Drei Nächte im Totenreich

 

Drei Nächte im Totenreich

(Jona 1,1-3a, 2,1-11)

 

 

„Und das Wort des HERRN erging an Jona, den Sohn Amittais, folgendermaßen: Mache dich auf, geh nach Ninive, in die große Stadt, und verkündige gegen sie; denn ihre Bosheit ist vor mein Angesicht heraufgekommen! Da machte sich Jona auf, um von dem Angesicht des HERRN weg nach Tarsis zu fliehen; und er ging nach Japho hinab“.

 

Und Jona betete aus dem Bauch des Fisches zu dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Aus meiner Drangsal rief ich zu dem HERRN, und er erhörte mich; aus dem Schoß des Totenreiches schrie ich, und du hörtest meine Stimme! Denn du hattest mich in die Tiefe geschleudert, mitten ins Meer, dass mich die Strömung umspülte; alle deine Wogen und Wellen gingen über mich. Und ich sprach: Ich bin von deinen Augen verstoßen; dennoch will ich fortfahren, nach deinem heiligen Tempel zu schauen! Die Wasser umringten mich bis an die Seele, die Tiefe umgab mich, Meergras umschlang mein Haupt. Zu den Gründen der Berge sank ich hinunter; die Erde war auf ewig hinter mir verriegelt — da hast du, HERR, mein Gott, mein Leben aus dem Grab heraufgeführt! Als meine Seele in mir verschmachtete, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die Verehrer nichtiger Götzen verlassen ihre Gnade; ich aber will dir mit lauter Stimme Lob opfern; was ich gelobt habe, das will ich bezahlen. Die Rettung kommt von dem HERRN!

 

Und der HERR gebot dem Fisch; und der spie Jona ans Land.“

 

___________________________________________________

 

Liebe Gemeinde, manchmal werden wir im Leben mit schwierigen Situationen konfrontiert, sodass wir durch eine turbulente Zeit gehen müssen; die Krankheit eines geliebten Menschen oder wenn wir selber krank sind, Probleme auf der Arbeit, oder vielleicht eine Aufforderung etwas zu wagen, eine uns anvertraute Aufgabe, ein Auftrag, dem wir lieber entgehen würden, weil er uns zu groß und zu schwer erscheint, als dass wir ihn bewältigen könnten. Aber wenn wir die Herausforderung angenommen haben und begonnen haben sie anzugehen, vielleicht auch erst im Nachhinein, erkennen wir, dass uns eine besondere Kraft zum Durchhalten geschenkt wurde, dass wir nicht allein gelassen wurden, sondern Gott uns durch seinen Geist das Durchhaltevermögen gab, so dass seine Kraft zu unserer Kraft und sein Geist zu unserem Geist wurde.

 

Das Alte Testament erzählt die Geschichte des Propheten Jona, der von Gott einen Auftrag bekommen hat: „Mache dich auf, geh nach Ninive, in die große Stadt, und verkündige gegen sie; denn ihre Bosheit ist vor mein Angesicht heraufgekommen!“

 

Aber der Prophet flieht vor diesem Auftrag.

 

Die Aufforderung Gottes „mache dich auf, [und] geh“ (1,2) erinnert uns an die Aufforderung an Abraham „Zieh aus deinem Land […] in das Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen. 12,1). Aber auch an Mose, der vom Gott beauftragt wurde, nach Ägypten zurückzukehren, um die Israeliten aus der Knechtschaft zu befreien. Zurück nach Äypten, in das Land aus dem er geflohen war. Anders als Abraham, der dem Ruf Gottes gehorcht und sein Land verlässt, um dorthin zu gehen, wohin Gott ihn führt, und anders als Mose, der zuerst versucht, Gott davon zu überzeugen, dass er nicht die geeignete Person für den Auftrag ist, und dann dennoch dem Ruf Gottes gehorcht, lesen wir von Jona, dass er einfach vor Gott wegläuft, geradewegs in die entgegengesetzte Richtung. Er will nicht nach Ninive zu den Heiden gehen und dort das Wort Gottes verkündigen, damit die Menschen ihre bösen Wege verlassen und umkehren. Vielleicht denkt Jona, dass Gott nur der Gott Israels wäre und dass andere Völker es nicht verdienen, das Wort Gottes zu hören und so errettet zu werden. Daher macht er sich nicht in Richtung Osten nach Ninive auf (das ist der Norden des heutigen Irak), sondern betritt ein Schiff, dass nach Tarsis fährt, ein Reiseziel ganz weit im Westen. Er wollte wahrscheinlich Ruhe haben, lieber schlafen, anstatt zu predigen. Dieses Schiff soll ihn weit weg bringen, „weg von dem Angesicht des HERRN.“

 

Jona glaubt, dass er dem Auftrag, zu dem er berufen wurde, so entgehen kann. Aber wie wir im Jona-Buch lesen, kommt auf dem Meer ein großer Sturm auf, sodass das Schiff in Seenot gerät. Die Schiffsbesatzung fürchtet sich und wirft alles was sie haben über Bord, um das Schiff zu erleichtern. Als das nicht hilft, holen sie Jona, der unter Deck eingeschlafen war, und werfen auch ihn ins Meer. Ein großer Fisch verschlingt Jona. Drei Tage lang befindet sich Jona in seinem Bauch. Das Gebet, das er im Bauch des Fisches betet, haben wir vorher gehört.

 

Wir möchten uns heute, liebe Gemeinde, einmal wie Jona sehen. Auch wir möchten manchmal vor den anstehenden Anforderungen davonlaufen. Aus vielen verschiedenen Gründen. Manchmal sind die Aufgaben nicht genau das, was wir gerne erfüllen würden. Manchmal passen sie nicht genau zu den Überzeugungen, die wir für wahr halten, wie es wohl bei Jona der Fall war, der dachte, dass andere Völker es nicht verdienen, gerettet zu werden. Manchmal erfordert der uns anvertrauten Auftrag einen großen Einsatz an Zeit und Energie. Und manchmal scheint es uns so schwer, aber auch leidvoll, ihn zu erfüllen, dass wir uns nicht einmal vorstellen können, wie wir den Auftrag bewältigen sollen.

 

Als Beispiel, an dem das deutlich wird, fällt mir die Situation ein, in der es notwendig wird, einen kranken Menschen über lange Jahre zu pflegen. Wir alle können uns vorstellen, wie anstrengend eine solche Aufgabe sein muss.

 

Die Wege des Lebens, liebe Gemeinde, sind manchmal eng wie der Bauch des Fisches. Und wir denken, wir können die Nacht in der Enge des Bauches nicht überstehen.

 

Und wenn wir uns entscheiden, den Auftrag zu erfüllen werden wir auch leiden müssen.

 

Jona bleibt drei Nächte im Bauch des Fisches, drei Nächte im Totenreich, ähnlich wie Jesus, der auch in das Reich des Todes hinabgestiegen und am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Und es scheint mir, dass diese Nächte der Qualen und der Pein unvermeidlich sind; Nächte, in denen wir in die Tiefe geschleudert werden, umgeben von den Fluten des Lebens und den Wellen des Leids und der Einsamkeit. In diesen Nächten mögen wir denken, dass wir aus der Gegenwart Gottes herausgeworfen sind, dass wir allein gelassen werden, völlig allein. Was könnte uns in solchen Momenten helfen?

 

Dort, an der dunkelsten Stelle, betet Jona zu Gott und spricht:

 

„Die Wasser umringten mich bis an die Seele, die Tiefe umgab mich, Meergras umschlang mein Haupt. Zu den Gründen der Berge sank ich hinunter; die Erde war auf ewig hinter mir verriegelt — da hast du, HERR, mein Gott, mein Leben aus dem Grab heraufgeführt! Als meine Seele in mir verschmachtete, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel.“

 

In solchen Momenten ist es die Gnade Gottes, die uns aufrichten kann. Die Gnade Gottes, die wir in unserem Herzen spüren; dass wir nicht weit von Gott sind und Gott nicht weit von uns. Dass wir auf so starke weise mit Gott verbunden sind, dass wir ihn in uns tragen und er uns in sich, sogar im Bauch eines Fisches. Die engen und verschlungenen Wege des Lebens können diese Verbundenheit nicht zu schwächen, sondern im Gegenteil, sie werden sie stärken und vertiefen. Diese Verbundenheit mit Gott ist aber nicht einfach zu begreifen oder zu erklären. Lehre und Forschung können es nicht beweisen und für diejenigen, die ihr Herz verhärten, bleibt solche Verbundenheit eine Illusion. Aber die Zartherzigen werden erkennen, dass es wohl keine Kraft gibt, die stärker ist als diese Verbundenheit und dass nichts den Menschen von der Gnade Gottes und der Liebe Christi scheiden kann, nicht einmal der Bauch eines Fisches oder der Tod selbst.

 

Die Gnade Gottes erreicht uns auch durch Menschen, die uns die Worte des Trostes und des Vertrauens überbringen. Das war der Auftrag, zu dem Jona berufen wurde. Er sollte den Menschen in Ninive die Worte des Lebens und der Erlösung bringen. Aber er zögerte und lief weg. Später lesen wir, dass Jona, nachdem der Fisch ihn auf das trockene Land erbrach, nach Ninive ging und dort das Wort Gottes predigte. Erst nach der Erfahrung der Enge, der Trübsal und des bevorstehenden Todes hatte Jona die Kraft und die Bereitschaft, die ihm anvertraute Aufgabe zu erfüllen. Die Enge wirkt manchmal anders in uns, als wir gedacht haben. Die Enge und damit ist die Auseinandersetzung mit dem Tod gemeint, lässt uns unsere tiefe Verbundenheit mit Gott erkennen. Eine solche Erfahrung der Enge kann alles enge Denken aufbrechen, sodass nur der Geist unversehrt bleibt.

 

In diesem Sinne ist die Konfrontation mit dem Tod eine befreiende Erfahrung und in ihr liegt auch die Erfahrung der Auferstehung und des neuen Lebens. Wann immer wir eine solche Erfahrung machen, wird uns damit auch die Kraft zur Unverwüstlichkeit geschenkt, die Kraft für ein neues Leben, für eine neue Perspektive, für einen offenen Horizont, einen Horizont, der alle Menschen einschließt, auch die „Heiden“.

 

Liebe Gemeinde, wir werden manchmal solche Erfahrungen durchmachen, wie Jona, der drei Tage und drei Nächte lang im Bauch des Fisches bleiben musste. Uns wird aber auch die Kraft geschenkt werden, die Kraft die wir im Herzen fühlen oder uns durch andere Menschen zugesprochen wird. Und manchmal werden wir selbst aufgerufen, die Worte der Gnade und der Zuversicht anderen zu zusprechen. Lasst uns nicht zögern und nicht weglaufen, lasst uns unser Herz nicht verhärten, sondern es weit öffnen, denn nur dann werden wir den Tod durch das Leben überwinden können. Denn die Liebe ist stärker als Furcht, der Geist stärker als Schmerz und Leid, und das Leben ist stärker als der Tod.

 

Und so haben wir heute mit den Worten von Heinrich Albrecht gesungen:

 

„Hilf, dass ich mit diesem Morgen geistlich auferstehen mag und für meine Seele sorgen, dass, wenn nun dein großer Tag uns erscheint und dein Gericht, ich davor erschrecke nicht.“ Amen.

_______________________________

 

 

Aus der Tiefe schreien wir zu dir,

 

Gott, erhöre unsere Gebete.

 

Aus der Tiefe der Nacht,

 

des Schmerzes und der Einsamkeit,

 

der Angst und der Ungewissheit,

 

antworte uns und lass das Licht deines Erbarmens

 

und deiner Gnade in unsere Nacht scheinen,

 

und Furcht und Pein vertreiben.

 

 

 

Aus der Tiefe schreien wir zu dir,

 

für alle, die ihr Herz verhärten,

 

für alle, für die du eine Illusion bleibst,

 

für alle, die die Quelle der Hoffnung nicht gefunden haben,

 

die Quelle des Lebens und der Liebe.

 

Gott, öffne ihre Ohren, damit sie deine Stimme hören,

 

öffne ihre Augen, damit sie dich sehen können,

 

öffne ihren Geist und unseren Geist, damit sie und auch wir dich spüren können.

 

 

 

Aus der Tiefe unseres Herzens

 

beten wir für unsere Familien, für unsere Kinder,

 

für unsere Konfirmanden. Für alle Kinder

 

und Jugendlichen in dieser Welt.

 

Gewähre ihnen Gott deine Leitung und erleuchte ihre Herzen,

 

damit sie deinem Licht nachspüren und deinem Weg folgen wollen.

 

 

 

Aus der Tiefe schreien wir zu dir,

 

Gott, und wollen dich für unsere Kirche, für unsere Gemeinde bitten.

 

Hilf uns, füreinander da zu sein,

 

und wahrhaftig dein Leib zu werden.

 

Hilf, dass wir deiner Berufung treu bleiben, ohne Furcht und ohne Angst.

 

Wir beten heute für …. Du kennst ihr Herz,

 

wie du die Herzen von uns allen kennst.

 

Bewahre sie und bewahre uns alle in deiner Gnade

 

und hilf uns als Gemeinde, für sie ein Zuhause zu sein.

 

 

 

Lass Gott die Nacht vergehen und hilf,

 

dass wir „mit diesem Morgen geistlich auferstehen“. Amen.