Gott, unsere Herrlichkeit

 

Gott, unsere Herrlichkeit

 

(Johannes 17,1-8)

 

„Dies redete Jesus und hob seine Augen zum Himmel empor und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit auch dein Sohn dich verherrliche gleichwie du ihm Vollmacht gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen ewiges Leben gebe, die du ihm gegeben hast. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden; ich habe das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tun soll. Und nun verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbar gemacht, die du mir aus der Welt gegeben hast; sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun erkennen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt; denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und haben wahrhaft erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und glauben, dass du mich gesandt hast.“

 

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Dieses Gebet Jesu präsentiert das Johannesevangelium als seine letzten Worte, bevor er von den Soldaten und Beamten der Hohenpriester und Pharisäer verhaftet wurde. Das Gebet erstreckt sich über das gesamte Kapitel 17. In diesem Kapitel betet Jesus für seine Jünger, für deren Einheit und er bittet Gott, sie durch sein Wort vor allem Bösen in der Welt zu bewahren und zu behüten.

 

Jesus beginnt sein Gebet mit der Feststellung, dass er seinen Auftrag, der ihm anvertraut wurde, erfüllt hat. Sein Auftrag war es, das Wort Gottes zu den Menschen und insbesondere zu seinen Jüngern zu bringen, und das hat er getan. Nun ist die Zeit, dass er, der Sohn Gottes, verherrlicht wird damit wiederum, durch die Herrlichkeit des Sohnes Gott, der Vater, verherrlicht wird. „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit auch dein Sohn dich verherrliche“, hat Jesus gebetet. Was aber bedeuten diese Worte? Die Stunde, von der Jesus spricht, ist die Stunde seines Todes. Inwiefern ist dann der Tod ein Moment der Verherrlichung? Was bedeutet Verherrlichung für uns heute? Wir wissen, dass wir alle sterben werden. Bedeutet das, dass wir alle an der von Gott gewährten Verherrlichung teilhaben werden?

 

Das Wort „verherrliche“, das Jesus nutzt scheint in der deutschen Übersetzung ein altes Wort zu sein, „verherrliche“ von „Herrlichkeit“. Wir würden heute sagen, eine Person zu ehren, zu loben, oder zu würdigen, zu schätzen. Was bedeuten dann diese Worte für uns? Hier in der Welt brauchen wir alle irgend eine Art von Würdigung oder Wertschätzung; Würdigung dessen, was wir in unserem Leben tun und schaffen. Manchmal hoffen wir, dass andere uns loben oder uns zumindest für wichtig halten. Schüler in den Schulen freuen sich, wenn sie einen positiven Kommentar des Lehrers hören oder eine gute Note bekommen, was an sich schon eine Wertschätzung ihrer Arbeit ist. Aber nicht nur Schüler. Wir alle brauchen wohlwollende, positive Worte, Wertschätzung, damit wir das Gute, das wir begonnen haben, auch weiterhin tun wollen und können. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass manche Menschen keine Chance haben, menschliche Anerkennung oder Lob für das zu erfahren, was sie sind und tun. Werden sie dann auch von der Herrlichkeit Gottes ausgeschlossen sein?

 

Die Frage, über die wir heute nachdenken möchten, ist: Wie können wir den Schritt, oder den Sprung machen, von der Erwartung des menschlichen Lobes zur Erwartung der Herrlichkeit, die uns von Gott zuteil wird?

 

Das man die Anerkennung Gottes fühlt und die Herrlichkeit, die uns Gott gewährt, wie passiert das überhaupt? Gott spricht nicht direkt zu uns. Und manchmal brauchen wir es einfach etwas klar und eindeutig zu hören und etwas Greifbares zu erhalten, ohne das wir in Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit fallen könnten. Es ist aber so, liebe Gemeinde, dass erst wenn der Mensch erkennt, dass es einen Gott gibt und dass seine Existenz zutiefst mit Gott verbunden ist, erst dann kann er das Geschenk der Herrlichkeit und der Würde, die Gott gewährt, empfangen. Dieses Erkennen, dass es einen Gott gibt, nennen wir Glaube.

 

In der Vergangenheit glaubten die meisten Menschen an Gott, aber sie fürchteten Gott mehr als das sie an ihn glaubten. So befolgten sie vor allem die Gesetze der Kirche, sie hielten sich an die Gebote, sie hielten die Gebetszeiten ein. Aber all das taten sie oft aus Angst vor Gott, den sie als einen Gott wahrnahmen, der unabhängig und außerhalb ihres Lebens und ihrer eigenen Realität als menschliches Wesen stand. Und so sind die Menschen oft passiv geblieben, weil sie ihre Beziehung zu Gott auf das Halten und Befolgen der Gebote beschränkten, da Gott ohnehin als ein ferner Gott wahrgenommen wurde.

 

Heute wollen Menschen einen Gott, der eine von ihnen und ihrem Leben unabhängige Macht ist, nicht mehr fürchten, noch ihm gehorchen. Vor allem, weil sie nicht mehr daran glauben wollen, dass es einen solchen Gott gibt, einen Gott, der wie ein alter Mann irgendwo im Himmel sitzt und auf sein Volk schaut und seine Gnade oder Strafe von oben auf sie hinab schickt. Die Menschen wollen heute auch nicht mehr der Kirche und den kirchlichen Autoritäten gehorchen, weil sie auf die eine oder andere Weise entdeckt haben, dass die Kirche nicht vor Fehlern gefeit ist. Wozu brauchen wir dann überhaupt noch die Kirche? Fragen sich viele Menschen heute.

 

Hinzu kommt, dass viele Menschen heute, besonders diejenigen, die in unserer heutigen technologischen Welt aufwachsen, keine Lust mehr haben, sich für ihren Glauben, für ihr eigenes Denken und Verstehen anzustrengen. Denn in der technologischen Welt scheint vieles auf die eine oder andere Weise funktionieren, ohne dass eine bestimmte Anstrengung in Kauf genommen werden müsste.

 

Und doch fehlt in unserem Leben heute etwas ganz Wesentliches, egal wie gut wir technologisch orientiert sind, oder nicht. Es fehlt uns etwas, das damit zu tun hat, wer wir sind und wer Gott ist. Nur diejenigen, die sich tief im Inneren mit Gott verbinden, können Gott finden, ob in der Vergangenheit oder heute. Und wenn wir Gott in seiner Beziehung zu unserem Wesen finden können, dann werden wir nicht nur erkennen, wer Gott ist, sondern auch, wer wir sind. Denn Gott ist kein Ding, das weit von uns entfernt ist. Gott ist uns nahe, näher als jeder Mensch und jedes Ding in der Welt, denn Gott kommt zu unserem Inneren, zu unserer Seele nicht wie ein Fremder, sondern wie ein Gott, zu dem wir gehören. Und so lautet Psalm 145, Vers 18: „Der HERR ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen.“

 

In diesem Sinne sagen wir: Gott ist unsere Herrlichkeit, denn durch Gott sind wir, wer wir sind. Fern von Gott werden wir zu Fremden in unserem eigenen Selbst. Im Gegensatz zu der Herrlichkeit, die die Welt uns geben kann, ist die Herrlichkeit oder Würde, die Gott uns gibt, fest und doch demütig. Die Herrlichkeit die Gott uns gewährt ist stark und doch zerbrechlich, tröstlich, ermutigend und beständig; sie ist Glanz und Licht in einer zerbrochenen Welt.

 

Im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums erfahren wir auch, dass die Menschenmenge nach der Speisung der Fünftausend Jesus zum König machen wollte. Er aber verließ sie und zog sich allein auf einen Berg zurück. Er wusste, dass seine Herrlichkeit nicht von Menschen abhängt, nicht von dieser Welt ist. An einem Tag, ähnlich wie heute, zog Jesus in Jerusalem ein und wurde von der Menschenmenge mit Ehre und Herrlichkeit wie ein König empfangen. Die Menschen kamen ihm entgegen und schrien vor Freude: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Andere legten Palmzweige auf die Straßen oder sogar ihre Mäntel, damit Jesus mit seinem Esel ehrenvoll über sie hinwegreitet. Aber die Verehrung und der Glanz der Welt ist immer gebrochen und unvollständig. Die Menschenmenge lobt dich heute und vergisst dich morgen, wenn sie sich nicht sogar gegen dich wendet. Denn die Welt hat bei allem, was sie tut, ihre eigene Interessenlogik und ihr eigenes Kalkül, nach dem die Leute andere loben oder verurteilen. Gottes Herrlichkeit und die menschliche Würde, wie Jesus gelebt hat und dafür gestorben ist, sind für die Welt nicht so wichtig. Und so erfahren wir im Evangelium, dass die Menschenmenge, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem geehrt hat, nach wenigen Tagen seine Kreuzigung bejubelt.

 

Die Verherrlichung Jesu, die am Palmsonntag begann und unvollendet blieb, wird sich am Kreuz, in seiner Todesstunde erfüllen. Und so hob Jesus seine Augen zum Himmel empor und betete: „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit auch dein Sohn dich verherrliche“ (17,1) Die Herrlichkeit des Menschen, liebe Gemeinde, liegt darin, dass er die Herrlichkeit Gottes erkennt und aufnimmt, und die Herrlichkeit Gottes wird in und durch die Herrlichkeit des Menschen enthüllt.

 

Und „das ist … das ewige Leben, dass [Menschen] dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Amen.