Ein Moment des Harrens

Ein Moment des Harrens

(Numeri 6,22-27)

 

„Und der Herr redete mit Mose und sprach:

 

Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:

 

Der Herr segne dich und behüte dich;

 

der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;

 

der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

 

So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“

 

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Liebe Gemeinde, heute wollen wir uns Gedanken über die Trinitätslehre der Kirche machen. Obwohl der Glaube an Gott ist so alt wie die Geschichte der Menschheit, wurde die Trinitätslehre erst nach dem 4. Jahrhundert nach Christus entwickelt. Es war Jesus Christus, weshalb die Vorstellungen eines dreieinigen Gottes entstanden sind. Durch die Geschichte hindurch gab es viele Versuche die Trinitätslehre zu erklären und diese verständlich zu machen. Dies ist aber nicht unser Ziel heute. Heute versuchen wir uns dem Thema „Trinität“ oder der „Dreieinigkeit Gottes“ durch unsere eigenen Empfindungen und Erfahrungen des Glaubens zu nähern.

 

Ein traditioneller Weg sich in die Trinitätslehre finden zu können wäre es, einen Blick auf das Glaubensbekenntnis zu werfen, da der dreieinige Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist dort ausgerufen wird. Heute gehen wir einen ähnlichen Weg, aber hauptsächlich wollen wir den Predigttext näher betrachten. Im heutigen Predigttext aus dem Alten Testament steht der aaronitische Segen, mit dem wir uns am Ende des Gottesdienstes jeden Sonntag verabschieden. Aaron war der ältere Bruder Moses, derjenige, der Mose bei der Befreiung des jüdischen Volkes aus dem Land Ägypten geholfen hat. Er hatte auch das Amt des Hohenpriesters inne und war für das liturgische Beten zu dieser Zeit zuständig und dies erklärt warum ihm diese Segensworte anvertraut wurden. Wie hilft uns der aaronitische Segen heute uns Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist zu nähern?

 

Und so lauten die ersten Worte des Segens:

 

Der Herr segne dich und behüte dich;

 

Der, der uns alle segnet und behütet ist Gott der Vater, der uns das Leben schenkt und dies für uns behütet. So lesen wir im ersten Buch Mose, dass Gott das Licht und die Finsternis, die Erde und den Himmel, mit allem was zum Himmel und zur Erde gehört schuf und er es segnete. Derjenige, der hinter all diesen steht behütet aber auch all dies. Wir vertrauen, dass unser Leben und alles was uns umgibt in der Hand Gottes steht. Tief im Herzen dürfen wir in den meist schwierigen Zeiten, wenn unser Herz uns Sorgen macht, auch wenn wir wie Jesus in Todesangst geraten, dürfen wir, wie Jesus, beten und sagen: „Vater, … nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lukas 22,42-44) Jesus hat auch am Kreuz gebetet: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Luks 23,46)

 

Unser Vertrauen und unsere Hoffnung, liebe Gemeinde, gründen allerdings nicht auf Beweisen oder Nachweisen, den vieles verstehen wir nicht und dies erklären können wir auch nicht. Wir können z.B. nicht sagen, wie das Ganze zustande gekommen ist. Wie wir heute und jetzt hier sein dürfen, oder überhaupt leben können, denn auch unser Leben haben wir geschenkt bekommen. Deshalb ist Gott für uns so nahe, wie ein Vater; ein Vater, der uns kennt, ein Vater, der uns liebt, aber auch ein Vater, dem wir uns mit Demut und Ehrfurcht nähern können, denn er ist und bleibt für uns ein Geheimnis, ein Mysterium, das jenseits unserer Begreifbarkeit steht: ein Mysterium aber zu dem wir alle gehören.

 

Der zweite Satz des aaronitischen Segens lautet:

 

der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;

 

Liebe Gemeinde, das Angesicht Gottes haben wir in Jesus Christus gesehen. In ihm sehen wir auch heute das leuchtende Angesicht des Vaters. Das Leben und der Tod Jesu wird in der Bibel und in der Geschichte der Kirche und der Theologie oft mit Gnade verbunden, denn durch Jesus ist uns ein Blick auf das Herz Gottes gewährt. Durch Jesus erfahren wir was Vergebung bedeutet und wie Vergebung wirkt. Durch Jesus erfahren wir, dass Vergebung neues Leben schenkt, einen neuen Anfang ermöglicht, nicht nur für diejenigen, denen etwas vergeben wird, sondern auch für jene, die vergeben können. Ohne Jesus würden wir wenig über die Liebe, die Barmherzigkeit und die Gnade Gottes sagen können. In Jesus und durch Jesus erfahren wir die grenzenlose Liebe und die umfassende Gnade Gottes.

 

Und so lauten auch die Segensworte im zweiten Brief des Apostel Paulus an die Korinther: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus … sei mit euch allen!“ In Jesus und durch Jesus streben wir aber auch nach der Vollkommenheit unseres Seins, denn Jesus ist der gehorsame Sohn des Vaters, er ist der Mensch, der vollkommene Mensch und in seinem Licht sehen wir das Licht in unserem Leben. Das Licht Jesu verwandelt auch uns wann immer wir ihn suchen und sein Licht aus uns hervorholen.

 

Das Angesicht Gottes dürfen wir aber auch in jedem Menschen sehen, in den leuchtenden Augen der Jungen und Alten, in den Reichen und Armen, in dem Gläubigen und Ungläubigen, in dem Guten und dem Bösen, in dem Bekannten und Fremden. Das leuchtende Angesicht Gottes strahlt für uns und vor uns jeden Tag in den vielen und verschiedenen strahlenden menschlichen Gesichtern. Und nur wenn wir dies schaffen, nämlich wenn wir das Angesicht Gottes in den Menschen suchen und sehen können, erfahren wir die Gnade Gottes in ihrer Weite und Tiefe.

 

Und die letzten Worte des Segens lauten:

 

der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

 

Das Angesicht kommt hier wieder vor. Wir heben unser Gesicht, wenn etwas Wichtiges für uns vorkommt, wenn wir für einen anderen da sein wollen und durch diesen Blickkontakt ein Moment der Begegnung geschieht. Hier ist es sogar mehr als nur das Gesicht heben. In den Segensworten heißt es: „der Herr hebe sein Angesicht über dich“. Dieses „über dich“ würde bedeuten, dass wir für Gott so wichtig sind, dass seine Präsenz und seine Liebe uns umgibt und sogar „über“ uns ist wie der liebende Blick einer Mutter auf ihr Kind. Jeder Moment in unserem Leben, liebe Gemeinde, wenn uns das Bedeutungsvolle begegnet, jeder Moment, wenn uns das Leuchtende, Strahlende umgibt, jede Gelegenheit des Ganzwerdens und der Erhabenheit kommt zu uns aus dem strahlenden Angesicht und Anblick Gottes.

 

„ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ (Epheser 4,5). Es ist der Heilige Geist, der Geist des Vaters und des Sohnes, der über uns, durch uns und in uns ist und wirkt. Der Geist, der uns Frieden schenkt.

 

Und nun, reicht es, wenn wir über Gott wissen? Nikodemus, ein Pharisäer und ein Oberhaupt der Juden, wusste auch vieles über Gott. Er kam einmal bei Nacht zu Jesus und sagte ihm: wir wissen, dass du von Gott gekommen bist. Jesus antwortete: „Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ (Johannes 3,3) Wahrscheinlich meinte Jesus damit, dass das Wissen nicht reicht. Wir brauchen ein neues Leben, ein Leben, das zum Reich Gottes gehört, ein Leben, das nur durch und im Geist möglich ist.

 

Liebe Gemeinde, wenn wir uns noch einmal über die Bedeutung der Trinitätslehre Gedanken machen sehen wir, dass diese die gegenseitige Wechselwirkung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen beschreibt. Der Vater schafft und behütet, der Sohn harrt auf den Vater und gehorcht. Und der Heilige Geist ist der Geist des Vaters und des Sohnes und damit bringt er beide miteinander. Alle drei „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ sind dann Ausdrucksformen unserer Erfahrungen Gottes. Des Weiteren bringt der Heilige Geist uns mit dem Vater und mit dem Sohn zusammen und macht aus uns, den Menschen, eine Gemeinschaft; eine Gemeinschaft der Töchter und der Söhne Gottes.

 

In diesem Sinne markiert der aaronitische Segen am Ende eines Gottesdienstes das Moment unseres Wartens und Harrens auf Gott. Sodass wir auch, die Töchter und die Söhne Gottes, mit und durch den Segen Gottes in die Welt gehen.

 

Gott sei uns gnädig und segne uns,

 

er lasse uns sein Antlitz leuchten,

 

dass man auf Erden erkenne seinen Weg,

 

unter allen Heiden sein Heil. (Ps. 67,1-2)

 

Amen.