Die Wunder des Geistes
(Apostelgeschichte 2,1-13)
In der Geschichte des christlichen Glaubens hat nichts den Glauben mehr beschädigt, als die wörtliche Auslegung der biblischen Texte und die Verobjektivierung des Glaubens. Der Geist Gottes, welcher heute im Mittelpunkt der Predigt steht, ist aber kein Objekt. Der Geist ist frei und ist jenseits aller Grenzen. Daher, liebe Gemeinde, sollen wir immer wieder daran denken, auch wenn wir nun den Predigttext lesen, dass der Geist frei ist. Der Geist und das Wirken des Geistes werden dabei immer durch eine symbolische, bildliche Sprache beschrieben. Und so lesen wir den Predigttext für heute, der im Buch der Apostelgeschichte Kap.2 steht:
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Dann kam der Pfingsttag. Alle, die zu Jesus gehört hatten, waren an einem Ort versammelt.
Plötzlich kam vom Himmel her ein Rauschen wie von einem starken Wind. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich aufhielten. Dann erschien ihnen etwas wie züngelnde Flammen. Die verteilten sich und ließen sich auf jedem Einzelnen von ihnen nieder. Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt. Sie begannen, in fremden Sprachen zu reden – ganz so,
wie der Geist es ihnen eingab. In Jerusalem lebten auch fromme Juden aus aller Welt, die sich hier niedergelassen hatten. Als das Rauschen einsetzte, strömten sie zusammen. Sie waren verstört, denn jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Erstaunt und verwundert sagten sie: »Sind das denn nicht alles Leute aus Galiläa, die hier reden? Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? Wir kommen aus Persien, Medien und Elam. Wir stammen aus Mesopotamien, Judäa, Kappadozien, aus Pontus und der Provinz Asien, aus Phrygien und Pamphylien. Aus Ägypten und der Gegend von Zyrene in Libyen, ja sogar aus Rom sind Besucher hier. Wir sind Juden von Geburt an und Fremde, die zum jüdischen Glauben übergetreten sind. Auch Kreter und Araber sind dabei. Wir alle hören diese Leute in unseren eigenen Sprachen erzählen, was Gott Großes getan hat.« Erstaunt und ratlos sagte einer zum anderen: »Was hat das wohl zu bedeuten?«
Wieder andere spotteten: »Die haben zu viel neuen Wein getrunken!«
(Basisbibel)
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Am Pfingsttag waren die Apostel an einem Ort versammelt. Der Pfingsttag, auf Griechisch πεντηκοστὴ [pentēkostē], welcher 50. bedeutet, war der fünfzigste Tag (πεντηκοστὴ ἡμέρα) nach
dem Passafest. An diesem Tag wird ein jüdisches Fest gefeiert, das Wochenfest, welches ursprünglich ein Erntefest war. Und dies erklärt warum viele Juden aus vielen anderen Ländern in Jerusalem
versammelt waren. Die ersten Nachfolger Jesu, nämlich die Apostel und die Frauen die Jesus begleiteten, hatten sich wahrscheinlich versteckt, denn sie hatten immer noch Angst aufgrund dessen, was
alles mit Jesus und seinem Tod passiert ist.
Die symbolische Sprache des Textes ist durch einige Ausdrücke gekennzeichnet, die ein Wunder beschreiben. Und so lesen wir: Plötzlich kam vom Himmel her ein Rauschen wie von einem
starken Wind. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich aufhielten. Dann erschien ihnen etwas wie züngelnde Flammen. Die verteilten sich und ließen sich auf jedem Einzelnen von ihnen
nieder“. In diesen Versen ist der Heilige Geist als Wind und Feuer dargestellt. Diese Bilder sind für die biblische Sprache nicht neu. Auch im Alten Testament wurde Gott als Feuer und Wind
beschrieben. Der Wind gibt immer eine Führung und zeigt den Weg und das Feuer reinigt aber auch und schenkt Wärme und Licht. So wurde auch hier der Geist Gottes beschrieben als der Geist, der
führt aber auch die Wärme schafft. Durch den Geist predigten die Apostel in anderen Sprachen und anderen jüdischen Dialekten der Pilger. Damit konnten die Besucher, die „aus allen Völkern“ in
Jerusalem versammelt waren, die Worte der Apostel verstehen, die Gott und Gottes Heil verkündeten.
Und nun wollen wir fragen: wo liegt das Wunder von Pfingsten?
Es ist so, dass dieser Text oft gelesen wurde mit dem Fokus darauf gerichtet, dass die Apostel durch den Heiligen Geist in anderen Sprachen geredet haben. Dies hat sich in das was als das Wunder der Zungenrede bekannt ist entwickelt. Wir dürfen aber eins nicht vergessen: Die Erzählung vom Pfingsten in der Apostelgeschichte deutet an, dass die Apostel in fremden Sprachen geredet und die anderen Völker ihre Worte verstanden haben. Das Ziel war, dass alle Besucher des jüdischen Festes die Predigtworte der Apostel verstehen, sodass sie zusammen zum Glauben kommen. Das ist, liebe Gemeinde, anders als was in einigen kirchlichen Traditionen als Zungenrede, im Sinne vom Reden unverständlicher Sprachen, bekannt ist. Das Ziel des Pfingsten ist nicht bloß ein Wunder zu haben, nämlich ein Wunder zu erleben oder dies zu wirken, im Sinne vom Reden unverständlicher Sprachen.
Das Wirken des Geistes in uns, liebe Gemeinde, hat nichts mit chaotischen Äußerungen eines sorglosen Ausbruchs und erregten Gefühlen zu tun. Diese können augenblicklich die Menschen fehlleiten und dafür gibt es zahleiche Beispiele in der Geschichte der Menschheit. Dass die Apostel in fremden Sprachen oder Dialekten reden konnten hat dazu beigetragen, dass die fremden Menschen ihre Worte verstanden. Wozu sonst dienen die Worte, wenn diese nicht zu verstehen sind?
In diesem Sinne verliert die Zungenrede, im Sinne vom Reden unverständlicher Sprachen an Bedeutung. Sprachen haben ein Ziel, nämlich Menschen, Kulturen und menschliche Geschichten für einander zu öffnen, diese zusammenzubringen. Sprachen helfen, sich mit anderen und auch fremden Menschen verständigen zu können, sodass eine Art der Verbundenheit möglich wird. Wenn man die Sprache anderer Menschen nicht kennt, dann wirkt die Sprache als Hindernis. Und hier sehen wir, dass durch den Geist das Hindernis der fremden Sprache überwunden wird.
Das Wunder des Pfingsten, liebe Gemeinde, ist daher nicht, dass die Apostel andere Sprachen geredet haben. Das Wunder des Pfingsten ist vielmehr, dass Menschen aus verschiedenen Herkünften, die in verschiedenen Sprachen und Dialekten sprachen einander verstehen und miteinander eine Gemeinde werden konnten. Das Wunder des Pfingsten ist, dass die Apostel sich für den Geist öffneten und dass fremde Menschen berührt und bewegt wurden und sich angesprochen fühlten. Menschen aus vielen Völkern wurden zu einer Gemeinschaft gemacht; eine Gemeinschaft der Fremden.
Viele waren am Tag des Pfingsten erstaunt und berührt, es gab aber auch andere die spotteten. Und dies ist, liebe Gemeinde, unvermeidbar. Dies soll aber keinen Grund für uns sein, die Mission der Apostel nicht selbst weiterzutragen, nämlich, dass wir auch die Liebe Gottes mit anderen Menschen teilen.
Zum Wunder des Pfingsten gehört dann auch die Gründung einer Mission, die alle Sprachbarrieren überwindet. In diesem Sinne deutet Pfingsten nicht den Anfang des Wirkens des
Geistes an. Der Heilige Geist ist und wirkt immer und im heutigen Predigttext wirkt er besonders als die treibende Kraft der Mission der Apostel. Diese Mission steht in Kontinuität zur Mission
Jesu. Dieselbe Mission Jesu wird nun von den Aposteln durch den Heiligen Geist übernommen. Im Brief an die Epheser wurde auch die Ausgießung bzw. Herabsendung des Geistes und die
Himmelfahrt Jesu Christi als ein und dasselbe Ereignis dargestellt: „Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er alles erfülle.“
(Epheser 4,10 – Schlachter Bibel) Daher können wir sagen, der Heilige Geist wirkt immer, wir sollen aber uns für den Geist öffnen, wie die Apostel dies gemacht haben. Und im
heutigen Text verbindet der Geist wie ein Bund die Mission Jesu mit der Mission der Apostel. Der Heilige Geist verbindet auch die Menschen miteinander und die Menschen mit Jesus und Gott, dem
Vater. Denn der Geist ist der Geist Gottes und der Geist Christi, gleichzeitig wohnt er aber auch in uns, in mir und in dir.
Liebe Gemeinde, der Heilige Geist hat den Aposteln die Kraft gegeben, sich nicht mehr zu verstecken und nicht die Opfer ihrer eigenen Ängste zu sein, sondern in die Öffentlichkeit zu
gehen und das Wort Gottes zu predigen. Dies ist das Wunder des Geistes.
Das Pfingstwunder geschieht auch heute wann immer wir uns dem Geist öffnen, sodass er in uns wirkt. Am Pfingsttag, vor ca. 2000 Jahren, hat die Kirche einen Vorgeschmack einer universalen Kirche erlebt; eine Kirche die zwischen Farben, Nationalitäten, Herkünften und Sprachen der Menschen nicht unterscheidet. Heute, wenn wir und für den Geist öffnen, wenn wir die vergangenen Bitterkeiten unseres Lebens vergessen können, wenn wir anderen vergeben und lieben können, wenn wir mit Fremden eine gemeinsame Sprache finden, auch wenn diese keine perfekte Sprache ist, wenn wir im Herzen eine unbegrenzte Hoffnung für eine bessere Welt haben, ein Verlangen, das innerlich brennt; ein Verlangen, das über die Grenzen dieser Welt den bedrängten Menschen Hoffnung zu schenken ersehnt, wissen wir, dass all diese die Wunder des Geistes sind. Amen.
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Himmlischer Vater,
wir danken dir, dass du uns Menschen im Leben gegeben hast;
Menschen mit denen wir eine Familie, eine Gemeinschaft und deine Gemeinde sein können.
Danke für die Menschen, die uns lieben und wir sie
und für die Gelegenheiten einander zu bestärken, und aufzurichten.
Vergib uns, wenn wir oft verzagt und entmutigt wirken
und uns nicht für dich und für andere öffnen wollen.
Verleihe uns Gott deinen Geist,
sodass wir damit die Barrieren und Hindernisse bewältigen können.
Schenke unserer Kirche, unserer Gemeinde und unserer Familie die Verbundenheit deines Geistes.
Jesus Christus, komm zu uns,
komm besonders, wenn uns die Kraft und die Gewissheit fehlt,
das zu tun wofür du uns beauftragst.
Komm und hilf, dass wir unverdrossen wirken,
komm und hilf uns auf andere zuzugehen
und mit den anderen eins zu werden,
wie du mit dem Vater eins bist.
Heiliger Geist, schenke uns heute und an jedem Tag Mut zum Wagnis,
uns für dein Licht und deine Wärme zu öffnen.
Schenke uns Mut zum Wagnis dir zu folgen,
deine Stimme zu hören, dich zu fühlen,
und den Weg zu gehen;
den Weg, der uns in die Weite führt.
Komm Heiliger Geist und wohne in uns und in unserer Mitte
und sei du unsere Kraft, unser Trost und unsere Zuversicht. Amen.