Eine innere Umkehr

Eine innere Umkehr

 (Jesaja 58, 1-9a)

 

„Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.

 

»Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?

 

«Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

 

Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

 

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“

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Der Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja wurde in einer Zeit tiefer Verunsicherung für Israel geschrieben. Das babylonische Exil hatte eine Reihe wichtiger Führungspersönlichkeiten verschleppt. Doch nun kehren einige von ihnen in das Land zurück. Der zerstörte Tempel ist wieder aufgebaut worden. Ungewissheit bringt jedoch Angst mit sich, Angst um die Zukunft für Gottes Volk. Wer darf nun zurück und wie sollte das Volk Gott nun anbeten?

 

Der Predigttext ist letztlich ein Gespräch zwischen Gott und dem Volk Israel. Er fängt an mit einem Befehl Gottes, einem klaren Auftrag für den Propheten Jesaja. Er soll eine Ansage machen, eine Ankündigung über den Ungehorsam des Volkes (im Text wird das Wort Abtrünnigkeit benutzt). Es darf so nicht mehr weiter gehen, wie das Volk sich das vorstellt und seine eigene Gerechtigkeit verteidigt.

 

Dann kommt eine Antwort, eigentlich eine Beschwerde, des Volkes an Gott. Das Volk klagt: Wir fasten, aber du, Gott, scheinst es nicht zu sehen.

 

Schließlich gibt Gott Antworten auf die Beschwerden des Volkes. Gott stellt fest, dass das Fasten des Volkes sie nicht zu besserem Verhalten führt. Sie fasten, aber ihr Fasten scheint ihr Verhalten gegenüber anderen nicht zu beeinflussen. Daher ist das Fasten des Volkes eine Halbherzigkeit, ja, sogar eine Hartherzigkeit. Sie quälen sich durch Fasten, aber die Gequälten und Bedürftigen in ihrer Mitte vernachlässigen sie. Sie fasten, aber gleichzeitig beachten sie das Leid der Armen unter ihnen nicht. Ihre Haltung wendet sie von der wahren Gottesliebe ab. In allem was sie tun sind sie selbstsüchtig. Ihre Taten sind leer, bedeutungslos, auch wenn sie sich an die Regeln und Gesetze halten. Tatsächlich ist ihr Fasten egoistisch. Zu fasten und dabei die Armen zu vernachlässigen wäre ein Verfall, ein Verlust des Glaubens. Und so steht Israels Streben nach äußeren Ritualen und Fasten im Widerspruch zu Gottes Streben nach Barmherzigkeit gegenüber den Armen.

 

Die Art zu fasten, die Gott möchte, ist das Brotbrechen mit den Hungernden. Die Israeliten wollten fasten, aber sie versäumten es, wahrzunehmen, was Gott will. Und so wird das Fasten neudefiniert:

 

„Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!“

 

Gott geht es um das Wohlergehen der Gesellschaft, um die Befreiung von Ungerechtigkeit, um Freiheit. Dafür muss man das Verzichten lernen um die Not der Anderen zu lindern. Das Verzichten ist hier wesentlich. Im tiefsten Sinn geht es beim Fasten um den Verzicht auf das, was man für sich selbst hat. Beim Fasten geht es nicht darum, dem anderen die Reste meiner Nahrungsmittel zu geben, sondern mein eigenes Essen mit einem anderen zu teilen. Fasten hat auch nichts mit meinem eigenen Wohlbefinden zu tun, so wie man heutzutage oft hört, dass man um der eigenen Gesundheit Willen auf bestimmte Dinge verzichtet. Fasten bedeutet vielmehr, das, was ich für mich behalten habe, mit einem anderen zu teilen und durch das Teilen und Geben auch auf dessen Wohlergehen zu hoffen.

 

Und so ist es auch im Predigttext beschrieben:

 

„Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“

 

„So kann es nicht weitergehen“, würde der Prophet Jesaja auch heute sagen, angesichts des Klimawandels, aber auch angesichts der Obdachlosen und der Flüchtlinge, um einige der verschiedenen Bereiche unseres heutigen Lebens zu nennen. Im Licht der Botschaft des Propheten Jesaja sind wir aufgerufen die Menschen in Not nicht zu übersehen, sondern bereit zu sein mit ihnen in Kontakt zu treten. Jene und wir gehören zusammen. Die politische Auseinandersetzung sollte hier keine Rolle spielen. Hier gilt das einfache Prinzip, ich würde sagen das einfache menschliche Prinzip: Wer Hilfe braucht, soll auch Hilfe bekommen. Theologisch ausgedrückt: Wenn Demut alle Menschen vereint, wird Gottes herrliche Gegenwart auf ihnen ruhen.

 

Prinzipiell gilt: Wenn jeder Mensch auf der Welt bekommt, was er braucht und nicht mehr, dann sollte es keinen einzigen Menschen geben, der nicht hat, was er braucht. Wenn Länder anderen Ländern kein Unrecht tun, dann sollte es keine armen Länder und keine reichen geben. Es ist natürlich zuzugeben, dass es in der Geschichte eine Menge von ungerechten Taten gegen andere gibt und, dass die Armen und Ausgestoßenen oft vernachlässigt wurden. Und es ist unmöglich, diese ganze Geschichte der Ungerechtigkeit ungeschehen zu machen. Für all das sind wir auch nicht verantwortlich. Aber gleichzeitig können wir es nicht übersehen. Wir können nicht so leben, als gäbe es keine Ungerechtigkeit auf der Welt, wir können nicht so leben, als wäre alles in Ordnung, alles gut. Eins können wir alle tun, und das ist, sensibel zu sein für die Armen, verständnisvoll gegenüber den Ausgestoßenen und einladend gegenüber den Fremden. Diese eine Eigenschaft, die ich in drei verschiedenen Bildern beschrieben habe, wird durch das eine Wort „barmherzig-sein“ ausgedrückt. Denn wir geben den anderen weiter, was wir von Gott erhalten haben. Was uns bleibt, ist eine Hinwendung, eine Umkehr zu Gott. Und so lautet auch die Jahreslosung: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6,36)

 

Die Frage ist ob wir zu den Menschen, den Bekannten aber auch den Unbekannten, stehen würden, selbst wenn sie ausgelacht oder verachtet, verfolgt oder verdächtigt werden. Jesus wurde auch ausgelacht. Er wurde verfolgt, verdächtigt und verachtet. Und seine Freunde haben ihn begleitet.

 

Liebe Gemeinde, am Sonntag vor der Passionszeit sind wir aufgerufen, Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zu folgen, genauso wie seine Jünger mit ihm nach Jerusalem gezogen sind und dort seinen Tod miterlebten. Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zu begleiten bedeutet sich für Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe einzusetzen. Dies bedeutet oft auch Ungerechtigkeit auf sich zu nehmen, Leid mitzutragen, Verfolgung freiwillig zu erdulden.

 

Am kommenden Mittwoch, dem 17. Februar, beginnt die Fastenzeit. Und was ich heute sagen möchte, liebe Gemeinde, ist, dass wir uns auf die Zeit des Fastens und der Vorbereitung auf Ostern, auf den Weg nach Jerusalem, am besten durch eine innere Umkehr vorbereiten, eine Umkehr, sodass wir die Schuld vergangener Generationen ablegen. Wir bedauern all die ungerechten Handlungen gegenüber anderen Menschen, wir bedauern all den Schmerz und das Leid, das die einen den anderen zugefügt haben. In unserem Bedauern und unserem Gefühl des Mitleides entscheiden wir uns, den Weg der Gerechtigkeit und der Liebe zu wählen, den Weg der gleichen Rechte und Werte. In unserem Bedauern entscheiden wir uns, einen anderen Weg zu gehen als den, der in der Vergangenheit meistens beschritten wurde, und doch einen Weg, der in keiner Weise ein neuer ist. Es ist der Weg Jesu, den wir gehen wollen.

 

Als Vorbereitung für den Weg sehnen wir uns nach einer Einkehr, nach einer Umkehr, einer Umwandlung und einer Umformung. Wir sehnen uns nach einem Verzicht auf das Gewohnte und einer Neugestaltung der menschlichen Verhältnisse.

 

In dieser Fastenzeit bereuen wir all die dunklen Zeiten und Zeitalter der Vergangenheit und wir sehnen uns nach Licht und Liebe. Nicht nur die Fehler der vergangenen Generationen, sondern auch unsere eigenen Fehler, unsere Nachlässigkeit, unseren Stolz, unsere Suche nach Bequemlichkeit, nach Vorteilen und Privilegien, wollen wir ablegen. Lasst uns in dieser Fastenzeit die Sorgen der Mühseligen teilen, lasst uns die Ungeliebten lieben, für diejenigen sorgen, die in den Augen dieser Welt der Fürsorge nicht würdig sind. Wie wir das erreichen, müssen wir für uns selbst herausfinden. Wir können dafür beten und es von Herzen wollen und Gott wird uns den Weg zeigen, den wir gehen sollen. Denn Gott ist es, der unser Versagen vergibt, Gott ist es, der uns rein macht und Gott ist es, der uns einen neuen Anfang gewährt.

 

Liebe Gemeinde, mit diesen Gedanken möchten wir in die Fastenzeit gehen. Wir möchten uns für Gerechtigkeit einsetzen und beharrlich lieben. „Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“ (Jesaja 58,9a) Denn „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16,26a) Amen.