In eine andere Form

In eine andere Form

 

(2. Petrusbrief 1, 16-19)

 

 

„Denn wir sind nicht klug ersonnenen Legenden gefolgt, als wir euch die Macht und Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus wissen ließen, sondern wir sind Augenzeugen seiner herrlichen Majestät gewesen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als eine Stimme von der hocherhabenen Herrlichkeit an ihn erging: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!« Und diese Stimme hörten wir vom Himmel her ergehen, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren. Und so halten wir nun fest an dem völlig gewissen prophetischen Wort, und ihr tut gut daran, darauf zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

 

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Es ist nicht nötig, liebe Leserinnen und Leser, es näher zu beschreiben, was uns in den vergangenen Wochen und Monaten betrübt hat. Jeder von uns hat seine eigenen Anlässe im Leben, dass er sich als eingetrübt fühlte oder immer noch fühlt. Im zweiten Petrusbrief 1,19 ist die Rede aber nicht nur vom Dunkel, das uns umgibt und betrübt, sondern auch über das helle Licht, das ins Dunkel scheint. Gott kommt und erscheint in unserem Leben wie das Licht im Dunkeln, ein Licht, das wir besonders in der Weihnachts- und Epiphaniaszeit betrachten.

 

„… ihr tut gut daran, darauf zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“ (2.Petrus 1,19)

 

Irgendwie sind die beiden Ereignisse „auf das Licht zu achten, das in der Dunkelheit leuchtet“ und das „Aufgehen des Morgensterns im Herzen“ miteinander verbunden. Vielleicht könnten wir heute sagen, dass wir uns durch das „Achten“ auf das Licht darauf vorbereiten, dass der Morgenstern in unseren Herzen aufgeht. Wie kommen wir dazu, auf das Licht zu achten, das im Dunkeln leuchtet, bis der Morgenstern aufbricht?

 

Der Apostel bezieht sich rückblickend auf das Ereignis der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor. Was genau auf dem Berg passiert ist können wir nicht wissen oder beschreiben. Es reicht uns heute, wenn wir Zugang zu dem Wort „Verklärung“ haben. Das griechische Wort, was mit Verklärung übersetzt ist, ist μεταμόρφωσις [metamorphosis], und bedeutet: „in eine andere Form bringen“. Auf dem Berg Tabor wurde Jesus in eine andere Form gebracht. Was hat denn diese μεταμόρφωσις mit den Betrübnissen und Dunkelheiten des Lebens zu tun? Im Lukas Evangelium lesen wir, dass Jesus seinen Jüngern sein Leiden ankündigt und ihnen über die bevorstehende Passion erzählt. Nachher besteigt er mit Petrus, Jakobus und Johannes einen Berg, um zu beten. „Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß.“ (Lk 9, 28-29) An einer anderen Stelle und vor seinem Tod sagte Jesus zu denselben drei Jüngern, Petrus, Jakobus und Johannes: „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!“ (Mat. 26,38)

 

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie mit jedem Schritt, den Sie bei einer Wanderung machen, etwas zurücklassen, das Sie belastet, etwas das Sie zu bestimmen und kontrollieren vorhat, etwas das Sie in Mauern und Grenzen zu halten versucht? Es ist, als ob wir uns mit jedem Schritt nach vorne dem Licht nähern und die Dunkelheit hinter uns lassen.

 

Und so ist es, wenn man einen Berg besteigt. Mit jedem Schritt werden die Details des Lebens, die Welt, die Straßen und die Häuser unten allmählich klein, bis sie irgendwann verschwinden. Man kommt in die Meditation und wird irgendwie über den Dingen stehen. An dieser Stelle werden Worte und Begriffe versagen die Erfahrung des Lichtes zu beschreiben, das man dort auf dem Berg erlebt.

 

Und so werden auch unsere Vorstellungen, die festgestellten, historisch, faktisch begründeten Überzeugungen und die sachliche Wahrnehmungsweise der Dinge und Werte des Lebens, die sich im Laufe der Jahre aufgebaut haben, gelegentlich ganz unerwartet in eine andere Form, in ein zartes Gemüt, eine Sprache des Herzens und der Liebe umgewandelt, wenn sie der Erfahrung des Gipfel des Berges ausgesetzt sind.

 

Die Frage, die wir heute stellen möchten ist, ob wir die Erfahrung des Gipfels des Berges brauchen. Die Frage ist, ob Reichtum und soziale Stellung die Antwort auf unsere innere Sehnsucht nach Gott und Freiheit sind. Die Seele des Menschen hat einen Weg zu durschreiten um somit zu ihrem eigenen Selbst gelangen zu können. So hat die französische Mystikerin des 13.Jahrhunderts, Marguerite Porète, in ihrer Schrift „Der Spiegel der einfachen Seele“ geschrieben. Sie meinte, dass Freiheit in ihrem Kern Freiheit von den eigenen Gefangenschaften und von äußeren Abhängigkeiten ist. Die Freiheit, die Porète beschreibt, ist auch eine Freiheit von Werken, denn sie meinte—und dies etwa zwei Jahrhunderte vor Martin Luther—der Mensch sei durch Glauben gerettet und nicht durch Werke. Und so schreibt sie:

 

Denken bedeutet mir nichts mehr,

 

auch Werk nicht oder Rede.

 

Die Liebe zieht mich so hoch –

 

… durch ihre göttliche Herablassung,

 

dass ich keinerlei Verstandeskraft mehr habe.

 

Denken nützt mir da nichts mehr,

 

auch Werk nicht oder Rede.

(Porète, Der Spiegel der einfachen Seelen, Topos, 2017, 191.)

 

Die Welt verlangt von uns, dass wir uns selbst und den anderen beweisen, dass wir stark genug sind, um allein auf eigenen Beinen zu stehen. Der Glaube ist aber etwas anderes. Den Glauben bekommen wir geschenkt, ohne dies mit Konzepten und Begriffen ausdenken und beweisen zu müssen. Der Glaube bringt uns in eine andere Form, er verwandelt uns ganz unerwartet. Wer das Licht des Gipfels erfährt, wer die Schönheit und die Größe Jesu Christi sieht, wie Petrus dies auf dem Berg gesehen hat, dem wird niemand die Strahlkraft im Herzen wegnehmen können. Porète würde sagen, auf dem Weg aus dem Tal zum Gipfel des Berges wird das Denken getötet. Sie meinte: die Wahrheit ist im Herzen des Menschen verbürgt. Klug kann man sein und kluge Dinge auch sagen, aber man kann nur gut sein und gute Dinge sagen, wenn das Herz mitmacht (Vgl. I. Fries, a+b, 4.Januar 2021, 4-6).

 

Porète war aber zu progressiv für die Kirche des 13.Jahrhunderts und dafür bezahlte sie mit ihrem Leben, denn sie wies ihre Worte nicht zurück. Sie wurde verurteilt mit ihrem Buch in der Hand in den Feuertod zu gehen. Ihr Werk, „Der Spiegel der einfachen Seele“, wurde für lange Zeit nicht anerkannt und galt als unmöglich, dass es von einer Frau verfasst wurde.

 

Wenn der Morgenstern im Herzen aufgeht, verwandelt er die Dunkelheit in helles Licht. Schmerz und Leid verschwinden jedoch nicht und der Mensch ist aufgerufen selbst Licht zu sein, trotz aller Dunkelheit, die ihn umgeben mag. Aus diesem Grund nahm Porète den Tod an, und Jesus kam vom Berg herunter, obwohl er wusste, was ihn dort unten erwartete.

 

Wie sollen wir denn uns heute die Verklärung Jesu vorstellen? Es genügt uns eins zu sehen: Durch Gebet auf dem Berg wurde das Leid Jesu in eine andere Form gebracht. Das Leid, das er empfand und von dem er seinen Jüngern erzählte, hat sich in Frieden und Vertrauen in Gott verwandelt. Das ist das Licht, liebe Leserinnen und Leser. Das Gottesvertrauen strahlt und verändert nicht nur das Herz, sondern auch das Aussehen des Menschen. Und er konnte vom Berg zurück in die Welt gehen, nicht nur gestärkt, sondern auch mit dem festen Willen, den Weg weiter zu gehen und das Licht in die Welt zu bringen.

 

Liebe Leserinnen und Leser, heute sind wir eingeladen, nach Fenstern des Lichts in unserem Leben zu suchen. Wir sind eingeladen den besonderen Lichtgedanken und Lichterfahrungen in den Dunkelheiten unseres Lebens nachzugehen. Wir sind eingeladen, den Berg zu besteigen und uns von Gott in eine andere Form bringen zu lassen, ihm zu erlauben, unsere Schwächen in Gelegenheiten zu verwandeln, die Liebe und Kraft Gottes zu erfahren. Wir sind eingeladen, uns die Schönheit Jesu anzuschauen. Auf dass seine Liebe und sein Licht unsere Wunden, Schmerzen und unsere Vergangenheit berühren und unsere Zukunft anders gestalten mögen. In welche Form dabei wir gebracht werden, kann unter uns vollkommen unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass dies die Dunkelheiten unseres Lebens hell werden lässt.

 

Vielleicht bist Du und ich, vielleicht sind wir nicht immer in der Lage, einen Berg zu besteigen. Aber wir haben immer noch ein Fenster zu Hause; ein Fenster, durch das wir das Licht und das Leben erfahren, das uns geschenkt wurde. Ein Fenster, das uns Momente des Lichts gewährt, die den Morgenstern im Herzen aufgehen lässt. Amen.

 

 

 

Gott, unser Morgenstern,

 

Du Licht im Dunklen unseres Lebens,

 

die Freude mitten im Leid,

 

Du Trost unseres gequälten Herzens,

 

die Hoffnung der zerrissenen Welt.

 

Mach uns, Gott, achtsam für Dich,

 

Mach uns achtsam, dass wir Dich sehen,

 

dass wir Dich hören, und zu Dir kommen.

 

Hoch oben auf dem Berg,

 

dort wollen wir eins sein mit Dir und Du mit uns.

 

Wir wollen zu Dir kommen mit den Schmerzen,

 

mit den Schwächen und Fehlern unseres Lebens,

 

mit unseren betrübten Leibern und Seelen.

 

Und du, Gott, Du verwandle uns.

 

Gib uns deine Kraft, deine Demut,

 

deine Liebe, dein Licht,

 

Mache uns neu und hilf, dass wir in deiner Liebe

 

und deinem Licht gehalten werden.

 

 

 

O Gott, Du heilige Liebe, komm und bleibe in uns,

 

Komm und mach uns eins mit allen anderen,

 

mit denen, die wir nicht kennen,

 

mit denen, die wir nicht lieben,

 

mit denen, mit denen wir Streit haben,

 

mit denen, denen wir nicht verzeihen können,

 

mit denen, die uns in der Vergangenheit

 

viel Schmerz bereitet haben,

 

mit denen, mit denen wir uns nicht vorstellen,

 

dass wir uns einmal vereinen können.

 

Komm und mach uns eins,

 

eins in Dir und mit Dir.

 

Du unser Morgenstern,

 

verwandle die Welt zu deinem Reich,

 

verwandle jede Krankheit und Einsamkeit in der Welt

 

in einen Anlass der Dankbarkeit und des Vertrauens.

 

Du Gott, unser Morgenstern,

 

mach uns achtsam für Dich. Amen.