Die Freude, die gibt

 

Die Freude, die gibt

(Prediger 11,9-11; 12,1-8)

 

"Freue dich in deiner Jugend, junger Mann, und lass dein Herz fröhlich sein in den Tagen deines Jugendalters; wandle in den Wegen deines Herzens und nach dem, was deine Augen sehen — doch sollst du [dabei] wissen, dass dir Gott über dies alles ein Urteil sprechen wird! Entferne den Unmut aus deinem Herzen und halte das Übel von deinem Leib fern, denn Jugend und dunkles Haar sind nichtig!

Und gedenke an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre herannahen, von denen du sagen wirst: »Sie gefallen mir nicht«; ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne sich verfinstern und die Wolken nach dem Regen wiederkehren; zu der Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und die Müllerinnen aufhören zu arbeiten, weil sie zu wenige geworden sind, und wenn trübe werden, die aus dem Fenster schauen; wenn die Türen zur Straße hin geschlossen werden und das Klappern der Mühle leiser wird, wenn man aufsteht beim Vogelgezwitscher und gedämpft werden die Töchter des Gesangs; … und der Staub wieder zur Erde zurückkehrt, wie er gewesen ist, und der Geist zurückkehrt zu Gott, der ihn gegeben hat. O Nichtigkeit der Nichtigkeiten! spricht der Prediger; alles ist nichtig!"

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Das Buch „Prediger“ gehört zum Genre der Weisheitsliteratur, das sich mit existenziellen Fragen beschäftigt. Das Buch wurde höchstwahrscheinlich im 3. Jahrhundert vor Christus geschrieben. Heute wollen wir den Predigttext im Licht unserer heutigen Lebensumstände und Herausforderungen lesen und verstehen.

 

Im Predigttext ermutigt der Autor die jungen Menschen dazu, sich zu freuen und das Leben zu genießen, solange sie jung sind. Er beschreibt die Freude so, als sei sie ein Geschenk, das man am besten in der Jugend genießen kann, da man später, wenn man älter ist, das Leben nicht mehr so genießen können wird wie früher, als man voll gesund und munter war.

 

Diese Freude und dieser Genuss sind aber in den kleinen Freuden und im gewöhnlichen Lauf des Lebens zu finden; in den Ereignissen, die dem Herzen Freude bereiten. Der Lebensgenuss ist daher kein Streben nach Luxus, und er ist auch keine Einladung zur egoistischen, unmoralischen Lebensweise. Und in diesem Sinne schrieb der Autor früher in seinem Buch: „doch wenn irgendein Mensch isst und trinkt und Gutes genießt bei all seiner Mühe, so ist das auch eine Gabe Gottes.“ (3,13)

 

Und wenn wir heute fragen: Was ist denn die Freude? Und: Wie kann der Mensch im Leben glücklich sein? Dann erhalten wir die Antwort auf diese Fragen heute durch die Worte des ersten Psalms: „Wohl dem, der nicht wandelt nach dem Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz nachsinnt Tag und Nacht.“ (Ps.1,1-2)

 

Wohl dem, der am Gesetz des Herrn Lust hat, oder Freude hat, und über sein Gesetz nachdenkt Tag und Nacht. Das klingt im ersten Augenblick nicht sehr attraktiv, besonders für junge Leute: Sich über das Gesetz Gottes zu freuen und Tag und Nacht darüber nachzudenken. Aber was ist mit dem Gesetz Gottes gemeint? Jesus hat uns ein Gebot gegeben, das sich in zwei Teilen entfaltet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“ und „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matt.22,37). Kann uns die Liebe Freude bereiten?

 

Ich meine, es ist die Liebe selbst die uns Freude schafft. Ohne die Liebe werden wir kaum Freude im Leben haben. Die Liebe ist es, die uns Freude bereitet.

 

Durch die Liebe spüren wir, dass wir zu Hause sind. Das heißt, zu Hause zu sein und glücklich zu sein bedeuten für uns, geliebt zu werden. Normalerweise haben wir die Möglichkeit, Liebe in der Familie zu erfahren. Kinder und Jugendliche werden von den Familienmitgliedern geliebt, die sich um die Kinder kümmern. Und doch ist die Liebe nicht auf die Familie beschränkt, und junge Menschen werden bald nach Liebe bei Freunden und Klassenkameraden suchen, die sie verstehen, die sie lieben und für sie da sein können, wenn sie sie brauchen. Die Liebe ist aber auch nicht auf Menschen beschränkt, nämlich auf Familie und Freunde. Und so lautet auch der andere Teil von Jesu Gebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“. Und wir lieben Gott, weil wir wissen, dass er auch uns wie ein Vater, und wie eine Mutter liebt. Denn er hat uns geschaffen und wir verdanken ihm unser Leben. Und so können wir auch dann, wenn wir manchmal die Liebe der anderen Menschen nicht spüren, darauf vertrauen, dass wir nicht allein gelassen werden. Gott und seine Liebe werden immer für uns da sein, um uns die Freude am Leben zu schenken. Wenn Kinder aufwachsen, lernen sie selbst andere zu lieben. Sie lernen zu geben und sich für andere aufzuopfern und für andere da zu sein. Und ich meine, das ist eine größere Freude als die Freude selbst geliebt zu werden.

 

In unserer heutigen Welt fehlt oft das Element der Liebe als Quelle der Freude. Und mit den aktuellen Entwicklungen der Digitalisierung, insbesondere durch den Virus, der sich in vielen Ländern der Welt ausgebreitet hat, gibt es eine Tendenz, sich mit dem zu begnügen, was man hat. Das können für ältere Generationen all die Dinge sein, die Gesundheit und Wohlbefinden garantieren. Die jüngeren Generationen haben ihre eigenen Träume von Dingen, die sie glücklich machen können. Auch Erwachsene brauchen in der Regel Dinge, um glücklich zu sein: ein schönes Haus, ein Auto, ein Handy oder eine Uhr, die nach dem neuesten Stand der Technologie hergestellt ist. Im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten Auffassung von Freude möchte ich heute die Freude als etwas verstehen, das ausschließlich auf Liebe beruht.

 

Heute, liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, wollen wir die Freude so verstehen, dass sie uns geschenkt wird durch die einfache Möglichkeit, andere zu lieben und für andere da zu sein. Freude liegt nicht nur im Gefühl, geliebt zu werden, sondern auch in dem Gefühl, andere zu lieben. Diese Fähigkeit, andere zu lieben und ihnen etwas zu schenken ist uns gegeben. Wir alle können andere lieben und ihnen etwas von uns geben. Und es ist erstaunlich zu wissen, dass wir alle lieben können, auch wenn die Erfahrung, geliebt zu werden, in unserem Leben unvollkommen ist oder sogar fehlt. Ich würde heute nicht zögern zu sagen, dass die Möglichkeit, andere zu lieben, das größte Geschenk und die größte Freude ist, dessen wir uns manchmal nicht bewusst sind. Die einfache Möglichkeit andere zu lieben wird dann selbst zur Quelle unserer Freude.

 

Von anderen geliebt zu werden macht uns glücklich, aber noch größer ist die Freude, wenn wir andere glücklich machen können. Normalerweise können wir andere nicht dahingehend beeinflussen, dass sie uns lieben, aber die Freude, andere zu lieben, ist etwas, das man früh im Leben lernen kann und soll. Später, im hohen Alter, kann es zu spät sein, um zu lernen, wie man den anderen helfen kann. Denn wer in der Jugend nicht lieben, helfen und geben konnte, wird es auch im Alter wahrscheinlich nicht schaffen. Und der Mensch bleibt oft allein, weil er in der Jugend etwas sehr Wichtiges versäumt hat. Das ist, glaube ich, ein Grund, warum manche Menschen es nicht schaffen, etwas für andere zu tun und dann im Alter unter Einsamkeit leiden müssen und warum andere es schaffen, auch im Alter glücklich zu sein und allein zu leben, weil sie darauf vorbereitet sind, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch an andere.

 

Und es ist in diesem Sinne, dass wir heute die Worte des Predigttextes verstehen wollen: „wandle in den Wegen deines Herzens und nach dem, was deine Augen sehen“. Kann man als junger Mensch auf den Wegen des Herzens wandeln, und kann man die Bedürfnisse der anderen sehen? Der Aufruf an die Jugend, sich zu freuen, wird in V.10 (Kapitel 11) mit dem Wort „nichtig“ begründet. Der Vers lautet: „Entferne den Unmut aus deinem Herzen und halte das Übel von deinem Leib fern, denn Jugend und dunkles Haar sind nichtig!“ Das „dunkle Haar“ steht im Text für die Jugendzeit und das Wort „nichtig“ auf Hebräisch הֶבֶל [Häbäl] wird auch als „Windhauch“ oder „Eitelkeit“ übersetzt. Wie können wir heute dieses „nichts“ oder die „Nichtigkeit“ verstehen? Wir haben gerade erwähnt, dass Menschen oft Dinge brauchen, um glücklich zu sein. Und der Autor des Predigers sagt uns, dass alles, nämlich alles Vergängliches nichts ist. Auch die Jugend ist vergänglich. Der Staub, aus dem wir gemacht wurden, wird zur Erde zurückkehren und der Geist zu Gott. Brauchen wir dann wirklich Dinge, um glücklich zu sein? Eins ist klar: Wer Vieles im Leben besitzen will, kann nicht lieben, auch wenn er denkt, dass er liebt, denn Liebe ist genau das Gegenteil von Besitzen. Die Liebe gibt, auch wenn sie weiß, dass sie am Ende alles verliert. In einer Welt, die vom Nehmen und Besitzen gekennzeichnet ist, beschreitet die Liebe einen anderen Weg. Die Liebe riskiert die „Verletzlichkeit“ und den totalen Verlust. Die Liebe riskiert, nicht erwidert zu werden. Demnach riskiert die Liebe die „Einseitigkeit“ in einer Welt, die auf zweiseitigen vertraglichen Verständigungen beruht. Das Leiden der Liebe besteht also darin, dass sie nicht erwidert wird. (Siehe: Thomas Günter, Im Weltabenteuer Gottes leben.) Die Liebe riskiert es, sich zu freuen und glücklich zu sein, auch wenn sie nichts besitzt. „Denn so [sehr] hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat.“ (Johannes 3,16) Amen.

 

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Gott, unser Vater,

 

wir danken dir für das Geschenk des Lebens

 

und für all die guten Gaben, die wir von dir erhalten.

 

Wir danken dir für die Menschen, die uns lieben und für uns sorgen.

 

und für die Menschen, die wir lieben und für die wir sorgen.

 

Wir danken dir für all die Freuden, all die glücklichen Momente im Leben,

 

aber auch für alle schwierigen Zeiten, denn du gibst uns Kraft zum Durchhalten.

 

Du hast uns mit Liebe geschaffen

 

und uns die Möglichkeit gegeben, geliebt zu werden und zu lieben.

 

Hilf uns, wenn wir versagen,

 

hilf uns, wenn wir es versäumen, zu geben und uns zu freuen.

 

Vergib uns, dass wir die meiste Zeit selbstsüchtig sind,

 

wir wollen viele Dinge für uns haben

 

und dabei vergessen wir, an dich und an die anderen zu denken.

 

Heute beten wir besonders für die junge Generation,

 

für alle jungen Menschen auf dieser Welt.

 

Wir beten für die jungen Menschen, die in ihrem Leben keine Liebe erfahren durften,

 

für die jungen Menschen, deren Träume zerrissen sind und die ihrer Hoffnungen beraubt sind.

 

Wir beten für unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden,

 

für unsere Kinder,

 

dass du ihre Herzen erleuchtest,

 

dass du ihre Herzen vor allen Irrwegen bewahrst und beschützt,

 

vor aller Schwäche und Selbstsucht.

 

Wir beten für Keno Krug,

 

dass du ihn zu einem mutigen Menschen machst,

 

der die Menschen liebt, alle Menschen ohne Unterschied.

 

Bewahre seine Eltern, bewahre alle Eltern,

 

in deiner Liebe und Weisheit.

 

Gewähre der Welt deinen Frieden,

 

den Frieden, der fest bleibt,

 

selbst im Angesicht der größten Gefahren. Amen.

 

 

 

Sylvie Avakian

 

17.10.2021