Die Worte des Geistes

 

Die Worte des Geistes

 

 

„Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet!“ (1.Korinther 14,1)

 

Unter den Gaben des Geistes hat für Paulus die prophetische Rede Vorrang, da eine solche Rede zur Erbauung, Ermahnung und zum Trost der Gemeinde beiträgt. (1.Kor.14,3) Aber wie sollen wir uns heute die Gaben des Geistes vorstellen und was ist mit „prophetischer Rede“ gemeint?

 

Manchmal denken wir vielleicht, dass der Geist auf eine ganz bestimmte Weise in uns wirkt, auf eine Weise, die andere Wege nicht zulässt. Wir mögen denken, dass der Geist und geistliche Menschen auf eine bestimmte Art und Weise sprechen sollten, sich nach einem bestimmten Muster verhalten sollten, sich vielleicht auf eine bestimmte Art und Weise kleiden und aussehen sollten, von der wir denken, dass sie die „geistliche“ Art und Weise ist. Ein Beispiel für solche Ansprüche könnte die Vorstellung sein, dass diejenigen, die die Gaben des Geistes haben, in Zungen sprechen sollten und daher diejenigen, die nicht in Zungen sprechen, des Geistes beraubt sind. Diese Behauptung wäre unter anderem ein Beispiel für ein eingeschränktes Verständnis des Geistes und in diesem Sinne fragt Paulus: „Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre?“ (1.Kor.14,6).

 

Der Geist, liebe Gemeinde, ist frei. Und er vereint uns Menschen in unserer Verschiedenheit. Wenn wir uns für den Heiligen Geist öffnen, öffnen wir uns für Gott und für Jesus. Diese Öffnung des Selbst für Gott ist eine befreiende Erfahrung. Dabei müssen wir nicht einem Muster oder einem bestimmten Formular folgen. Wir können nicht eine Form wie alle anderen haben. Wir können nicht das sagen, was alle anderen sagen. Wir werden etwas anderes zu sagen haben; etwas, das uns nicht in den Sinn käme, wenn wir uns des Geistes beraubt wären. Die Worte des Geistes sind Worte der Liebe. Die Worte des Geistes sind auch Worte der Prophetie, denn sie sehen das, was jenseits des bloßen Scheins ist. Sie sehen das Herz des Menschen, mit seinen Fehlern, mit seinen Enttäuschungen und Hoffnungen. Die Worte des Geistes sind Worte der Zukunft, und genau in diesem Sine sind sie Worte der Prophetie und der Einheit, weil sie das liebende Herz Gottes erblicken, der seine Kinder von allen Seiten der Welt, von Osten und Westen, Norden und Süden, in seinem Reich zusammenbringen wird.

 

Der Geist bewirkt in uns genau das Gegenteil davon, uns in eine bestimmte Form zu zwängen. Der Geist ist frei und sein Werk in uns ist das Werk der Freiheit. Der Geist fordert uns heraus, keine fertigen Antworten auf Fragen zu geben; Antworten, die andere bereits auf ähnliche Fragen gegeben haben. Der Geist verlangt von uns, unsere Überzeugungen nicht auf die Ansprüche anderer zu gründen, sondern jede Frage neu zu bedenken, sich zu bemühen, sich der Wahrheit heute in dem besonderen Kontext der Fragestellung zu nähern.

 

Heutzutage hören wir, liebe Leserinnen und Leser, viele Begriffe und Beschreibungen für die Einstellung von Menschen gegenüber anderen Menschen: „Rechter Populismus“, gesellschaftliche Anfeindungen, Ethnopluralistische Feindlichkeit, die „Neue Rechte“. Viele von diesen Einstellungen argumentieren sogar „christlich“ oder „biblisch“ und wollen damit in die Gesinnung der Menschen eindringen. Sie mischen das Geistliche mit dem Weltlichen und darin wird wieder der Missbrauch der Religion zum Ausdruck kommen. Zu diesen Gruppierungen gehören auch andere „religiöse“ Kategorisierungen, die z. B. auf einer Endzeithoffnung beruhen und den Anspruch erheben, göttliche Zeichen anhand von weltlichen Ereignissen zu beweisen. In Corona-Zeiten haben wir wohl alle schon solche Behauptungen gehört.

 

Allerdings ist Religion in ihrem reinen Sinne eine Angelegenheit des Geistes und des Herzens, über die wir Menschen keine Verfügungsgewalt haben, und deshalb können wir keine Urteile über die religiösen Bestrebungen anderer fällen. Demnach ist jede Ausgrenzung, auch diejenigen die religiös gerechtfertigt erscheint, eine Wirksamkeit gegen den Geist. Ebenso kann die Religion nicht auf irgendwelchen weltlichen Ereignissen oder auf der Reinheit einer Kultur gegen eine andere gegründet werden, sondern nur auf der Reinheit des Herzens. Sie kann nicht auf Worten und Sprache beruhen, die wir sprechen, sondern eher auf den Worten, die wir nicht sprechen. Religion kann nicht einige Starke auf Kosten der Schwachen bevorzugen, sondern sehnt sich nach dem Geist Gottes und sieht ihn in seiner Verbundenheit mit dem Geist eines jeden Menschen. Denn jeder Mensch ist ein Geistverbundener in dieser Welt. Jeder Mensch ist auch ein Wort, und die besten und wahrsten Worte sind die Worte, die nicht gesprochen werden.

 

Und wenn Sie heute fragen, was ist denn das Zeichen dafür, dass man den Heiligen Geist in seiner Wahrheit hat, würde ich antworten: Das einzige Zeichen ist, dass man ihn nicht vollständig haben kann. Man kann ihn nicht mit wenigen Worten vollständig definieren und dann die Aussage mit einem Punkt beenden. Das einzige Zeichen für die Wahrhaftigkeit des Geistes ist seine Freiheit, ist sein Geist-Sein. Nimmt man dem Geist die Freiheit, wird er erlöschen. Und in diesem Sinne sagt Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher: „Den Geist löscht nicht aus.“ (1. Thessalonicher 5,19)

 

Einige Bilder oder Symbole mögen es schaffen, uns die Wahrheit des Geistes verständlicher zu machen. So sagen wir zum Beispiel, dass der Geist wie das Feuer ist. Denn er reinigt uns, wie das Feuer das Gold reinigt, und er lässt uns auch wie das Feuer wirken und sprechen, so als würden wir ohne ihn nie handeln oder reden können. Wir sagen auch, der Geist ist wie der Wind, man kann ihn nicht sehen, man kann ihn nicht aufhalten oder ihn an einem Ort einsperren. Aber am meisten scheint mir der Geist wie strömendes Wasser eines Flusses zu sein, das in seiner Großzügigkeit mit ungebrochener Kontinuität fließt. Es wird des Lebens nicht müde, es hält nicht an, wenn sich Hindernisse oder Konflikte in den Weg stellen, wenn verschiedene Wasserströme aneinanderstoßen. Das fließende Wasser wird seinen Weg hindurch finden, auch wenn es manchmal wütend wird. Irgendwie verzeiht und vergisst das laufende Wasser die Verstöße und fließt weiter in seiner Gütigkeit.

 

Eine weitere Ähnlichkeit zwischen dem Geist und fließendem Wasser ist die Möglichkeit, dass beide unbeachtet bleiben. Es kann sein, dass man an einem Fluss spazieren geht und die Anwesenheit des Flusses gar nicht wahrnimmt, nicht die Stimme seines Fließens hört, sodass das Herz nicht davon berührt wird. So ist es auch mit dem Heiligen Geist. Er ist sanft und demütig, so dass man ihn nur in der Sanftheit und in der Stille erkennen und hören kann. Anders als wir es uns vorstellen, wirkt der Heilige Geist in uns oft auf eine unaufgeregte, oft scheinbar langweilige Weise. Doch auf eine besonnene und verständige Weise. In diesem Sinne verstehen wir die Worte Jesu aus dem Matthäus-Evangelium:

 

„Ich preise dich, Vater, … dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. … Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid;“ und an einer anderen Stelle sagte er auch: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, … Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten;“ (Johannes 7,37-39) Amen.

 

 

 

Lieber Gott, du Vater, Sohn und Heiliger Geist,

 

du gibst uns den Atem, damit wir leben,

 

du gibst uns deinen Sohn, damit wir lieben, wie er geliebt hat,

 

und du gibst uns deinen Geist

 

damit wir durch ihn wahrhaftig deine Kinder werden können.

 

 

 

Wir beten heute für unsere Gemeinde, für unsere Familien,

 

für alle, die wir kennen, und für diejenigen, die wir nicht kennen.

 

Gott, gib uns und unserer Welt Worte der Prophetie,

 

Worte der Wahrheit, der Weisheit und der Liebe.

 

Viele Menschen leiden heute unter Worten der Lüge, der Falschheit,

 

der Grausamkeit und des Hasses.

 

Viele Menschen werden Opfer von Vorurteilen,

 

die von Kräften des Bösen gemacht werden.

 

Wer wird den Menschen helfen

 

und sie vor den dunklen Seiten des Lebens bewahren?

 

Wer wird die Wunden heilen?

 

Gewähre uns die Worte deines Lichts und deiner Liebe,

 

damit wir und auch andere Menschen dein Licht wahrnehmen.

 

Du bist unsere Hoffnung. Zu Dir kommen wir.

 

 

 

Auch wenn wir manchmal nicht die richtigen Worte finden, Gott,

 

und nicht wissen, was wir tun sollen,

 

auch wenn wir manchmal selbst die Opfer mancher Lebensformen sind,

 

und wir uns nicht von ihnen lösen können,

 

hilf du uns, dich in unserem Herzen zu bewahren,

 

damit wir auf dem Ufer deines Geistes wandeln,

 

auf das Rauschen seines Fließens hören,

 

und durch ihn deine Stimme vernehmen:

 

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid“.

 

Ja, Herr, wir kommen. Wir kommen zu dir. Amen.