Gott wie eine Mutter

Gott wie eine Mutter

 

Jesaja 66,10-14

 

 

 

„Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.

 

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet‘s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.“

 

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Im heutigen Predigttext wird Gott wie eine Mutter beschrieben, die ihr Kind tröstet. Die Mutter verkörpert hier den menschlichen Trost, denn sie geht auf die Not ihres Kindes ein und schenkt ihm mit Worten und Gesten Schutz und Geborgenheit. Und so wird Gott die Israeliten trösten, wie dies eine Mutter ihrem Kind tut. Im Buch des Propheten Hosea (11,3-4) ist Gott auch wie eine Mutter auf solche Weise zu erleben, dass die Erfahrung des Muttertrostes als Gleichnis für den Gottestrost dienen wird:

 

„Und ich war es doch, der Ephraim gehen lehrte, der sie auf seine Arme nahm. Aber sie haben nicht erkannt, dass ich sie heilte. Mit menschlichen Banden zog ich sie, mit Seilen der Liebe; ich hob ihnen gleichsam das Joch auf vom Kinn und neigte mich zu ihnen, um ihnen Nahrung zu geben.“

 

Oft ist unsere Sprache, liebe Leserinnen und Leser, auch die Sprache der Theologie und der Bibel, männlich geprägt. Um eine tiefere Dimension des Trostes zu erfahren - so wie es in unserem Text dem Volk Israel versprochen wurde - werden wir heute versuchen uns Gott wie eine Mutter vorzustellen.

 

Der Text lädt das Volk ein, sich für Jerusalem zu freuen. Wie aber könnte das Volk sich in aller Unsicherheit und Verzweiflung freuen? Jerusalem wurde im Jahre 586 v.Chr. durch Nebukadnezar zerstört und ein großer Teil des Volk Israels ins babylonische Exil verschleppt. Und nun nach ca. 80 Jahren war die Stadt Jerusalem immer noch ein Trümmerfeld. Die Nachkommen der verschleppten Bewohner Jerusalems sind nun da. Sie kamen mit Erwartungen zurück in das Heimatland ihrer Eltern. Die Zerstörungen durch die Babylonier waren aber noch spürbar und die Bewohner des Landes waren nicht besonders begeistert die Neuangekommenen zu empfangen. Und hier kommt der prophetische Ruf im Kapitel 60 des Buch Jesajas: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!“

 

Und in unserem Text spricht der Prophet weiter: „Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.“

 

Ist es überhaupt denkbar in so einer traurigen Situation Freude zu erfahren? Ist es überhaupt möglich die Hoffnung in allem Leid und Schmerz nicht zu verlieren? Wenn ja, wie denn? Wo findet man die Hoffnung und die Liebe, den Trost und die Zuversicht? Wie könnte man den Mut nicht verlieren, sich aufzumachen und Licht zu werden?

 

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“.

 

Kinder haben oft volles Vertrauen in die Eltern. Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere würde ich sagen, mir schien die ganze Welt friedlich zu sein, wenn ich meine Mutter friedlich gesehen habe. Es ist irgendwie eine geheimnisvolle Beziehung, die eine Mutter mit ihrem Kind verbindet. Und wenn wir an einen Säugling oder an ein Kleinkind denken, wissen wir wie unersetzbar eine Mutter ist. Freude, Frieden und Trost saugt ein Kind mit der Muttermilch auf. Daher kann eine Mutter ihr Kind immer trösten. Oft reicht es einem Kind, wenn die Mutter ihn in den Arm nimmt und tröstet. Die aufopfernde Liebe einer Mutter ist daher mit der aufopfernden Liebe Gottes vergleichbar. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Mutter, und der Vater, für ihre Kleinkinder sind, wie Gott für sein Volk ist.

 

Wenn das Kind erwachsen wird, wird dieses volle Vertrauen in die Mutter und den Vater durch andere Dinge ersetzt. Was denn kann dieses Vertrauen, das Muttervertrauen, ersetzen? Natürlich kann man hier viele Antworten geben, mir aber scheint, dass das Muttervertrauen des Kindes sich zum Gottesvertrauen entwickeln soll, denn Gottesvertrauen schafft im Menschen eine Dimension des Seins, die sonst im Leben des Menschen fehlen würde. Was ist dies für eine Dimension des Seins, welche nur durch Gottesvertrauen möglich ist?

 

Diese Dimension, liebe Leserinnen und Leser, ist genau dieses Vollvertrauen eines Kindes gegenüber seiner Mutter. Gottvertrauen ist so ein vergleichbares Gefühl zum Gefühl eines Kindes, ein vergleichbares Erlebnis, denn nur durch dieses Gottvertrauen kann man Trost auch mitten im Wahnsinn und Freude mitten im Leid erfahren.

 

 

 

Es ist, liebe Leserinnen und Leser, wie ein Kind, das alles hat, wenn es seine Mutter bei sich hat; so sind wir, wir haben alles wenn wir Gott bei uns haben.

 

Und Gott ist immer bei uns. Gott ist bei uns und wohnt in unserem Herzen, wann immer wir unser Herz für ihn aufmachen.

 

Warum schaffen wir denn oft nicht Gottes Dabeisein, Gottes Trost und Fürsorge zu erfahren? Ich kann mir hier denken, nämlich, dass der Mensch oft auf der Suche nach etwas Neuem ist, nach etwas, das außerhalb seiner selbst steht, dass wir oft so sehr zu allen Dingen in der Welt hingezogen sind, sodass wir nicht mehr die Zeit haben an Gott und an unser Leben ernsthaft zu denken. Demzufolge sind wir oft nicht auf das Alleinsein vorbereitet. Das Alleinsein oder das Zuhause-bleiben klingt oft als ob etwas nicht stimmt, als ob man nicht mehr zeitgemäß lebt. Das übliche Bild ist heutzutage das der erfolgreichen Person, die mobil ist, die viel unterwegs und dynamisch ist. Man könnte sich heutzutage keine Ferien und keinen Urlaub vorstellen, ohne dass man stundenlang im Auto, Flugzeug oder der Bahn verbringt. Demzufolge dürfen wir uns vorstellen wie schwierig die heutige Situation für unsere Gesellschaft ist. Wir sind und dürfen, wegen der Corona-Krise, nicht mehr mobil sein, nicht mehr reisen.

 

Der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal hat in seinem Les Pensées geschrieben:

 

„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“

 

Mir scheint, dass wir oft auf der Flucht sind. Vielleicht wollen wir durch Mobilität und die vielen anderen Beschäftigungen die Verringerung unserer geistigen Mobilität ausgleichen. Wir vergessen aber oft, dass wir uns dem was wesentlich zu uns gehört und was wir ursprünglich sind und werden, nur in Ruhe nähern dürfen.

 

Heute erleben wir eine Art des Exils, so ähnlich wie damals, als sich das Volk Israel nach der assyrischen und babylonischen Eroberung des Landes in Babylon befand. Glücklicherweise dürfen wir heute zu Hause bleiben. Die Israeliten haben aber in der Zeit des Exils ihr Leben überdacht. Sie haben sich an ihre Erfahrungen mit Gott erinnert und diese aufgeschrieben. Das Exil war für sie eine Chance, sich ihrer Vergangenheit mit Bewusstsein zu nähern und sich hoffnungsvoll auf die Zukunft vorzubereiten. Daher sind wir heute auch eingeladen unser Leben und alles was im Leben zählt zu überdenken. Wir sind aber auch eingeladen, die Hoffnung nie zu verlieren.

 

In dieser Zeit, wenn keine Gottesdienste mehr gefeiert werden dürfen, läuten wir die Kirchenglocken täglich und entzünden wir eine Kerze und stellen sie ans Fenster. Dies machen wir, liebe Gemeinde, als Zeichen der Hoffnung, die nie auslöschen darf. Wir machen dies mit dem Bewusstsein und als Zeichen, dass die Kirche lebt und, dass die Kirche immer ein Licht in der Welt zu tragen berufen ist. Wir wollen eine Kirche sein, die mitten im Leid und der Dunkelheit die Muttersprache des Trostes und des Vertrauens spricht.

 

Vergessen Sie nicht: Gott ist zu uns Menschen Vater und Mutter, und wir haben alles, wenn wir Gott haben.

 

„Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!“ Amen.

 

 

 

 

 

Gott, unser Vater, unsere Mutter,

 

unser Trost, unsere Hoffnung,

 

unser Leben, unsere Zukunft,

 

unser Alles, was wir brauchen und sind.

 

Gott komm und vergib uns.

 

Vergib, dass wir oft keine Zeit für dich hatten,

 

dass wir uns so sehr mit allem anderen

 

und mit uns selbst beschäftigten,

 

vergib, denn wir horchten deiner Stimme oft nicht

 

und deine Zärtlichkeit missachteten wir oft.

 

Gott, unser Vater, komm und schenke uns deinen Frieden,

 

Gott, unsere Mutter, komm und tröste uns.

 

 

 

Sei du Gott mit allen Kranken in der Welt,

 

mit allen, die Leid tragen.

 

Gib ihnen Kraft um auszuhalten.

 

Gib Hoffnung; Hoffnung auf ein besseres Leben, ein erfülltes Leben.

 

Sei du Gott mit Allen, die anderen dienen,

 

den Ärzten, den Pflegern, den Politikern,

 

denjenigen, die in Supermärkten arbeiten

 

und an vielen anderen Stellen Menschen Dienste leisten.

 

Hilf, dass sie ihren Einsatz mit Freude machen,

 

und nur aus aufopfernder Liebe handeln.

 

Komm Gott, unser Vater und unsere Mutter,

 

unsere Stärke und Zuflucht.

 

 

 

Komm, denn wir fürchten uns nicht

 

„wenngleich die Welt unterginge

 

und die Berge mitten ins Meer sänken,

 

wenngleich das Meer wütete und wallte

 

und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“ (Ps.46,3-4)

 

Komm Gott, unsere Zuversicht und Stärke,

 

komm, und tröste uns. Amen.