Allein durch den Glauben!

Allein durch den Glauben!

 

Im Rahmen der Sommerpredigtreihe möchte ich heute mit Ihnen über Luthers Romreise nachdenken. Im Mittelpunkt der Predigt steht der Vers aus dem Römerbrief 1,17: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“

 

Nach seiner Romreise änderte sich vieles im Leben des späteren Reformators Martin Luther. Kann man heute rückblickend sagen, dass Luthers Romreise der Auslöser für die ganze Reformationsbewegung war? Und wenn ja, auf welche Weise? Was kann eine Reise mit einem Menschen machen, oder was kann sie in ihm verändern? Wie kann sie dazu beitragen, dass der Mensch nach der Reise die Dinge anders erlebt als das, was er früher glaubte? Was löst eine Reise in einem Menschen aus?

 

Martin Luther trat im Alter von 23 Jahren in die strenge augustinische Mönchsgemeinschaft in Erfurt ein. Mit fast 30 Jahren begab sich der Mönch Luther im Auftrag der Ordensleitung auf seine Reise nach Rom. Er ist tatsächlich zu Fuß über die Alpen aufgebrochen!

 

Was war Rom zu dieser Zeit?

 

Bereits im vierten Jahrhundert n. Chr. begann Kaiser Konstantin mit kirchlichen Bauarbeiten in Rom. Zur Zeit von Luthers Besuch (wahrscheinlich im Herbst 1511) hatte Papst Julius II. den Umbau der Konstantinsbasilika und zugleich den Wiederaufbau der Peterskirche neben den Vatikanischen Museen befohlen. All dies verursachte eine hohe finanzielle Belastung für die Kirche. Neben den Bauprojekten von Kirchen und Klöstern wurden auch Paläste errichtet, in denen die Kunst und Architektur der Renaissance zu ihrer Blüte gelangte.

 

Wie bei den meisten Pilgern des Mittelalters war auch Luthers Romreise allein auf Glaubensangelegenheiten ausgerichtet. Er war wahrscheinlich nicht an der umtriebigen Bautätigkeit interessiert. Aber er erlebte die Stadt als eine große Baustelle, die den Geistlichen als Paradies zur Erhaltung von Macht und Profit diente. Auf seiner Reise konnte er mit eigenen Augen sehen, wie das Geld aus dem Verkauf von Ablassbriefen verbraucht wurde. Im späten Mittelalter war die Angst vor dem Jüngsten Gericht unter den Menschen groß und es war einfach diese Angst durch den Verkauf der Ablässe auszunutzen. Luther selbst stellte sich die Frage: „wie kann ich trotz Sünde vor Gott bestehen?“ Die Antwort darauf konnte er aber weder in seinen wissenschaftlichen Bemühungen noch im Mönchsleben finden. Durch seine Reise nach Rom wurde ihm auch klar, dass alle Werke der Buße das Seelenheil nicht garantieren können.

 

Wir können uns vorstellen, wie Luther immer wieder über diese eine Frage nachgedacht hat: „wie kann ich trotz Sünde vor Gott bestehen?“ Immer wieder um eine Frage zu kreisen, das kennen wir vielleicht selbst. Wenn wir eine Frage stets im Hinterkopf haben und immer wieder darüber nachdenken, dann finden wir manchmal plötzlich die Antwort irgendwo, vielleicht in einem Text. Luther ist so etwas passiert. Einige Jahre nach seiner Romreise fand er in einem Vers aus dem Brief des Paulus an die Römer endlich die Antwort auf seine Frage:

 

„Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«“ (Römer 1,17)

 

Nach dieser Entdeckung konnte Luther die Rechtfertigung Gottes als ein Geschenk betrachten. Als ein Geschenk Gottes, das der Mensch durch den Glauben allein empfangen kann. Jahre später schrieb Luther über diesen Moment, in dem ihm nach all dem Nachdenken durch den Bibelvers endlich die Augen geöffnet wurden: „Da hatte ich das Gefühl, ich sei geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies selbst eingetreten.“

 

Mein Ziel heute, liebe Leserinnen und Leser, ist es nicht Geschichtsunterricht über Luthers Romreise oder die Reformation zu erteilen. Das haben wir alle schon einmal in der Schule gehört. Heute möchte ich bei dieser Frage verweilen: Wie hat seine Romreise Luther dabei geholfen, die Dinge klarer zu sehen? Wie wirkte sich die Reise nach Rom auf sein Verständnis des Glaubens aus?

 

Was ich heute sagen möchte, ist, dass es manchmal wichtig ist, sich äußerlich, also geografisch zu bewegen, an einen neuen Ort zu kommen, damit innere Bewegung möglich wird. Und damit meine ich nicht eine Urlaubsreise. Denn im Urlaub bleiben wir selbst das Zentrum unseres Denkens. Es geht um uns, unsere Erholung, unseren Spaß. Das "Reisen" um das es hier geht, ist eine Reise mit der Bereitschaft, sich innerlich zu verändern, sich für das Neue zu öffnen und sich dadurch bewegen zu lassen.

 

Wenn wir an einen neuen Ort reisen, wollen wir erfahren, wie andere Menschen an anderen Orten leben. Was für Gewohnheiten und Traditionen haben sie? Was sind ihre Sorgen und was sind ihre Freuden? Wenn wir so fragen, können wir aus unserem verschlossenen Selbst heraustreten, und uns selbst besser kennen lernen. Denn dann lernen wir eine andere Art zu leben kennen, die wir mit unserer eigenen Lebensweise vergleichen können. In dieser Bewegung, bei der wir aus unserem Selbst herauskommen und uns an einen anderen Ort begeben, findet eine Art Enthüllung der Wahrheit statt. Denn erst dann können wir entdecken, dass das, was wir sind, nicht von den Dingen abhängt, die wir besitzen.

 

Viele Dinge, die uns wesentlich zu sein schienen, werden wir als nicht so wesentlich erkennen. Eine ähnliche Entdeckung fand in Luthers leben statt. Als er nach Rom reiste, entdeckte er, dass die Stadt ganz anders war, als er sich sie früher vorgestellt hatte. Er erwartete eine heilige und fromme Stadt und fand das Gegenteil vor. Diese Entdeckung ließ ihn erkennen, dass das, was ihm zuvor als wesentlich für den Glauben und das Heil erschien, es gar nicht war. Er konnte erkennen, dass es auf den inneren Glauben an Gott ankommt. Dass es das ist, was zählt und keine menschlichen Werke, keine Obrigkeit, kein Klerus, keine Gebäude. Dass keine Bilder und Reliquien von Heiligen, kein Geld und kein Ablass dem Menschen das Heil schenken kann, sondern allein Gott durch seine Gnade. Und diese kann man nur durch den Glauben empfangen, indem man sich für Gott und für Jesus öffnet und ihm nachfolgt.

 

Das ist es, was uns das Reisen lehrt. Es hilft uns zu sehen, dass die Wahrheit jenseits der Dinge liegt, die Freude jenseits des Reichtums und die Gnade Gottes jenseits aller Sünde.

 

Die Dinge haben also keine Heilskraft an sich, sondern nur durch den Glauben kommt der Mensch zu Gott hin. In diesem Sinne lehrte auch Luther über die Sakramente, dass nämlich der Glaube für die Wirksamkeit der Sakramente, von Taufe und Abendmahl, wesentlich ist. Denn nur durch den Glauben kann der Mensch sich Christus nähern und sich mit ihm vereinigen. Nicht das Sakrament an sich, sondern der Glaube an das Sakrament macht den Menschen vor Gott gerecht.

 

Durch den Glauben sind wir, liebe Leserinnen und Leser, wer wir sind. Durch den Glauben sind wir uns unseres Lebens bewusst, dessen, was wir hören und sagen. Wir sind uns dessen bewusst, was wir tun und nicht tun. Wir sind uns Gottes und der anderen bewusst. Der Glaube macht uns zu etwas Besonderem in der Menschenmenge. Er macht uns zu dem, was wir sind, im Gegensatz zu allen anderen, die sozusagen in der Menschenmenge verloren sind.

 

Ich kann diese Gedanken heute nicht genauer ausführen. Aber eins ist klar: Der Glaube hilft uns, unser wahres Inneres zu entdecken. Er hilft uns zu erkennen, dass wir Geschöpfe sind, die von einem Schöpfer geschaffen wurden. Wir leben, weil uns das Leben geschenkt wird, und wir sind, wer wir sind, wenn wir das Geschenk der Gnade Gottes durch den Glauben empfangen.

 

Durch den Glauben sind wir aufgefordert und in der Lage, das zu wagen, was andere sich nicht zu tun wagen. Wir wagen zu lieben und zu vergeben, neu anzufangen und die Hoffnung nicht zu verlieren. Durch den Glauben wagen wir auch Kritik zu üben, und hauptsächlich Selbstkritik.

 

In diesem Sinne enthält Luthers „sola fide“ (allein durch den Glauben) ein Element des modernen Denkens; ein Element, durch das der Mensch hervortritt. Er ist der Glaubende, der Hörende des Wortes. Durch „sola gratia“ (allein durch Gnade) kommt die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck und durch das „sola fide“ kommt der Mensch zum Vorschein, der glaubt und die Gnade Gottes empfängt.

 

Heute dürfen wir Luthers Kritik an der Kirche als Selbstkritik wahrnehmen. Luthers Ziel war nicht die Spaltung der Kirche und dies war auch nicht das Ziel aller nachfolgenden Spaltungen in der Geschichte der Kirche. Liebe Gemeinde, die Kirche ist eins, denn sie bildet den einen Leib Christi, zu dem wir alle gehören.

Durch den Glauben schauen wir auf Jesus. Denn er ist der Anfänger und Vollbringer unseres Glaubens (Heb.12,2). Amen.

 

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Gott unser Vater,

 

wir kommen zu dir, weil wir glauben,

 

wir glauben an dich,

 

wir glauben an die Liebe,

 

die Vergebung, die Hoffnung,

 

die Barmherzigkeit.

 

Wir glauben an die Gerechtigkeit,

 

an die Wahrheit,

 

an das Leben,

 

an die Gnade,

 

an das Seelenheil,

 

das ewige Leben in dem Augenblick der Liebe,

 

das ewige Leben hier und jetzt.

 

Wir glauben an Jesus Christus,

 

an den Menschen gewordenen Gott

 

und an den auferstandenen Menschen.

 

Wir glauben, dass du durch jeden Menschen zu uns kommst

 

und dass du dein gnädiges Antlitz

 

im Gesicht eines jeden von uns offenbarst.

 

Wir glauben an den Heiligen Geist,

 

der uns mit dir verbindet,

 

und mit allen anderen,

 

mit den Menschen aus verschiedenen Ländern,

 

aus verschiedenen Kulturen und Farben.

 

Du hast alle zu deinen Kindern gemacht.

 

Du kennst keinen Unterschied zwischen arm und reich,

 

zwischen den Privilegierten und den Ausgegrenzten,

 

zwischen Mann und Frau.

 

Auch die Religionen hast du nicht gemacht,

 

die Grenzen zwischen den Ländern.

 

All das ist das Werk von Menschen.

 

Bitte vergib Gott.

 

Wir haben oft versagt zu lieben,

 

haben es versäumt, nach der Wahrheit zu suchen,

 

oft haben wir den bequemsten Weg gewählt,

 

den Weg zur Erhaltung von Macht und Profit.

 

Wir haben es oft versäumt, uns zu bemühen

 

gnädig zu sein,

 

zu vergeben und barmherzig zu sein,

 

wie du es bist.

 

Bitte hilf,

 

hilf, dass wir deine Gnade durch den Glauben empfangen,

 

dass wir glauben,

 

glauben an dich, unseren Vater,

 

unseren Bruder und unseren Tröster.

 

Amen.

 

 

 

Avakian