Das Mahl der Liebe

Das Mahl der Liebe

(Heb. 13,1-3)

 

„Bleibt fest in der brüderlichen Liebe! Vernachlässigt nicht die Gastfreundschaft; denn durch sie haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Gedenkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und derer, die misshandelt werden, als solche, die selbst auch noch im Leib leben.“ (Schlachter Bibel)

 

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„Vernachlässigt nicht die Gastfreundschaft“. Essen und Trinken, Feiern und Teilen gehören zum christlichen Glauben und damit auch zum Thema des heutigen Gottesdienstes.

 

Und wenn wir fragen warum die Gastfreundschaft so wesentlich zum christlichen Glauben und zur Kirche gehört finden wir die Antwort schon im ersten Satz des heutigen kurzen Predigttextes: „Bleibt fest in der brüderlichen Liebe!“ Die Kirche, liebe Gemeinde, hält zusammen nur durch die Liebe. Hier ist bemerkenswert, dass in der ursprünglichen griechischen Sprache das Wort für Liebe nicht Agape [die Liebe Gottes] sondern φιλαδελφία [philadelphía] die brüderliche Liebe ist. Im Neuen Testament ist mit „brüderliche Liebe“ die Liebe gemeint, die wir für jeden anderen als Bruder oder Schwester haben.

 

Kann jeder anderer Mensch, auch der Fremde, von mir als Bruder oder Schwester gesehen werden? Die Frage ist hier auf der menschlichen Ebene gestellt. Wir erfahren weiter im Text, dass diese brüderliche Liebe die Gastfreundschaft erfordert: „Vernachlässigt nicht die Gastfreundschaft; denn durch sie haben etliche (und hier ist Abraham gemeint) ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Wir werden weiterhin gefordert besonders an die Gefangenen und an die Misshandelten fürsorglich zu denken, als wären wir Mitgefangene.

 

Wenn wir heute, liebe Gemeinde, über die Gastfreundschaft reden ist damit nicht bloß gemeint, dass wir dem anderen geben, was ihn sättigt, sondern mehr. Was ist das Mehr, das die Gastfreundschaft in Anspruch nimmt?

 

Ein Element der Gastfreundschaft sind vor allem die Güter, die man mit Dankbarkeit mit anderen teilen will. Die einfachen Güter der Erde, die Lebensmittel, die Gemüse, die Speise, die man sorgfältig vorbereitet um diese den anderen anzubieten; diese stehen für unsere leibliche Existenz. Durch Gastfreundschaft werden die Lebensmittel aber auch zu Zeichen der Liebe; Zeichen für das was jenseits ihrer irdischen Existenz steht. Denn durch diese wird dem Anderen die Gelegenheit gegeben, sich nicht nur leiblich, sondern auch geistlich zu beleben. Wieso steht nun das Brot für das Geistliche, oder das Spirituelle? Das Brot, liebe Gemeinde, steht hier für das was der Mensch zum Leben braucht aber auch für das, was einem anderen schenkt, sodass der andere auch das Notwendige für das Leben hat.

 

Durch dieses Schenken wird dem Brot, der Lebensmittel und der Gemüse eine geistliche Bedeutung verliehen. Sie werden mehr als nur irdisch. Durch die Pflege der Gastfreundschaft werden sie zu Gott erhoben, ihnen wird ein Sinn, eine Bedeutung verliehen. Durch das Schenken und die Gastfreundschaft wird die Natur gesegnet. Und so haben auch die Jünger Jesu ihn erst beim Brotbrechen erkannt. Als diese von Jerusalem nach Emmaus gingen nahte Jesus sich und ging mit ihnen. Während des ganzen Wegs nach Emmaus und der langen Diskussion, die die Jünger mit Jesus führten konnten sie ihn erst erkennen, als er das Brot nahm, dankte, es brach und es ihnen gab. Vor diesem Hintergrund, liebe Gemeinde, feiern wir das Abendmahl mit Brot und Wein. Jesus sagte: „ich bin das Brot des Lebens“ und damit ist gemeint, dass wir ihn zum Leben brauchen. Damit ist aber wahrscheinlich auch gemeint, dass Jesus sich selbst für den anderen opfern wird, sodass sie alle das wahre Leben haben. Hier helfen uns die Worte eines Theologen, der einmal schrieb: „Brot ist für mich eine materielle Frage. Brot für meinen Nächsten ist eine spirituelle Frage [eine spirituelle Angelegenheit].“ (Berdyaev)

 

Zur Gastfreundschaft gehören aber auch der Gast und der Gastgeber, nämlich das Du und das Ich. Und dann passiert etwas Unerwartetes. Die Gastfreundschaft macht es möglich, dass der Andere sich öffnet und sich zeigt wie er wahrlich ist, wie er denkt und handeln will, und damit die Unklarheiten und die Verwirrungen, die mit den Anderen verbunden waren, plötzlich verschwinden. In einem Augenblick erfährt man, dass der Andere auch ein Mensch ist, wie er selbst, mit allem was zum Menschsein gehört. Der Andere wird die Chance haben sich auszudrücken, sich zu erklären; die Enttäuschungen seines Lebens aber auch die Erfolge zu benennen. Die Gastfreundschaft macht es aber auch möglich, dass wir, dass ich, nämlich der Gastgeber sich öffnet. Ist es nicht so, liebe Gemeinde, dass wir auch den Anderen brauchen um uns öffnen, uns zeigen zu können? Brauchen wir nicht den Anderen um zu sagen was und wer wir sind? Brauchen wir nicht Zeugen für unser Leben, für unsere Vergangenheit und die erhoffte Zukunft? Ist es nicht so, liebe Gemeinde, dass uns manchmal schwerfällt, dass wir mit dem Tod einfach so vergehen werden ohne hinter uns etwas zu lassen, eine Erinnerung vielleicht, oder eine Gelegenheit, dass andere an unserem Leben teilgenommen haben?

 

Die Gastfreundschaft bietet uns dann auch die Gelegenheit uns selbst zu zeigen, die Geschichte unseres Lebens zu erzählen und mit der Erzählung das Gute in unserem Leben zu bewahren und das was ungut, oder schlecht war weg zu lassen, los zu lassen. Mit der Erzählung werden wir bestätigen wollen, dass wir gute Menschen sind und das sind wir auch, denn der Mensch ist auch die Worte, die er spricht. Mit jeder Erzählung und jeder Bestätigung des Guten im Leben wird uns die Gelegenheit geschenkt, die Gelegenheit der Vergebung und der Versöhnung; die Gelegenheit, dass wir alles überdenken und vielleicht anders wollen.

 

Mit jeder Gelegenheit des Sich-öffnens werden wir die Chance haben etwas anderes, etwas Neues zu werden. Die Gastfreundschaft macht dann für uns möglich, dass wir die Güter der Erde, unsere Leben aber auch unsere Gäste zu Gott hervorheben. Demensprechend treten wir, liebe Gemeinde, durch Gastfreundschaft außerhalb unserer verdinglicht- physischen Wirklichkeit. Und auf einmal erfahren wir die Verbundenheit mit Gott und Mensch. In diesem Sinne schenkt uns die Gastfreundschaft die Gelegenheit aus uns selbst herauszutreten und in Gott gehoben zu werden und damit auch die Chance ein neuer Mensch zu sein.

 

Hier ist die Geschichte von Zachäus kaum fernzuhalten. Zachäus, der wahrscheinlich ein ungerechter Zöllner seiner Zeit war, unbeliebt bei den Menschen, durfte Jesus bei sich beherbergen. Nachdem Jesus bei ihm einkehrte, entschied er die Hälfte seines Besitzes den Armen zu geben und vierfach demjenigen zurückzugeben, den er betrug. In jeder Gelegenheit des Sich-öffnens kommt Christus und macht aus uns neu Menschen und schenkt uns neues Leben.

 

Zudem können wir sagen, dass durch die unseren Mitmenschen entgegengebrachte Gastfreundschaft Gott zu uns kommt und bei uns Herberge nimmt. Demnach ist Gastfreundschaft auch Gottesdienst (Christian Rose, AB Juni 2020), denn damit kommen die Erde und der Mensch mit Gott zusammen und werden eins in Liebe, Fürsorge und Dankbarkeit.

 

Vor dem Schluss der Predigt bleibt noch eins zu sagen: Wir brauchen nicht Viel zu haben um etwas von unserem Hab und Gut mit den anderen zu teilen. Oft reichen einfache Dinge für Gastfreundschaft. Wir werden eher ein gütiges Herz brauchen, das bereit ist sein Eigenes mit den anderen zuteilen und sich zu verschenken.

 

Zum Schluss, liebe Gemeinde, ist jedes schlichte Mahl der brüderlichen Liebe ein Vorgeschmack unserer zukünftigen Hoffnung, wie wir im Glaubensbekenntnis sprechen: Ich glaube an die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. So hat auch Luther die Kirche vorgestellt: eine Gemeinschaft der Heiligen und der Glaubenden, die alles was sie haben, jede Kraft, jede Gabe, ihre Zeit und Gesundheit, im Dienst der Liebe und den Brüdern legen. Durch Gastfreundschaft und das Mahl der Liebe nehmen wir unsere zukünftige Hoffnung, die Gemeinschaft der Heiligen, die nicht mehr hungern oder dürsten werden, vorweg. Und dies tun wir mit Jesus und durch Jesus, der einmal sprach: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ (Johannes 6,35) Amen.

 

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Lieber Gott,

 

wir beten heute und wollen dir danken.

 

Wir danken dir für das Brot, für die Erde, und ihre Früchte,

 

für die Felder, die Natur und die Bäume.

 

Wir danken dir für das Leben und die leibliche Stärkung.

 

Wir danken dir für Jesus Christus,

 

der in diese vergängliche Welt kam,

 

lebte wie wir alle, aß und trank mit den Menschen,

 

saß er zu Tisch vor allem mit den Ausgestoßenen,

 

und feierte mit denen, die von der Gesellschaft abgelehnt worden waren.

 

Durch sein Leben und seinen Tod wurde er für uns das wahre Brot,

 

sodass wir nicht mehr dursten und nicht mehr Hunger haben.

 

 

 

Wir danken dir Gott,

 

auch für die Menschen, die uns umgeben,

 

für alle Erfahrungen der Nächstenliebe und des Teilens,

 

für alle Gelegenheiten der Verbundenheit mit unseren Mitmenschen,

 

besonders mit den Menschen in Not, mit den Fremden und den Bedrängten.

 

Wir bitten dich,

 

verwandle uns zu deiner Gemeinschaft,

 

nimm unsere Furcht und Angst weg, die Angst vor den anderen,

 

die Furcht vor der unbekannten Zukunft.

 

Hilf, dass wir in deiner Liebe leben und bleiben können

 

und unsere Seele nach der Fülle der Liebe ausrichten.

 

Schaffe in uns ein liebendes und hörendes Herz,

 

sodass wir deine Stimme hören

 

und unsere Nächsten lieben können.

 

 

 

Hilf uns Gott,

 

die Liebe nie aufzugeben,

 

auch wenn sie uns oft unzugänglich, anfällig, fehlend oder zaghaft zu sein scheint.

 

Hilf, dass wir lieben lernen.

 

Schenke uns auch Menschen, die uns zuhören,

 

und denen wir wieder und wieder über uns erzählen.

 

Hilf uns Gott hauptsächlich zu sehen, dass alles was wir sind und haben

 

nur aus deiner Gnade ist und nur in dir seine Vollkommenheit findet.

 

Schenke uns Gott deine Gegenwart.

 

Für deine Gegenwart bitten wir dich,

 

komm und sei unser Gast und wir deine Gäste,

 

denn wir wollen nichts anders als bei dir und mit dir zu sein. Amen.