Auf dem Weg des Loslassens
Ökumenisches Pilgern auf den Priorberg
23.08.2020
Liebe Pilgergemeinde, zum Pilgern gehört das Loslassen. Warum?
In einem Wörterbuch habe ich die folgende Erklärung für ‚Pilgern‘ gefunden: „aus religiösen Gründen in die Fremde gehen“. Und natürlich kann man fragen: Was hat das Pilgern mit in die Fremde gehen zu tun? In die Fremde zu gehen, liebe Mitpilgernde, bedeutet vom Punkt Null aus anzufangen. Das wissen wir oft aus Erfahrung, denn in einem fremden Ort müssen wir uns oft alles neu vorstellen, und vieles müssen wir loslassen und neulernen. Mit Pilgern ist es so, dass wir vieles, und wenn wir schaffen, alles, loslassen wollen. Das Loslassen bedeutet hier nicht, dass ich mich unverantwortlich in der Welt und gegen die Mitmenschen verhalte. Ganz im Gegenteil. Das Loslassen bedeutet, dass ich innerlich alles loslasse, alles was mich bedrängt und betrübt, aber auch alles was mich beschäftigt. Ich lasse meine Ängste und Furcht los aber auch das Schöne, das Kostbare und das Edle in meinem Leben. Durch das Loslassen wird in meinem Inneren eine Leere geschaffen; eine Leere, sodass Gott zu mir kommen und in mir Wohnung nehmen kann. Es ist so, liebe Pilgergemeinde, dass wir uns oft so sehr mit unseren Ängsten und unserer Furcht aber auch mit unseren Schätzen beschäftigen, dass für Gott kein Platz mehr bleibt. Wann immer aber Gott zu uns kommt und in uns Raum findet und Wohnung nimmt schenkt er uns Trost, Frieden und Hoffnung. Er schenkt uns die Kraft, dass wir alles im Leben besser machen, dass wir mehr lieben können, dass wir anderen vergeben können, dass wir in Schwierigkeiten uns gedulden und in der Fülle und in Reichtum anderen geben können. Wir werden uns dann nicht verantwortungslos, sondern verantwortungsvoll und verantwortungsbewusst verhalten. Das Loslassen hilft uns, dass wir Gott und Gottes Schöpfung mehr vertrauen, dass wir der Erde und dem Himmel vertrauen.
In diesem Sinne ist das Pilgern nicht nur eine Wanderung, sondern vielmehr ist es eine Meditation, eine Bewegung zu dem Inneren des eigenen Selbst. Daher wollen wir
Sie heute dazu einladen, mindestens einen Teil des Wegs mit sich selbst im Schweigen zu gehen. Nur dann werden wir mit jedem Schritt etwas loslassen können und der Weg, der Weg
wird unser Ziel, denn er ist der Weg des Loslassens und der Freiheit. Mit jedem Schritt werden wir vergessen was hinter uns liegt und uns nach dem ausstrecken, was vor uns
liegt.
Station 1: Erstes Wegkreuz
Impuls [Steine für Ängste/ Vorurteile/ Schuld]: (Gemeinder)
Station 2: Zweites Wegkreuz
Impuls [Dornen für Konflikte mit anderen/ Schwierigkeiten im Leben]: (Avakian)
Hier im beiliegenden Korb gibt es viele Dornen. Und so ist auch unser Leben, es hat auch viele Dornen, die oft nicht zu vermeiden sind. Heute denken wir besonders an zwei Dornen, die
unser gemeinsames aber auch privates Leben oft verletzten und zerstören können. Mittels des ersten Dorns denken wir heute an alle Konflikte unter Menschen, unter Kirchen, Religionen, Nationen,
Länder und Denominationen, aber auch die kleineren Konflikte in unserem Leben. Konflikte gibt es immer wieder, denn jeder will seinen eigenen Standpunkt, seine eigenen Behauptungen als richtig
beweisen. Heute wollen wir unsere Behauptungen, unsere Überzeugungen loslassen. Für ein Moment wollen wir alles vergessen, hinter uns lassen. Wir wollen in uns eine Leere schaffen; eine Leere für
Gott und andere Menschen. Wir wollen einfach mit den anderen mit Liebe und Respekt zusammenleben, alle Menschen, ohne Voraussetzungen, ohne Präferenzen. Wir wollen auch unsere privaten Konflikte
hinter uns lassen. Vielleicht schaffen wir es ja, einen alten Freund, oder eine Verwandte von uns zu vergeben und ihm oder ihr zu sagen: komm, lass alles wieder gut werden, das Leben ist zu kurz
um sich nur mit Konflikten zu beschäftigen.
Der zweite Dorn, dem wir oft im Leben begegnen sind die Schwierigkeiten des Lebens. Manchmal denken wir, dass wir es nicht mehr schaffen werden, wenn so viel von uns erwartet wird.
Arbeit und Familie, Krankheit und Tod ... das alles ist manchmal viel. Wir wollen heute diese Schwierigkeiten auch für einen Moment vergessen, hinter uns lassen. Für einen Moment sind alle
Aufgaben unseres Alltags weg und wir sind frei. Wir müssen nichts tun, nichts unternehmen, nichts vorbereiten, einfach nichts tun. Wir wissen, wir sind wertvolle Menschen. Gott liebt uns wie wir
sind, wir müssen nichts tun um Gott zu gefallen.
Ich möchte heute diese zwei Dornen in meinem Leben loslassen. Hier auf die Seite legen und diese vergessen und möchte Sie auch einladen ihre eigenen Dornen im Leben
loszulassen.
Gebet
Lieber Jesus,
wenn wir an Dornen denken,
denken wir an dich.
Du, der die Dornenkrone tragen musste,
du, ein reines, sanftmütiges, demütiges Herz.
Nach dir hat die Kirche viele Kriege und Konflikte erlebt.
Oft hat sie vergessen, dass sie auch die Dornenkrone tragen sollte.
Komm Jesus zu uns und nimm dir in unserem Herzen Raum.
Komm, denn nur du kannst unsere Wunde heilen
und uns helfen, unsere Dornen auch zu tragen.
Komm Jesus, du, ein reines, sanftmütiges, demütiges Herz.
Denn nur dir wollen wir ähneln,
und deinen Weg auch gehen. Amen.
Station 3: Unter dem Baum
Impuls [Blumen für die Vorteile des Lebens]: (Gemeinder)
Station 4: St. Josef Kapelle auf dem Priorberg
Impuls: „Auf dem Weg des Loslassens“ (Avakian)
Liebe Pilgergemeinde, die Geschichte ist berühmt. „Franz von Assisi steht in einem bischöflichen Prozess nackt vor seinem Vater und verzichtet auf seinen ganzen Besitz. … Eben noch Luxuskaufmann und Festkönig in der Kleinstadt Assisi, verlässt Franziskus, der Sohn eines erfolgreichen Kaufmanns, seine reiche Zunft als Bettler. Er lebt von diesem Frühling 1206 an vor den Stadttoren mit Randständigen – und mit dem armen Christus von San Damiano. Nicht in der Stadt, sondern vor ihren Mauern hat Franziskus den Gottessohn entdeckt. Nicht im entstehenden Prachtdom von Assisi, sondern in einer zerfallenden Landkapelle erlebt er Christi Gegenwart. Nicht in Klöstern und unter Klerikern singt er Gott Lieder, sondern mit den Ausgegrenzten am Rand der Gesellschaft. Leere Hände zeichnen sie aus: den Gottessohn am Kreuz, die Ausgegrenzten und den enterben Kaufmann. Nur leere Hände sind frei für Neues, für neue Beziehungen und eine Lebensfülle, die das Evangelium verheißt. Tatsächlich wird Franziskus zwei Jahre später nach einer bewegten Zeit des äußeren und inneren Loslassens ein Leben entdecken, von dem er voller Freude ausruft: «Das ist es, was ich will! Das habe ich gesucht! Das möchte ich von Herzen tun!“[1]
Wir hoffen und beten, dass dieses gemeinsame Pilgern auch uns hilft, den Weg zu sehen, den wir gehen wollen, das zu finden was wir gesucht haben und die Menschen zu sein, die wir sein wollen. In all unsere Sehnsucht, unsere Bemühungen und auf allen unseren Wegen möge Jesus Christus mit uns gehen und sein Geist uns trösten und erfüllen. Amen.
Wir beten:
Gott, unser Vater und Schöpfer,
zu dir wollen wir heute kommen.
Du bist das Ziel, du bist das Leben.
Zu dir sind wir heute gewandert;
du bist unser Pilgern-und-Lebensziel.
Zu dir dürstet unsere Seele
und von deiner Quelle wollen wir trinken.
Jesus Christus,
du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben,
du bist unsere Vergangenheit, unser Leben und die Zukunft.
Hilf, dass wir nur auf deinen Spuren wandern
und nur zu dir pilgern wollen.
Jesus Christus, du hast alles loslassen können,
du, ein reines, sanftmütiges, demütiges Herz.
Du hast auch dein Leben hingegeben.
Dein Grab war leer und du bist auferstanden.
Nur die Liebe hast du nie aufgegeben.
Hilf, dass wir auf deinen Spuren wandern
und nur dir nachfolgen wollen.
Heiliger Geist,
Geist der Freiheit,
Geist der Wahrheit,
Geist der Liebe.
Für dich wollen wir im Herzen raumschaffen.
Komm und befreie uns.
Befreie uns von unseren Ängsten und Sorgen.
Befreie uns von unsren Ressentiments und Bitterkeiten.
Befreie uns von Anhänglichkeit und Anhaftungen
und allen Konflikten der Vergangenheit.
Komm Heiliger Geist und atme in uns,
Komm und durchdringe uns.
Komm und wirke in uns,
Komm und erfülle uns.
Komm Heiliger Geist und mache uns eins.
Komm und atme in uns. Amen.
[1] Niklaus Kuster. https://www.kapuziner.ch/blog/wie-franziskus-loslassen-lernte/