„verlass uns nicht!“
(Jeremia 14,1-9)
„Dies ist das Wort, das der Herr zu Jeremia sagte über die große Dürre: Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. Sie sinken trauernd zu Boden, und Jerusalems
Wehklage steigt empor.
Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen
ihre Häupter. Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. …
Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben. Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!“
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Ich möchte heute mit einer Geschichte anfangen, die eigentlich bei mir während meines Religionsunterrichts in der Schule vor einigen Tagen passiert ist. Das Thema war Mose und die Schüler waren 3.und 4.Klässler. Dann bin ich zu den zehn Plagen gekommen, die im 2.Buch Mose beschrieben sind, als Mose mit seinem Volk aus dem Land Ägypten gehen wollte und der Pharao ließ das Volk Israel aus dem Land nicht ziehen. In dieser Geschichte sind die Naturkatastrophen als Plage oder als Strafe Gottes für die Ägypter beschrieben. Die Geschichte ging so (wie sie in meiner Kinderbibel „Neukirchener Kinder-Bibel“ erzählt ist), dass Gott zehn Plagen über Ägypten als Strafe kommen ließ: Die erste Plage war, dass sich alles Wasser in Blut verwandelte. In den Bächen und in den Seen und Sümpfen starben die Fische. Das Wasser stank furchtbar. Niemand konnte es trinken. Zum nächst krochen aus den Flüssen und Sümpfen Frösche hervor. Hunderte, Tausende, hunderttausende und noch mehr. Die hüpften überall hin, in die Häuser und Höfe, in die Teller und Töpfe. „Da betete Mose zu Gott, und die Frösche starben, in allen Häusern und Höfen.“ Die Geschichte ging weiter mit den übrigen Plagen. Die Kinder konnten kaum begreifen was alles in der Geschichte passiert ist. Die Geschichte war für sie so ein Actionfilm. Sie konnten die Geschichte nicht ohne äußere Ausdrucksformen der Wut hören. Ein Junge hat gefragt, warum die Tiere den Preis für die Herzlosigkeit der Ägypter bezahlen sollten? An dem Tag habe ich dem Jungen keine endgültige Antwort gegeben.
Haben Sie es schonmal erlebt, dass Sie in einer Nacht so sehr von Gedanken oder Geschehen im Leben Angst hatten sodass Sie nicht mehr schlafen konnten? Mir scheint, dass jeder von uns solche Nächte erlebt hat, auch wenn wir keine großen Naturkatastrophen erlebt haben. Was ist das aber, was uns schlaflos in der Nacht und unruhig am Tag macht? Oft sind diese Ereignisse im Leben, die uns ganz schwerfallen und wir würden diese lieber vermeiden. Diese Ereignisse bringen oft etwas Unbekanntes und Fremdes mit sich; auf das sind wir meistens nicht vorbereitet und vor dem Unbekannten und Fremden stehen wir hilflos und ängstlich. So war es bei den Judäern in der Zeit als Jeremia gepredigt hat. Das Volk stand damals vor zwei Gefahren. Die erste war die natürliche Katastrophe, die Dürre, und sie wussten nicht wie sie damit umgehen sollten.
„Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. … Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser …“
Das war die große Dürre, welche die ganze Natur zum Stillstand gebracht hat, als ob alles vom Tod getroffen war. Diese schwierige Situation hat das Volk zur Trauer gebracht, welche durch das Verhüllen der Häupter ausgedrückt wird. Die Katastrophe war aber nicht nur auf die Dürre beschränkt. Darüber hinaus wird das Land für den Überfall durch andere Länder und Nationen anfällig sein. Das wissen wir von den folgenden Versen und Kapiteln des Buch Jeremias. Das Land wird von den Babyloniern überfallen und der Tempel zerstört.
Die zweite Gefahr, die auch hinter der äußerlichen Gefahr stand war die Untreue der Menschen. Die Dürre und die Trockenheit hatten eine geistlich-innerliche Dimension. Das Volk hat Gott vergessen. Die Menschen sind nicht treu zu ihrem Bund mit Gott geblieben. Stattdessen haben sie andere Götter verehrt. Demzufolge könnte man dazu tendieren, die natürliche Katastrophe, die Dürre aber auch den Krieg, als die Strafe Gottes für die Sünden von Judäa zu sehen. Die Dürre steht dann im Text nicht nur für den Mangel an Wasser, sondern auch als die Folge der Untreue des Volkes. Sie ist ein Zeichen für die innerliche Trockenheit und Dürre, die innerliche Wüste des Menschen und seine Entfremdung von Gott. So lesen wir im Buch Jeremia:
„Denn mein Volk tut eine zweifache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben.“ (Jeremia 2,13)
Daher können wir heute den Text als eine Gemeinschaftsklage lesen, ein Gedicht, aber auch natürlich als ein Gebet, in dem die Gemeinde um Vergebung ihrer Sünde fleht.
„Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen … verlass uns nicht!“ Und wenn wir heute fragen, ob Gott hinter einer Dürre und einer Not, hinter dem menschlichen Leid stehen könnte, sollten uns zwei Dinge klar sein: Gott steht hinter einer Dürre und hinter dem menschlichen Leid genauso wie Gott hinter der Fülle, hinter dem Reichtum des Lebens steht. Gott ist der Grund unsrer Krankheit genauso wie er der Grund unserer Gesundheit ist. Daher sollen wir von Gott auch das Schwierige annehmen können genauso wie wir das Erfreuliche und das Vergnügen annehmen wollen. Wir müssen irgendwie sehen können, dass das Leben in sich die erfreuliche und die traurige Seite beinhaltet. Schwierigkeiten und Traurigkeiten gehören zum menschlichen Leben genauso wie Entlastungen und Freude des Lebens.
Das Gute umfasst in sich Leben und Tod, Licht und Dunkelheit. Demzufolge ist für uns die Herausforderung alles was auf uns im Leben zukommt, uns widerfährt, auch in dem Sinne der äußerlichen Dürre, anzunehmen. Wir sollen aber gleichzeitig die innerliche Dürre, die innerliche Trockenheit bekämpfen, indem wir Gott suchen und nach seinem Willen leben wollen, indem wir von fremden und unbekannten Situationen nicht fürchten, sondern in allen Gott vertrauen, indem wir um den Frieden ringen und uns an die Seite der Schwachen stellen. Erst dann können wir auf ein gerechtes Leben hoffen, sodass wir mehr lieben können, mehr vergeben, mehr einander helfen können, da Gott die Quelle der Liebe und der Vergebung ist. Und erst dann werden Ungerechtigkeit, Hass, und Ungleichbehandlung verhindert, sodass sie nicht das letzte Wort haben.
Anders gesagt, können wir das Leid des Lebens bewältigen, wenn wir dies innerlich zulassen. Diese innerliche Zulassung des Leides ist aber auf keinen Fall eine passive, untätige Zulassung. Denn wir sollen uns darum bemühen, dass Menschen weniger leiden, dass das Leben gerechter wird, dass der Fremde und der Ausgestoßene nicht mehr fremd und ausgestoßen bleibt.
Daher liegt das Geheimnis des Umgangs mit Kummer und Leid im Zusammenbringen dieser beiden, nämlich in der Fähigkeit, unseren eigenen Schmerz und Leid zu zulassen, nämlich, dass wir unser eigenes Kreuz auf uns nehmen, aber auch gleichzeitig das Böse, die Ungerechtigkeit und das Leid in der Welt aushalten. Wenn wir die innerliche Dürre und Entfremdung von Gott überwinden, wird die äußerliche Dürre, nämlich die Katastrophen und die Schmerzen des Lebens, auch überwunden.
Eins soll heute noch, liebe Gemeinde, klar gesagt werden: Gott verursacht keine Plagen da Gott ein guter Gott ist. Gott bestraft die Menschen nicht. Und viele Katastrophen, wie Gewalt, Krieg aber auch viele Naturkatastrophen, sind die Ergebnisse des menschlichen Tuns. Diese Antwort werde ich auch dem Schüler während des Religionsunterrichts nächste Woche geben. Gott ist ein guter Gott. Er bestraft die Menschen nicht und bringt auch kein Leid zu den Tieren. Es ist eher die Verantwortung des Menschen das Gute zu suchen, zu wollen und dies auch zu tun. Daher wissen wir, dass auch in unseren dunklen Nächten, auch in der Zeit der Not und der Einsamkeit und der Dürre Gott mit uns ist. Wir wollen in allen Zeiten und unter allen Umständen des Lebens mit der betenden Gemeinde beten: „verlass uns [Gott] nicht!“
Heute feiern wir das Abendmahl miteinander. Das Abendmahl ist eine Gelegenheit ganz persönlich zu Gott zu kommen aber auch mit der Gemeinde unser Gebet, unsere Klagen, unsere Schwierigkeiten und unsere Dankesworte zu Gott zu bringen, sodass wir noch einmal anerkennen, dass Gott allein unsre Hoffnung und unsere Freude ist.
Gottes heilende und rettende Gegenwart wurde uns durch Jesus Christus bestätigt. Und so singen wir auch heute:
„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!
Der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar.“
Und so beten wir mit den beiden Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus Jesus getroffen haben: „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ (Lukas 24,29) Und mit Jeremiah sagen wir: „Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!“ Amen.