Gott ist nicht gegen uns

Gott ist nicht gegen uns

 

 

 (Jakobus 2,14-17, 19-20, 22, 24)

 

„Was hilft's, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch! ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das? So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber. …

Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht daran; die Teufel glauben's auch und zittern.

Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? …

Da siehst du, dass der Glaube zusammengewirkt hat mit seinen Werken, und durch die Werke ist der Glaube vollkommen geworden.  So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.“

 

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Liebe Gemeinde, die Frage, die der Predigttext uns heute stellt ist, ob Glaube ohne Werke reicht um den Menschen selig zu machen. Das ist natürlich eine wichtige Frage und wir werden uns darüber Gedanken machen müssen. Bevor wir uns mit dieser Frage beschäftigen möchte ich gerne mit Ihnen über unsere heutigen Lebensumstände nachdenken, nämlich über uns selbst, über die Nachbarn, die Kirche, über die, die beruflich beschäftigt, oder die im Ruhestand sind, die Studenten die studieren, die Schüler in den Schulen und diejenigen, die eine Ausbildung machen. Mir scheint heute eine wichtige Frage zu sein, ob wir überhaupt Glaube und Kirche für unser Leben brauchen. Und wenn man sich heute diese Frage stellt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass ein Verzicht auf Kirche und Glauben möglich zu sein scheint. Ist ein Verzicht auf Glauben möglich? Wird dies unseren Lebensverlauf nicht in irgendeiner Hinsicht beeinflussen? Wird alles einfach gut weiterfunktionieren und alles normal laufen? Und wenn wir heute sagen wollen, dass Glaube und Kirche noch für uns wichtig sind und dass alles nicht einfach ohne Glauben und Kirche weitergehen könnte, dann müssen wir fragen: Warum? Warum sind Glaube und Kirche für uns heute wichtig? Liebe Gemeinde, heute können wir nicht auf unseren Glauben und auf unsere Kirche verzichten. Die Antwort ist einfach. Unser Glaube und unsere Kirche gehören zu uns und wir auch gehören zu ihnen. Unser Glaube und unsere Kirche sind was wir sind und wir haben auch Teil an diesen. Denn Glaube und Kirche stehen nicht nur für das Göttliche, sondern auch für das Menschliche und beide gehören miteinander und zueinander. Wenn ich, liebe Gemeinde, auf Glauben und Kirche verzichte, glauben Sie mir, etwas wesentlich Menschliches geht in mir verloren. Denn die menschliche Würde, die menschliche Erhabenheit, Herrlichkeit und Freiheit liegen darin, dass wir uns nach Gott richten und nur in Gott und durch Gott wird unsere Würde und Freiheit vollendet und unser Selbst wird seine Erfüllung erreichen. Ohne die göttliche-spirituelle Dimension verliert die menschliche Würde und Freiheit an Sinn und Bedeutung. Diese Neigung zu Gott und zur Erfüllung unseres Selbst ereignen sich, liebe Gemeinde, zum Teil schon in der Welt, hier und jetzt, und sind nicht bloß in einer zukünftigen Hoffnung begründet. Hier und jetzt möchte ich ein besserer Mensch sein. Hier und jetzt wollen wir das Gute, das uns gegeben ist entdecken und beleben. Hier und jetzt wollen wir unsere Kinder taufen und konfirmieren lassen. Hier und jetzt wollen wir das Gute tun, das wir können und dies nicht zurückstellen. Wir sollen es aber nicht vergessen, alles Gute, dass wir tun können, können wir nur durch Gott und mit Gottes Hilfe tun. Daher kommt immer auf die Frage an die Eltern: „Seid ihr bereit, das Eure dazu beizutragen, dass Ihr Kind als Mitglied der Gemeinde Jesu Christi erzogen wird?“, die Antwort: „Ja, mit Gottes Hilfe!“

 

Liebe Gemeinde, Gott ist nicht gegen uns, sondern mit uns. Es ist nicht so, dass ich auf Gott und Glauben verzichten soll, sodass ich mich auf mein Leben und meine Zukunft konzentriere und nach der Erfüllung meines Selbst strebe. Viele denken, dass alles was mit Gott und Glaube zu tun hat nur Hindernisse auf den Weg des Lebens seien. Eins soll uns aber klar sein, unser Wohlsein und alles Gutes, das uns passieren konnte kommt von Gott und ohne Gott wäre das Leben selbst für uns unvorstellbar. In diesem Sinne hat Augustinus am Ende des 4. Jahrhunderts zu Gott betend geschrieben: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. Denn auf dich hin hast du uns geschaffen“.[1]

 

Natürlich haben Glaube und Religion im Laufe der Geschichte auch oft negative Rollen gespielt. Glaube und Religion wurden oft für politische Zwecke und für die Ausweitung eigener Macht und Kontrolle benutzt. Im Namen einer Religion wurden in der Vergangenheit und bis heutzutage viele Kriege geführt. Daher sagen wir, liebe Gemeinde, dass Glaube die Sache des Herzens ist. Niemand darf dazu gezwungen werden und niemand kann Kontrolle darüber beanspruchen. In diesem Sinne verstehen wir was Martin Luther durch die Worte des Apostel Paulus gemeint hat als er gegen den Missbrauch von Glauben und Religion im 16.Jahrhundert Stellung bezogen hat, nämlich dass der Mensch durch Glauben allein und nicht durch Werke gerechtfertigt ist. Und hier kommen wir zu der Hauptfrage, die wir ganz am Anfang gestellt haben, nämlich ob Glaube ohne Werke reicht, um den Menschen selig zu machen.

 

In dem Abschnitt aus dem Brief Jakobus, der wahrscheinlich am Ende des ersten Jahrhunderts geschrieben wurde, gehen die Werke aus dem Glauben hervor. Hier sind die guten Taten durch Glauben und wegen des Glaubens zu verstehen, denn derjenige, der sich nach Gott richtet, der nach Freiheit und Würde strebt, kann nicht einen anderen sehen, der Hilfe braucht und ihm seine Hilfe verweigern. Daher steht Glaube für Jakobus nicht im Gegensatz zu den Werken. Sondern zeigt sich der wahre Glauben unbedingt durch gute Taten und ohne diese würde der Glaube tot. Daher können wir sagen, dass der Glaube die Grundhaltung für unser Leben ist und die guten Werke oder Taten sind die Ergebnisse dieser Haltung.

 

Im 19.Jahrhunder wollte der Walddorfer Pfarrer Gustav Werner ein praktisches Christentum leben. Als in seiner Gemeinde eine Mutter von sechs Kindern stirbt, nimmt der Unverheiratete selbstverständlich eines der Kinder bei sich auf. Wenige Zeit später gibt Werner seine Pfarrstelle auf, packt sein gesamtes Hab und Gut auf einen Leiterwagen und zieht nach Reutlingen. Zehn Weisenkinder und zwei Frauen, die ihn in seinem Vorhaben unterstützen wollen, hat er um sich versammelt. So gründet Werner seine „Kinderrettungsanstalt“, aus der später das Bruderhaus hervorgeht, getreu seinem Lebensmotto: „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“. (Für Arbeit und Besinnung 18, 16.September 2019.)

 

Das höchste Gebot, das Jesus in der heutigen Lesung (aus Markus Evangelium 12,28-34) dem Schriftgelehrten darlegte, drückt diese Verbundenheit von Glauben und Werke aus. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft … [Dies betrifft den Glauben] Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« [und dies betrifft die Werke]. Ein Teil vom Gebot ohne den Anderen wäre nicht genügend. Natürlich sind wir durch Glauben allein gerechtfertigt, denn die Rechtfertigung Gottes ist nur aus der Gnade Gottes möglich und wir, durch Glauben, können uns nur dafür öffnen und die Gnade Gottes in unserem Leben empfangen, nämlich diese zu unserem eigenen machen. Der Glaube aber, liebe Gemeinde, wird durch die Liebe zu anderen Menschen vollkommen, „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.“ (1.Johannes 4,20) Möge Gott uns heute und an allen Tagen helfen, sodass wir unsere Herzen für Gott öffnen aber auch für unseren Mitmenschen, unabhängig davon, ob sie Bekannte sind oder Fremde, reich oder arm, gebildet oder ungebildet, freundlich oder unfreundlich.

 

„Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, … und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ Amen.

 

Sylvie Avakian

 

Glatt- 20.10.2019

 

[1] Augustinus, Bekenntnisse, II/4.

 

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Gott unser Vater,

 

„Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.

 

Denn auf dich hin hast du uns geschaffen“

 

Hilf uns Gott, dass wir uns für dich öffnen,

 

dass wir deine Stimme hören,

 

Deinem Gebot folgen

 

und dich von Herzen lieben.

 

Hilf uns auch, dass wir uns für andere Menschen öffnen,

 

auch für diejenigen, die uns nicht ganz nah stehen,

 

für diejenigen, die uns einmal verletzt haben

 

und diejenigen, die wir gerne meiden würden.

 

Hilf, dass wir lieben lernen,

 

so ähnlich wie du alle Menschen liebst,

 

ohne Abgrenzung, ohne Unterscheidung.

 

Gott, unser Vater halte uns alle in deiner Gnade,

 

unsere Kinder, und Enkelkinder,

 

unsere Familien, die Kirche und die ganze Welt.

 

und lass uns nie ohne deine Gnade bleiben. Amen.