„Kehrt um … und ihr sollt leben!“

 

„Kehrt um … und ihr sollt leben!“

 

(Hesekiel 18,4. 41-22. 30-31)

 

 

 

So … spricht Gott:

 

Siehe, alle Seelen gehören mir! Wie die Seele des Vaters mir gehört, so gehört mir auch die Seele des Sohnes. Die Seele, die sündigt, soll sterben! Wenn aber … der Gottlose umkehrt von allen seinen Sünden, die er begangen hat, und alle meine Satzungen bewahrt und Recht und Gerechtigkeit übt, so soll er gewiss leben; er soll nicht sterben. An alle seine Übertretungen, die er begangen hat, soll nicht mehr gedacht werden; … Darum will ich jeden von euch nach seinen Wegen richten, ihr vom Haus Israel! spricht GOTT, der Herr. Kehrt um und wendet euch ab von allen euren Übertretungen, so wird euch die Missetat nicht zum Fall gereichen!

 

Werft alle eure Treulosigkeiten, die ihr verübt habt, von euch ab und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist! … So kehrt denn um, und ihr sollt leben!

 

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Dieser Text, liebe Gemeinde, wurde im Zusammenhang mit dem jüdischen Exil verfasst und geht auf eine Tradition zurück, die besagt, dass die Sünden der Eltern auf die Kinder übertragen werden. In diesem Text argumentiert der Prophet Hesekiel gegen diese Tradition. Und heute wollen wir sehen, was der Prophet uns in unserem eigenen Kontext zu sagen hat.

 

Im Predigttext beschreibt der Prophet ein Leben ohne Gott als ein „totes Leben“. Hier ist dann mit dem Tod nicht der physische Tod gemeint, sondern eher ein Leben ohne Gott. Können wir heute diese Behauptung nachvollziehen, dass ein Leben ohne Gott so zu sagen ein „totes Leben“ ist? Ich meine ja. Nach dem Alten Testament hat Gott den Menschen durch das Einhauchen des Atem Gottes lebendig gemacht, und wenn der Atem Gottes, oder der Geist Gottes verdrängt wird, dann ist das wie ein „totes Leben“; ein Leben ohne Gott, ohne Gottes Geist, ohne Sinn, ohne Liebe.

 

Heute wissen wir jedoch, dass es kein Leben ohne Gott gibt, denn auch wenn Menschen sagen, dass sie Gott in ihrem Leben nicht brauchen, ist Gott immer da. Gott ist in jeder lebenden Existenz durch seinen Atem und seinen Geist gegenwärtig. Wenn Gott die Liebe ist, wie das Evangelium uns verkündigt, würde das bedeuten, dass in allem, was wir aus Liebe tun oder sagen, Gott gegenwärtig ist. Daher ist die Liebe Gottes Teil aller wahren Liebe.

 

Wie sollen wir dann die Aussage verstehen, dass „die Seele, die sündigt, … sterben [soll]!“?

 

Es wird uns an dieser Stelle helfen, Sünde als Trennung von Gott zu verstehen. Demnach haben alle Taten oder Gedanken, in denen die Liebe abwesend ist, das Potential der „Sünde“ oder des „Todes“ in sich. Und wenn wir nun über unsere Worte und Taten in unserem Alltag nachdenken, stellen wir fest, dass wir manchmal aus Liebe handeln, aber oft auch aus Pflichtgefühl. Und das ist auch gut so, denn wir können im Leben nicht nur die Dinge tun, die wir lieben, das wäre für uns nur der Himmel (und wir sind nicht im Himmel), sondern wir haben auch Pflichten zu erfüllen, die ja einen guten Zweck haben. Im Gegensatz dazu können wir sagen, dass die Worte, Gedanken oder Taten, in denen die Liebe völlig fehlt, oder die Worte und Taten, die sogar gegen die Liebe wirken, wie Hass, Neid, Diskriminierung, Egoismus, dass diese zur Trennung von Gott führen, und hier als Sünde und Tod beschrieben werden. Tod bedeutet dann, fern von Gott zu sein, fern von der Liebe. Im Gegensatz dazu bedeutet das Leben in Gott zu sein, in der Liebe.

 

Hier hilft uns, liebe Gemeinde, die Geschichte des verlorenen Sohnes, die wir in der Schriftlesung gehört haben. Ein Vater hat zwei Söhne. Eines Tages kommt der jüngere Sohn zum Vater. Er will seinen Anteil am Geld des Vaters nehmen und von zu Hause weggehen in ein fernes Land, um dort allein zu leben, und so zu leben, wie er es will. Der Vater gibt seinem Sohn seinen Anteil. Mit seinem Geld verlässt der jüngere Sohn sein Zuhause. Nach kurzer Zeit gibt er seinen Besitz und alles, was er hat, für ein lockeres und angenehmes Leben aus. Wahrscheinlich hatte er viele Freunde, die ihn begleiteten, denn er hatte eine Menge Geld. Aber bald merkt er, dass er in dem fernen Land nichts mehr hat, wovon er leben kann, und keinen echten Freund, der ihm aus der Not hilft. Und er beginnt zu hungern. Und dann, in dem Moment, in dem er nichts mehr hat, denkt der jüngere Sohn an seinen Vater wieder und plant, zurückzukehren. Liebe Gemeinde, der Vater in dieser Geschichte steht für Gott und der verlorene Sohn für jeden einzelnen von uns.

 

Natürlich sollten wir nicht vergessen, dass es sich um ein Gleichnis handelt und der Vergleich dieses Gleichnisses mit Gott und unserem eigenen Leben nur bis zu einem gewissen Grad hilfreich ist. In diesem Sinne können wir sagen, dass der Sohn in dem Moment, in dem er das Haus des Vaters verließ und seinen eigenen Weg ging, in eine Haltung der Trennung von Gott eintrat. In einem übertragenen Sinne war er in dem Moment tot, als er das Haus des Vaters verließ. In unserem Leben können wir Menschen uns jedoch nicht auf diese Weise von Gott trennen, und selbst wenn Kinder ihr Elternhaus verlassen, können sie Gott nicht völlig verlassen, und Gott wird viele andere Wege finden, um zu ihnen zu kommen.

 

Ähnlich wie in dieser Geschichte wollen Menschen oft Spaß, Freude und Freiheit erleben, und sind sich meist nicht bewusst, dass dies nur mit Gott und nicht fern von Gott möglich ist. Anders ausgedrückt: Freiheit ist nur mit und durch die Liebe möglich, und ohne Liebe, ohne Gottes Liebe und Gottes Geist, herrschen Angst und Tod in unserem Leben (was im Predigttext als Sünde beschrieben ist).

 

Eines ist noch wichtig: Jeder ist für seine eigenen Entscheidungen im Leben verantwortlich, genauso wie der verlorene Sohn. Keiner trägt die Sünden eines anderen und keiner kann für einen anderen entscheiden. Das bedeutet auch, dass wir die Folgen unserer eigenen Taten auf uns ziehen. Wenn ich in einem dunklen Raum bin und kein Licht anmache, und es vorziehe, in der Dunkelheit zu bleiben, dann bin ich einfach in der Dunkelheit. Jede Entscheidung bringt entweder Licht oder Dunkelheit mit sich und wir können uns dafür selbst entscheiden. So schreibt Hesekiel:

 

„Darum will ich jeden von euch nach seinen Wegen richten“. Jeder bekommt das was er im Leben will. Und dennoch hat jeder die Chance, jederzeit sich anders zu entscheiden.

 

Nun kommen wir zurück zum verlorenen Sohn: Ohne den Vater konnte der Sohn eine Zeit lang mit dem Geld, das er vom Vater hatte, leben. Weit weg vom Vater blieb dem jüngeren Sohn also die bloße biologische Existenz. Und die Frage ist, ob der Mensch, ob wir fähig sind, nur als biologische Existenz zu sein. Das Gleichnis des verlorenen Sohns und der Predigttext heute sagen uns nein. Der Mensch kann nicht weit weg von Gott leben. Das wäre quasi der Tod für ihn. Aber dann kommt auch die Zeit, in der auch sein Leben bedroht ist. Nicht nur sein Geist ist vom Tod bedroht, sondern auch sein Leib. Er hat nichts zu essen und kämpft ums Überleben. In einem Moment des totalen Verlustes denkt der Sohn an seinen Vater und möchte zu ihm zurückkehren. Und wir lesen im Gleichnis: „Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und er hatte Mitleid mit ihm, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“

 

Die gute Botschaft des Evangeliums, liebe Gemeinde, ist, dass wir immer zu Gott zurückkehren können, und er wird uns immer wieder ein neues Herz und einen neuen Geist schenken. Egal, wie weit wir in unserem Leben gehen, egal, wie sehr wir Gott, Gottes Liebe und Gnade vernachlässigen und missachten, wir können immer wieder umkehren und zu Gott kommen. Er ist da, er geht nicht weg, er verliert nicht die Hoffnung und gibt uns nicht auf, er wartet vielmehr mit Liebe und Leidenschaft auf uns, wie der Vater des verlorenen Sohnes auf seinen Sohn wartet und sich über seine Rückkehr freut, indem er sagt: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden“.

 

In diesem Sinne können wir die Worte Hesekiels besser verstehen: „Kehrt um und wendet euch ab von allen euren Übertretungen … und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!“ Amen.

 

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Gott unser Vater,

 

vergib uns, dass wir im Leben oft deine Nähe nicht spüren,

 

und meinen, wir sind im Leben auf uns selbst gestellt.

 

Wir versuchen aus eigener Kraft zu leben

 

Und oft vertrauen wir dem materiellen Reichtum dieser Welt,

 

anstatt dich zu suchen und dir vom ganzen Herzen zu vertrauen.

 

Hilf uns Gott, dass wir dich in unserem Leben suchen,

 

deine Nähe, deine Liebe, deinen Frieden und deine Freiheit.

 

Hilf uns, auf dein Reich hinzuwirken,

 

damit es hier auf dieser Welt Wirklichkeit wird.

 

Gib uns die Kraft, den Schmerz der Leidenden zu lindern,

 

und den Hoffnungslosen Hoffnung zu schenken,

 

Hilf uns unser Brot mit den Armen zu teilen,

 

und Verantwortung für die Kleinen in der Gemeinde zu tragen.

 

Hilf uns, für alle, die neu getauft sind in der Gemeinde da zu sein,

 

für Robert, für seinen Bruder Roman,

 

und für alle anderen Kinder.

 

Hilf uns auch in der Zeit der Not und der Bedrängnis,

 

des Verlustes und der Gefahr,

 

den Mut zu haben, zu dir zurückzukehren,

 

ohne Angst und ohne Zögern.

 

Schenke uns heute und jeden Tag ein neues Herz

 

und einen neuen Geist, damit wir nicht sterben,

 

sondern mit dir und für dein Reich leben, alle Tage unseres Lebens. Amen.