Der Geist der Wahrheit

Der Geist der Wahrheit

 

Johannes 14,15-19, 23b-27

 

Schriftlesung: Apostelgeschichte 2, 1-15, 22-24, 40-42

 

 

 

"Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.  Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.

Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. … Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht."

 

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Heute ist Pfingstsonntag. Auf Griechisch πεντηκοστὴ ἡμέρα, das heißt übersetzt: Fünfzigster Tag, nämlich der fünfzigste Tag in der Osterzeit, oder 49 Tage nach dem Ostersonntag. An diesem Tag feiert die Kirche die Aussendung des Heiligen Geistes. Über diesen Tag haben wir in der Schriftlesung aus der Apostelgeschichte gehört. Zurzeit, als das Pfingstwunder geschah, war ein großes jüdisches Fest. Viele Juden aus allen Völkern der Welt waren in Jerusalem versammelt. Die Jünger Jesu waren auch „an einem Ort beieinander“. Zu dieser Zeit sprachen die Jünger Jesu Aramäisch. Dazu konnten sie wahrscheinlich auch Hebräisch – das war die Sprache der Heiligen Schrift, unseres Alten Testaments-, und vielleicht auch Griechisch -das war die Sprache der Gebildeten. In der Apostelgeschichte lesen wir, dass ein Brausen, wie ein gewaltiger Wind das Haus erfüllte, wo die Jünger waren. Und ihnen erschienen Zungen wie von Feuer, die sich auf den Jünger setzten. Die Jünger, die von den Heiligen Geist erfüllt wurden, haben angefangen in anderen Sprachen zu predigen, die sie nicht kannten. Und so konnten die viele Besucher des jüdischen Festes in Jerusalem, aus den vielen Völker der Welt, die Predigten der Jünger in ihrer eigenen Sprache hören und sie verstehen.

 

Erinnern wir uns doch jetzt zuerst einmal an die Geschichte des Turmbaus von Babel im ersten Buch Mose. Dort lesen wir, dass Gott die Sprache den Menschen verwirrt hatte. Demzufolge haben die Menschen einander nicht mehr verstehen können. Das göttliche Eingreifen in dieser Geschichte hat aber eine ganz andere Wirkung als in der Apostelgeschichte. Im ersten Buch Mose lesen wir, dass die ganze Erde eine einzige Sprache hatte und dieselben Worte. Sie waren ein Volk. Die Menschen hier sind anonym als „sie“ beschrieben und dieses anonyme „sie“ vertritt in der Geschichte die ganze Menschheit. Daher können wir auch sehen, dass der Wunsch, eine Stadt unabhängig von Gott zu bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und sich einen Namen zu machen, um sich dadurch Unvergänglichkeit zu verleihen - all diese Wünsche / all dieses Gieren nach weisen auf das universale menschliche Bestreben hin, eine größere Macht zu erreichen, als die Macht, die Menschen in ihrer jeweiligen Zeit bereits haben. (1.Mose 11, 6-8)

 

Beide Geschichten haben mit Sprachen zu tun. Die vielen Sprachen in beiden symbolisieren die vielen Völker der Welt. Dieses Reden in verschiedenen Sprachen hat aber unterschiedliche Wirkungen in beiden Geschichten. Im ersten Buch Mose hat dies eine trennende, zerteilende Wirkung, so dass Menschen nicht mehr die Sprache des anderen verstanden haben und damit über die ganze Erde verstreut wurden. Eine Folge war außerdem, dass sie aufhörten “die Stadt zu bauen“. In der Apostelgeschichte hat das göttliche Eingreifen durch den Heiligen Geist, eine vereinigende, miteinander verbindende Wirkung. Wir lesen, dass alle Völker der Welt das Predigen des Wortes verstanden haben und damit wurden sie eine Einheit.

 

Wenn wir heute fragen: Was ist es, das Menschen und Völker vereint und zusammenbringt? Was ist es, wodurch Menschen sich für einander, für Gott, für Gottes Wort und für die Wahrheit öffnen?  Dann sollten wir tatsächlich an den Heiligen Geist denken. Der Heilige Geist ist der Geist Gottes und ist der Geist Christi. Und wenn wir den Geist Gottes verstehen wollen, können wir den Geist nur als spirituelles, innerliches Geschehen ansehen. Der Geist, und nur der Geist vereint, bringt zusammen und zerstört Hindernisse und Grenzen, die die Menschen in der Welt voneinander trennen. In diesem Sinne: wann immer Menschen es schaffen eine Grenze zu überwinden, für einander da zu sein, wann immer Menschen einander vergeben können, einander lieben, wann immer Menschen das Gute tun und das Gute für andere wünschen, wann immer Menschen Trost und Zuversicht in Gott und in Gottes Wort finden, wann immer Menschen die Wahrheit wollen und sie bezeugen, können sie all dies nur mit dem Geist und durch den Geist tun, der in ihrem Inneren wohnt.

 

Daher kann man sagen, dass der Heilige Geist die innerliche Kraft ist, die all diese guten Auswirkungen ermöglicht. Es wäre ein Missverständnis, wenn wir den Heiligen Geist als etwas Konkretes, Physisches oder Materielles verstehen, was er nicht ist. Oder, wenn wir das konkrete Geschehen betonen statt den Heiligen Geist als das innerliche, spirituelle Geschehen zu sehen.  Der Geist ist das Gegenteil des Materiellen und des Konkreten. Die konkreten Dinge vergehen, der Geist aber bleibt für immer bei uns. Das war auch das Versprechen Jesu für die Jünger: „Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit … Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“

 

Und wenn wir heute den Unterschied zwischen materiell und spirituell besser verstehen wollen hilft uns vielleicht das Beispiel über das Brot. Und ich zitiere die Worte eines Theologen: „Brot ist für dich eine materielle Sache, für Deinen Nächsten eine spirituelle.“

 

Der Geist aber ist in seiner Wirkung immer mit etwas Konkretem verbunden. Zum Beispiel ist der Geist in dem Text aus der Apostelgeschichte mit dem Brausen verbunden, mit den Zungen von Feuer, die auf den Aposteln saßen, und mit dem Reden in fremden Sprachen und mit der Annahme des Wort Gottes von etwa dreitausend Menschen. Diese sind die äußerlichen Beschreibungen der innerlichen, spirituellen Wirkung des Geistes. Manchmal nennen wir diese die Früchte des Geistes. Diese aber sollen wir nicht mit dem Geist selbst verwechseln. So kann sich der Geist zeigen, aber wir können sein Wirken auch ganz anders erleben. Im Galater lesen wir, dass die Frucht des Geistes ist: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, [und] Selbstbeherrschung.“ (Galater 5, 22)

 

„Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Hier macht Jesus klar: Körperlich wird er nicht mehr bei den Jüngern sein, aber innerlich und geistlich wird er immer da sein. Dieses Dasein Jesu Christi mit seinen Jüngern, und heute mit uns, liebe Gemeinde, ist ein spirituelles, ein geistliches Dasein, welches wir nur im Herzen fühlen und uns dann dafür öffnen können. Und nur dann kommt Jesus zu uns und nimmt Wohnung bei uns. Daher verbindet uns der Geist mit Jesus, aber auch mit anderen Menschen. Wenn wir nun zurückkehren zu den beiden Geschichten vom ersten Buch Mose und von der Apostelgeschichte, sehen wir, dass in der Geschichte des Turmbaus von Babel die Menschen nicht mit einander verbunden bleiben konnten. Gott wollte es nicht. Im Gegenteil dazu lesen wir in der zweiten Geschichte, dass durch das Predigen der Apostel in vielen unterschiedlichen Sprachen und durch die Predigt von Petrus viele die Gabe des Geistes empfingen und sich taufen ließen.

 

Hier können wir fragen: Warum konnten die Menschen nicht vereint den Turm weiterbauen? Dieser Turm sollte die Menschen vor den äußerlichen Gefahren schützen. Die Menschen haben es aber übersehen, dass jede Beschränkung gegen den anderen auch Selbstbeschränkung ist. Und jede Begrenzung, die der Mensch gegen andere schafft grenzt ihn gleichzeitig ab von den anderen. Der Geist der Wahrheit könnte nicht in einem Turm von Babel wohnen, denn der Geist ist frei und die Wahrheit kann nicht besessen werden. Die Menschen konnten nicht weiterbauen und ihre Sprache wurde verwirrt, weil es nicht die Wahrheit war, die sie zusammenbrachte. Die Wahrheit bringt zusammen und vereint, während die Unwahrheit oder die Falschheit trennt und zerstreut.

 

Es kann sein, dass heute viele Themen die Menschen zusammenbringen, sozial-politische Themen, wissenschaftliche Interessen, Wirtschaft, Traditionen und Gesellschaften. Diese aber bleiben ohne die Wahrheit unvollkommen, unbeständig und vergänglich. Jesus verspricht den Jüngern den Geist der Wahrheit zu schenken, der Geist der bei den Jüngern und in den Jüngern, bei uns und in uns wohnen wird. Der Geist, der uns bestärkt, tröstet, und uns in die Liebe, zur Vergebung und zur Wahrheit führt. Der Geist hat keine Grenze und er kann nicht in Grenzen gehalten werden. Der Geist der Wahrheit einigt alle Völker der Erde, denn nur er verbindet alle. Sodass wir mit Psalm 119, 30 beten: „Ich habe erwählt den Weg der Wahrheit, deine Weisungen hab ich vor mich gestellt.“

 

Liebe Gemeinde, „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Jesus ist der Weg und die Wahrheit und er hat uns versprochen: „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.“ Amen.