Was ist mit „Freiheit im Christus“ gemeint?

 Was ist mit „Freiheit im Christus“ gemeint?

(Galater 5,1-6)

 

Konfirmandenvorstellungsgottesdienst am Reformationsfesttag

 

 

„So steht nun fest in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in ein Joch der Knechtschaft spannen! 

Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge nochmals jedem Menschen, der sich beschneiden lässt, dass er verpflichtet ist, das ganze Gesetz zu halten. Ihr seid losgetrennt von Christus, die ihr durchs Gesetz gerecht werden wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen!

Wir aber erwarten im Geist aus Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit; denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.“

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Was ist, liebe Gemeinde, im Predigttext mit „Freiheit im Christus“ und was mit dem „Joch der Knechtschaft“ gemeint?

 

Da die Freiheit eine Hauptbotschaft der Reformation war, die vor 500 Jahren entstand, möchten wir heute, an diesem Reformationsfesttag, über die Bedeutung der Freiheit für uns nachdenken.

 

Sophie Scholl, geboren 1921, war 21 Jahre alt, als sie zusammen mit ihrem Bruder Hans und anderen Studenten beschloss, den Nationalsozialismus öffentlich zu kritisieren und Widerstand zu leisten. Sie hatte ihr Studium der Biologie und Philosophie an der Universität in München neu angefangen. Von Juni 1942 bis April 1943 haben die jungen Studenten Flugblätter in München verbreitet, die zum Kampf gegen den Nationalsozialismus aufriefen. Die Reaktion der Machthaber war schnell: Hans und Sophie Scholl wurden am 22.Februar 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Hätte Sophie überlebt, wäre sie in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.

 

Für Sophie Scholl war die Freiheit wichtig. Freiheit ist etwas, das man nicht allein haben kann. Wenn du ein freiheitsliebender Mensch bist, wirst du wollen, dass jeder Mensch in Freiheit und in Würde lebt. Und in diesem Sinne hat sie kurz vor ihrem Tod ihrer Freundin erzählt: „Wir durften Wegbereiter sein, [wir] müssen aber vorher [für unsere Ideen] sterben“.

 

Für die Freiheit und für die Würde des Menschen haben sie und ihr Bruder ihr Leben gegeben.

 

In diesem Sinne ist die Freiheit mehr als nur eine freie Tat oder ein freies Reden. Manchmal denken wir, dass wir, wenn wir frei sind, auch frei sind zu tun, was wir wollen, oder zu sagen, was wir sagen möchten. Manchmal denken wir, dass wir stark und frei sind, wenn wir unachtsam mit unseren Mitmenschen umgehen oder ihre Bedürfnisse und Forderungen übersehen. Manchmal möchten wir selbst die Gesetze streng durchzusetzen, oder die befolgen, die von irgendeiner Obrigkeit vorgegeben werden, und damit nehmen wir unbewusst das Joch der Sklaverei auf uns. Denn in all diesen Beispielen wird die Freiheit als solche nicht verstanden. So erging es auch den Galatern. Einige Galater waren versucht, der Lehre von solchen Christen zu folgen, die vom Judentum konvertiert waren. Diese Konvertiten behaupteten, dass man das jüdische Gesetz halten müsse, um das Heil zu erlangen. Deshalb sollten sie auch die Beschneidung vollziehen, die das zentrale Merkmal des Judentums war. In seinem Brief warnt Paulus die Galater davor, sich unter das Joch des Gesetzes zu begeben, denn das Gesetz wäre nicht in der Lage, sie zu befreien.

 

In unserer Kirche gibt es solche Gesetze heute nicht mehr. Aber in Kirche und Gesellschaft sind wir immer noch mit einigen totalitären Forderungen konfrontiert, die befolgt werden müssen. Die Corona-Verordnungen unserer Tage können ebenfalls als solche totalitäre Ansprüche angesehen werden können, vor allem deshalb, weil sie nämlich in den Menschen die Angst vor dem Tod wecken, ähnlich wie das Gesetz des Beschnittenseins und viele andere Gesetze, die die Menschen aus Furcht und Angst handeln lassen; eine Angst, die die Menschen davon abhält, das Wesentliche im Leben zu suchen, nämlich Liebe, Freiheit und Fürsorge.

 

Christus allein kann uns die Freiheit schenken, weil er den Tod selbst nicht gefürchtet hat. Er ist derjenige, der gestorben und auferstanden ist, der den Tod aus freiem Willen akzeptiert hat.

 

In diesem Sinne ist der Weg der Freiheit kein Weg des Hasses und der Missachtung des anderen, damit mein eigener Raum und meine eigenen Rechte gewährleistet sind. Sondern die Freiheit strebt nach der Freiheit aller. Deshalb kann die Freiheit nicht auf Kosten des Schmerzes und der Sklaverei der anderen in Anspruch genommen werden. Das ist natürlich ein anderer Sinn von Freiheit als der, den die Politik versteht. In der Politik kann man Freiheit auch dann erlangen, wenn man einen Krieg mit einem Gegner führt, einen Krieg, der vielleicht den Tod vieler Menschen und die Zerstörung von Ländern zur Folge hat. Und dann hat man mehr Raum für seine eigene Freiheit. Aber das ist nicht die Freiheit, die Christus uns gewährt.

 

Und wenn ihr mich heute fragt, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, warum brauchen wir überhaupt die Freiheit Christi? dann würde ich euch antworten: Weil jede andere Freiheit ein Joch der Sklaverei mit sich bringt, und man dann nicht mehr richtig frei ist.

 

Und wenn ihr mich weiter fragt: Worin besteht dann die Freiheit Christi? Würde ich antworten: Die Freiheit Christi ist eine Frage des aufrechten Stehens, der aufrechten Haltung und des aufrechten Gangs, ohne Furcht oder Angst. „So steht nun fest in der Freiheit“, schreibt Paulus an die Galater. Harret in der Freiheit aus, steht fest in Integrität und Rechtschaffenheit und in der Gemeinschaft mit dem Herrn, haltet der Freiheit die Treue, steht aufrecht.

 

Aber den Weg der Freiheit zu gehen und der Freiheit Treue zu halten ist nicht immer der einfachste Weg. Wenn aber derjenige, der den Weg der Freiheit geht, gefragt wird: Warum wählst du den schwierigen Weg, wo es doch auch andere mögliche Wege im Leben gibt? Dann würde der antworten: Ich habe keinen anderen möglichen Weg gesehen, den ich gehen könnte, als diesen einzigen Weg.

 

Die Freiheit, liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, manifestiert sich dann in zwei Augenblicken: in der Erfahrung, dass wir nichts tun müssen, um Würde zu erlangen, und in der Folge dieser Erfahrung, nämlich in dem Mut, man selbst zu sein.

 

Das erste Moment, nämlich die Erfahrung, dass wir nichts tun müssen, um Würde zu erlangen, ist wesentlich für die Freiheit, denn es macht uns bewusst, dass Gott uns nach seinem Bild geschaffen hat, mit Würde und Sehnsucht nach Freiheit. Diese Sehnsucht ist uns gegeben. Selbst in den dunkelsten Momenten des Lebens, selbst wenn wir diesem Freiheitspotential völlig entgegenwirken, können wir uns im gleichen Moment dem Geist der Freiheit öffnen, der in uns ist und der allein uns vom Joch der Sklaverei befreien kann. Wir müssen kein Gesetz erfüllen, um Kinder Gottes zu werden. In diesem Sinne sind es nicht wir selbst, die die Freiheit schaffen müssen, sie wird uns in unserem Herzen, in unserem Geist geschenkt. Und doch müssen wir den Mut haben, uns diesem Geist zu öffnen, ihn uns anzueignen. Und hier ereignet sich das zweite Moment der Freiheitserfahrung. In dem Moment, wenn wir uns dem Geist öffnen, werden wir den Mut haben, auch fest im Geist zu stehen und aufrecht zu gehen und dadurch wahrlich und aufrichtig unser eigenes Selbst zu sein.

 

Der Geist der Freiheit ist der Geist Christi. Und die Freiheit, die uns der Geist schenkt, ist die Freiheit im Christus, denn er ist der wahre Sohn Gottes und wir sind alle auch berufen die wahren Söhne und Töchter Gottes zu werden.

 

Ist die Kirche heute bereit, für die Freiheit einzutreten? Ist die Kirche, sind die Gläubigen und besonders, ist unsere junge Generation heute bereit für die Freiheit und die Freimütigkeit einzustehen, die eigene Überzeugung ohne Furcht und Angst, ohne Taktieren und ohne Diplomatie eindeutig und unvermischt zu sprechen und „nein“ zu sagen zu all den totalitären Behauptungen, die den Menschen, auf die eine oder andere Weise auferlegt werden?

 

Eins bleibt noch zu sagen: Wir können, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, wahrhaftig wir selbst sein, wenn wir uns um andere kümmern. Alle anderen Formen der Selbstverwirklichung sind Halbwegversuche, die nur durch den liebevollen Dienst an anderen vollendet werden können. Wisst ihr warum? Denn Freiheit ist in ihrem Wesen Freiheit von sich selbst, von der Selbstbezogenheit, im Dienst der anderen. Die Liebe ist kein anderes Joch, das wir tragen müssen, sondern sie ist das Ergebnis eines freien Geistes, der frei ist zu lieben und zu dienen. Die Liebe und nur die Liebe macht das aufrechte Stehen und den aufrechten Gang im Leben möglich.

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, in dieser Zeit der Vorbereitung auf eure Konfirmation möchte ich euch auffordern, darauf zu achten, dass alles, was ihr hört und lernt, alles, was ihr sagt und tut, euch hilft, die Freiheit über die Sklaverei und die Liebe über alles andere zu wählen.

 

Zurück zu Sophie Scholl, die für uns heute den Kern des Reformationsfestes verkörpert:

 

Am Tag vor ihrer Hinrichtung sagte sie: „So ein herrlicher, sonniger Tag. Und ich muss gehen. Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele hoffnungsvolle Männer. Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden.“

 

„Als Hans [der Bruder von Sophie] an der Reihe war, rief er, bevor das Beil niederging, so laut, dass es durch die Gemäuer in Stadelheim hallte: ‚Es lebe die Freiheit‘.“ (Tim Pröse, Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler. 18 Begegnungen). Amen.