus der Apostelgeschichte gehört haben: Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

 

„Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele;

 

denn er ist meine Hoffnung.

 

Er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz,

 

dass ich nicht wanken werde.

 

Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, / der Fels meiner Stärke,

 

meine Zuversicht ist bei Gott.

 

Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute, / schüttet euer Herz vor ihm aus;

 

Gott ist unsre Zuversicht“ (Psalm 62,6-9). Amen.

 

 

 

4.11.2018

 

Sylvie Avakian