„das Wort ward Fleisch“

„das Wort ward Fleisch"

 

(Ezechiel 37,24-28)

 

Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun. Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, damit auch die Völker erfahren, dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.

 

-----------------------------

 

Liebe Gemeinde des Heiligenabends, der Predigttext für diesen Abend stammt aus dem Buch des Propheten Ezechiel. Am Anfang des 6.Jahrhunderts wurde der junge jüdische König mit zahlreichen Angehörigen in das Exil nach Babylonien verschleppt. Das war die Deportation der Eliten, welche nach Babylonien exiliert wurden. Wahrscheinlich ging es ihnen wirtschaftlich dort nicht schlecht, da das aktive Leben der Metropole der alten Welt ihnen damals Vieles anzubieten hatte. Jedoch waren die jüdischen Exilanten zumeist unzufrieden, da sie sich nach etwas anderes sehnten. Das Exil in einem fremden Land hat die Wurzeln und die Identität des Volkes erschüttert. Krieg herrschte noch in ihrem Land, Jerusalem und der jüdische Tempel, wo das Volk Gott anbeten konnte, waren zerstört. Mit der Zerstörung des Tempels wurde etwas Essentielles für das Sein des Volkes abgerissen. Die Israeliten hatten dann wahrscheinlich andere Wünsche und Verlangen als dasjenige, was das fremde Land ihnen anbieten konnte. Wahrscheinlich träumten viele von ihnen von einer Rückkehr zum Heimatland. Sie träumten von einem König, der mit Weisheit und Macht regiert und das geteilte Königreich wieder zu einer Einheit bringt, genauso wie es in der Zeit Davids und Solomons war. Viele Texte der jüdischen Geschichte, ihrer Gesetze, Weisungen und Belehrungen, die wir nun im Alten Testament finden, wurden in dieser Zeit überarbeitet. Das Ziel war natürlich zu bewahren was noch von der Identität und der Geschichte des Volkes zu retten ist. Als das Volk die Katastrophe des Exils erlebt hat, wurde dem Volk eins klar: sie sollten ihre Geschichte und ihre Identität bewahren. Sie wünschten sich aber am meisten und innigsten, zurückzukehren und ihren zerstörten Tempel aufzubauen, damit sie Gott wieder anbeten könnten.

 

In diesem Text schreibt Ezechiel dem Volk eine Hoffnung zu. Er schreibt über die Verheißung Gottes, mit seinem Volk zu sein. Die Israeliten werden wieder einen König haben, der, wie David, der einzige Hirte für das Volk sein wird. Alle werden die Gebote Gottes halten und danach tun. Sie werden wieder in ihrem Land wohnen. Dann wird Gott mit ihnen einen Bund des Friedens schließen und er wird unter ihnen für immer wohnen, sodass alle Völker erfahren, dass Gott der Herr ist.

 

Liebe Gemeinde, heute leben wir nicht im Exil, jedoch ist mir klar, dass wir an Weihnachten mehr brauchen als das, was die Schaufenster am Weihnachtsmarkt, die raffinierten Leckereien und die einfallsreichen Schmuck-Artikel uns anzubieten haben. Und nur wenn wir erfahren, dass das alles uns nicht reicht, werden wir mit den wichtigen Fragen des menschlichen Seins in Berührung gebracht: Wer bin ich und was fehlt mir eigentlich? Zu diesen Fragen kommen wir aber nicht während einer Partynacht, sondern erst, wenn wir die stille Nacht des Heiligabends erfahren. Die Worte des Theologen Dietrich Bonhoeffers helfen uns hier: „Es liegt im Stillsein eine wunderbare Macht der Klärung, der Reinigung und der Sammlung auf das Wesentliche.“

 

Ähnlich Fragen haben die Israeliten sich im Exil gefragt und der Prophet antwortet dem Volk durch eine Reihe von Verheißungen Gottes. In diesen Worten des Propheten ist hauptsächlich die Gegenwart Gottes, Gottes Dasein mit seinem Volk, versprochen: „Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“. Hier helfen uns die Verse im Prolog des Johannesevangeliums (Joh.1,1, 14), um zu sehen wie die Verheißungen Gottes, die durch die Worte Ezechiels vermittelt sind, ihre Erfüllung erreichen:

 

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. …

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ...“

Wie können wir heute verstehen, dass das Wort Fleisch wurde und unter uns wohnte?

Vom Anfang der menschlichen Geschichte an, hatten die Menschen immer die Tendenz gehabt für Gott Tempel oder Häuser zu bauen, um sicher zu sein, dass sie Gott dort begegnen werden, dass sie Zugang zu Gott haben. Das war auch so in der Zeit Moses, als Gott das Volk Israel auf seinen Wanderungen nach dem Auszug aus Ägypten mitführte. Später hat Mose ein Zelt für das Volk errichtet und er nannte es: Zelt der Begegnung, wo Gott mit Menschen zusammenkommt. Später hat Mose das Zelt aber außerhalb des Lagers, wo die Israeliten lebten, aufgerichtet und damit war gemeint, dass Gott nicht länger in der Mitte des Lagers wohnen konnte, wo die Menschen durch Sünde und Ungehorsam verunreinigt waren.

 

Heute liebe Weihnachtsgemeinde, feiern wir das fleischgewordene Wort. Gott wurde Fleisch bedeutet, dass Gott nicht mehr in einem Zelt lebt, nicht in einem Tempel, und auch nicht in einer Kirche, wenn wir damit nur die Gebäude meinen. Die Kirche für uns, liebe Gemeinde, sind die Menschen. Wir sind die Kirche.

Mit der Geburt Jesu kehrte Gott wieder zum Mittelpunkt des menschlichen Seins.

Dass Gott die Form eines Menschen angenommen hat heißt, dass Gott zu den Menschen kommt und Wohnung nimmt im Inneren des Menschen. Demzufolge ist jedem das Potential gegeben, Gott zu empfangen. Hier gibt es keine Anforderungen oder Eigenschaften für die Menschen zu denen Gott kommen würde. Gott kommt zu allen, mir aber scheint, dass Gottes Kommen diejenigen sehen können, die in ihrem Geist arm sind, die Leid tragen, die sanftmütig sind und Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit haben. Gott kommt zu allen aber ihn empfangen können, die Barmherzigen, die reinen Herzens und friedfertig sind. Diese werden Gott schauen können, diese werden getröstet sein und ihnen werden das Himmelreich und das Erdreich gehören. Gott wohnt in den Menschen, da Gott sich zu jedem von uns gegeben hat. In diesem Sinne brauchen wir heute nicht Gott in der Ferne suchen. Gott ist uns in unserem Inneren gegeben. Gott wohnt in uns und unter uns. Gott ist und wohnt in der Mitte unseres Lebens.

 

Liebe Gemeinde, um heute am Heiligabend Gott empfangen zu können reicht es uns, dass wir bewusst die Augen schließen und im Schweigen uns für Gott öffnen. Dann, in der Stille, werden wir Gottes ‚mit uns Sein‘ fühlen. Dann werden wir aus dem Dunkel „das aufgehende Licht aus der Höhe“ sehen können und nicht mehr in Finsternis wandern, sondern wird das auf uns erscheinende Licht unsere Füße auf den Weg des Friedens richten (Lukas 1,78-79).

 

Heute habe ich einen sehr schönen Satz von Papst Franziskus gelesen, wo er sagt: „Damit Gottes Gegenwart keine Furcht erweckt, kommt er als zartes Kind“. Liebe Gemeinde, freuen Sie sich, unser Heiland ist geboren. Er ist als zartes Kind geboren sodass wir uns nicht fürchten, sondern mit Freude, Sanftmut und Demut ihm begegnen. Daher, wann immer wir uns zu dem leisen Kind öffnen werden, können wir an jedem Tag die Geburt des Sohnes in unserem Herzen feiern und an jedem Tag das Kommen Gottes zu uns erfahren.

 

Heute feiern wir Gottesdienst mitten in einer Welt, die uns einiges abverlangt und in der man sich oft verloren, machtlos und verletzbar fühlen kann. Doch dahinter liegt eine andere Wahrheit. Oft ist sie verdeckt. Heute Nacht aber leuchtet sie klar und erklingt in der ganzen Welt: „Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht nur das traute, hoch heilige Paar.“ Dann wissen wir ganz tief im Herzen, warum die Heilige eine stille Nacht ist.

 

Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; (Offen 21,3). Amen.