Der neue Mensch

Der neue Mensch

 (Epheser 4,22-32)

 

 

„Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

 

Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen und gebt nicht Raum dem Teufel. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“

_________________________________

 

In diesen Versen aus dem Brief an die Epheser fordert der Apostel die Gemeindeglieder auf, den alten Menschen abzulegen und den Neuen anzuziehen. Warum sollen auch wir heute den alten Menschen von uns ablegen und den Neuen uns anziehen?

 

Warum neuer Mensch werden? Wer ist der neue Mensch?

 

Zu Beginn dieser Predigt möchte ich für uns heute eine mögliche Antwort auf die Frage formulieren. Die Antwort lautet:

 

Der neue Mensch ist derjenige, der sich sowohl seiner selbst als auch Gott und der anderen bewusst ist.

 

Was ist mit dieser Antwort gemeint?

 

In diesen Versen beschreibt der Apostel ein innerliches Ablegen der alten Kleider und Anziehen der Neuen; eine Erneuerung im Geist. Demnach ist das Bewusstsein des neuen Menschen eine innerliche Herausforderung. Das ist keine einfache Aufgabe. Zu dieser Zeit waren die Kleider „individuell zugeschnittene Einzelstücke. Nur selten konnte man sich ein zweites Stück zum Wechseln leisten. Darum gehörte die Kleidung zur eigenen Person, war ein Stück von einem selbst, sozusagen die äußere Haut“ (M. Gese, Der Epheserbrief, 117)

 

Und nun können wir verstehen, warum der Apostel diese innerliche Erneuerung durch das Bild vom Kleiderwechsel beschrieben hat. Die alten Kleider der Seele sollte man ablegen auch wenn sie bequem und passend zu sein scheinen. Wie komme ich zu dieser geistlichen Erneuerung? Wie kann ich mir den neuen Menschen anziehen? Wie kann ich dieses Bewusstsein erlangen, das Bewusstsein des Selbst, Gottes und der anderen?

 

Vor diesem Hintergrund können wir uns überlegen: wann beginnt der Mensch überhaupt sich seiner selbst bewusst zu sein? Wenn wir an die Kindheitsjahre eines Menschen denken, stellen wir fest, dass ein Kind erst bewusst wird, dass andere Menschen da sind. Ein neu geborenes Kind nimmt mit der Zeit wahr, dass Menschen um es herum sind, die sich um es kümmern. Es ist diese menschliche Liebe, die ein Kind Liebe erfahren lässt und dazu befähigt, selbst lieben zu können. Durch die menschlichen Erfahrungen der Liebe kann der Mensch, oder ein Kind, sich vorstellen, dass es einen Gott gibt, der die Quelle aller Liebe und allen Lebens ist; ein Gott, dem er sein Leben und Sein verdankt.

 

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die menschlichen Vorstellungen Gottes von Mensch zu Mensch. Manche haben mehr Gelegenheiten, von und über Gott zu hören und die Liebe und Leitung Gottes im Leben, aber auch durch andere Menschen, zu erfahren, andere haben weniger Chancen dies zu tun und dadurch wird ihr Gottesbewusstsein inaktiv bleiben. Ändert das etwas daran, wer und was Gott für die Menschen ist? Ändert es etwas daran, dass Gott der gute Hirte und der Wächter und Bewahrer allen Lebens und aller Lebenden ist? Ganz und gar nicht. Ob wir uns Gottes bewusst oder unbewusst sind, Gott ist und bleibt der Hirte und Bewahrer allen Lebens. Auch meines und deines Lebens.

 

Des Weiteren macht unser Gottesbewusstsein aus uns auch die Hüter und Wächter Gottes. Wenn wir sagen, dass Gott unser Behüter ist, wissen wir, dass wir auch selbst zu Wächtern und Hütern Gottes werden. Was bedeutet aber, dass wir Wächter und Hüter Gottes sind? Um dies zu verstehen dürfen wir uns Gott wie eine Taube vorstellen, eine Taube, mit der man mit Sorgfalt und Behutsamkeit umgehen soll. Gott ist, liebe Gemeinde, nicht wie die mächtigen Könige dieser Welt, sondern eher wie eine Taube. Die Stimme Gottes ist nicht laut, sondern leise, sodass wir sie nur hören können, wenn wir aufmerksam sind. Es ist so, liebe Gemeinde, wann immer ich mir den neuen Menschen anziehen möchte, wann immer ich mit Gottesbewusstsein leben möchte, ist damit auch ein Auftrag an mich verbunden, nämlich der, dass ich die Stimme Gottes höre, dass ich sensibel für ihn in meinem Leben bin, dass ich sein Antlitz suche, dass ich seine Stimme auch für andere hörbar machen möchte.

 

Und doch können wir sagen, dass unser Gottesbewusstsein uns beim Aufblühenlassen unseres Selbstbewusstseins hilft. Es hilft uns innerlich zu wachsen. Es hilft uns zu sehen, dass es einen Gott gibt, eine Wahrheit, eine geistliche/spirituelle Wahrheit jenseits allem was in der Welt existiert. Unser Gottesbewusstsein, das meint, wenn es uns bewusst ist, dass Gott für uns da ist, hilft uns in Demut und Wachsamkeit mit unserem eigenen Leben umzugehen. Es hilft uns zu sehen, dass wir nicht das Zentrum des Lebens sind, sondern wir in Beziehung zu Gott und zu den anderen stehen. Ohne das Gottesbewusstsein bleibt der Mensch begrenzt. Sein Lebenshorizont und seine „Welt“ werden sich auch nicht weiten lassen. Ein Leben mit dem Selbst als Zentrum ist kein offenes, kein freies, kein wagendes Leben. Ein Leben ohne Gott ist kein gelassenes, beschauliches Leben.

 

Unser Gottesbewusstsein hilft uns darüber hinaus an jedem Tag neue Menschen zu sein. Sodass wir nie sagen sollen: „Das bin ich und bleibe immer was ich bin, vielleicht ein Lügner, zornig oder Diebe.“ Unser Gottesbewusstsein hilft uns selbstbewusst zu sein in dem es hilft uns unser eigenes Leben als Geschenk der Gnade Gottes zu erkennen; ein Gott, der über mein Versagen und meine Fehler hinaussieht. Das Gottesbewusstsein hilft uns zu erkennen, dass es einen Gott gibt jenseits aller Begrenzungen in der Welt, jenseits aller Fehlschläge des menschlichen Lebens und der menschlichen Liebe, jenseits aller Traurigkeit, aller Einsamkeit, jenseits aller Gebrochenheit, allen Verlusts und Todes. Um dieses Gottesbewusstsein zu erlangen würde es uns heute genügen, auf die Felder zu gehen und uns die Bäume mit ihren wunderschönen herbstlichen Farben anzusehen, grün, dunkelgrün, hellgrün, braun, rot und orange. Es würde uns heute genügen herauszufinden, wie die Blätter sich verändern, und wie wir uns verändern können, jeden Tag, und uns den neuen Menschen anziehen. Unser Gottesbewusstsein hilft uns zu erkennen, dass wir wir selbst sein können wann immer wir uns in ständiger (innerlicher) Bewegung, in kontinuierlichem Wandel befinden, nämlich wenn wir immer noch im Werden sein können.

 

Liebe Gemeinde, das Gottesbewusstsein in uns ist kein selbstverständliches Ding. Das Gottesbewusstsein und der neue Mensch sind nicht einfach da, weil wir getauft sind, sondern dies bleibt für uns immer eine Herausforderung, die wir an jedem Tag neu annehmen sollen: Jeden Tag neuer Mensch zu werden, neues Geschöpf Gottes zu sein. Demnach ist Gottesbewusstsein eine Charakteristik des neuen Menschen; die uns immer wieder neu herausfordert, uns zu Gott zu öffnen und uns ihm zu nähern, mit Sorgfalt, Wachsamkeit und Behutsamkeit mit unserem Leben umzugehen. Dass wir bewusst das Geschenk des Lebens empfangen, ist gleichzeitig ein Versprechen unsererseits, dass wir uns um dieses Geschenk kümmern werden. Ein Geschenk ist gleichzeitig eine Verantwortung. Es ist wie das Geschenk eines kleinen Babys in einer Familie, das Verantwortung mit sich bringt, sich um dieses Kind zu kümmern.

 

Und wenn uns die Verantwortung ein neuer Mensch zu werden schwer fällt sollen wir die Hoffnung nie verlieren, denn unsere Hoffnung ist nicht auf dem aufgebaut, was in der Welt ist, sie ist nicht auf Menschen, die uns bewerten und verurteilen werden, und auch nicht auf unseren eigenen Kräften und Talenten aufgebaut. Unsere Hoffnung, liebe Gemeinde, ist auf Gott gebaut. Alles andere, auch die eigenen Kräfte und Belastbarkeiten, können uns enttäuschen und im Stich lassen, aber Gott niemals.

 

Zu der Verantwortung des eigenen Lebens gehört aber auch ein behutsamer Umgang mit den Mitmenschen. Und so können wir sagen, dass Gottesbewusstsein, Selbstbewusstsein und das Bewusstsein mit Anderen verbunden und ineinander verwoben zu sein, zusammen gehören. In der Geschichte von Kain und Abel lesen wir, dass Kain Abel tötete und Gott Kain fragte: „Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Und die Antwort ist ja, wir sind aufgerufen auch die Hüter unserer Brüder, unserer Geschwister zu sein. Und demnach verstehen wir warum der Apostel schreibt: „Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind“. „Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“

 

Liebe Gemeinde, der neue Mensch in seiner Vollkommenheit ist Jesus Christus. Er ist gekommen und er kommt jeden Tag zu uns. Er kommt zu uns durch alles was uns herausfordert bessere Menschen zu sein, mit Behutsamkeit und Wachsamkeit zu leben.

 

Er ist derjenige, der sein Leben bewusst für den Anderen hingab. Er ist der gute Hirte, der für uns sorgt. Er ist der gottesbewusste Mensch, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

 

Er kommt zu uns durch störende Stimmen, die wir in der Regel überhören wollen. Die Stimmen fordern uns heraus, aber oft sind wir nicht bereit, diese Herausforderung anzunehmen. Wir bevorzugen es passiv zu bleiben in den Schatten des Lebens, mit den alten Kleidern der Seele, die in den inneren Schränken hängen, anstatt selbstbewusst zu werden. Wir können aber den neuen Menschen nicht aufhalten. Er kommt zu uns. Und wir sollen uns nur für ihn öffnen. Daher hat dieser Wandel zum neuen Menschen auch seinen passiven Moment, in dem wir nichts tun müssen. Wir können ihn nur in unserem Leben empfangen. Er klopft an die Tür unseres Herzens und wartet auf uns. Wer ist bereit, gestört zu werden? Wer ist bereit das Geschenk des neuen Menschen anzunehmen und den Alten abzulegen? Amen.