Von Sklaverei zur Freiheit
(5.Mose 8,7-18)
Denn der HERR, dein Gott, bringt dich in ein gutes Land, in ein Land, in dem Wasserbäche, Quellen und Seen sind, die in den Tälern und auf den Bergen entspringen;
…
Und wenn du gegessen hast und satt geworden bist, dann sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat. Hüte dich, dass du den HERRN, deinen Gott,
nicht vergisst, sodass du seine Gebote, seine Satzungen und Rechtsbestimmungen, die ich dir heute gebiete, nicht hältst; damit nicht, wenn du isst und satt wirst und schöne Häuser erbaust und
darin wohnst, und deine Rinder und Schafe sich mehren, und dein Silber und Gold sich mehren, und alles, was du hast, sich mehrt, dann dein Herz sich überhebt und du den HERRN, deinen Gott,
vergisst, der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, aus dem Haus der Knechtschaft, der dich durch diese große und schreckliche Wüste geleitet hat, wo feurige Schlangen waren und Skorpione
und dürres Land ohne Wasser; der dir Wasser aus dem harten Felsen entspringen ließ; der dich in der Wüste mit Manna speiste, von dem deine Väter nichts wussten, um dich zu demütigen und zu
prüfen, damit er dir am Ende Gutes tue; und damit du nicht in deinem Herzen sagst: Meine eigene Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir diesen Reichtum verschafft!
So gedenke doch an den HERRN, deinen Gott — denn Er ist es, der dir Kraft gibt, solchen Reichtum zu erwerben —, damit er seinen Bund aufrechterhält, den er deinen Vätern geschworen hat, wie es heute geschieht.
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Heute, liebe Gemeinde, feiern wir Erntedank, und es stellt sich die Frage, ob Erntedank einfach in den liturgischen Jahreskreis der Kirche eingeordnet werden soll, oder ob es nicht auch ein Fest für jeden Tag und für das ganze Jahr ist. Das würde bedeuten, dass die Dankbarkeit zu unserem Leben, auch zu unserem Alltag, gehören würde.
Nach dem Tod von Joseph fallen die Israeliten in die Sklaverei der Ägypter. Sie mussten den Autoritäten in Ägypten gehorchen und für sie arbeiten. In der Bibel lesen wir, dass es Mose nach Jahren der Sklaverei gelingt, das Volk aus Ägypten herauszuführen, aus der Knechtschaft und Sklaverei in die Freiheit. Aber wissen Sie, wie der Weg war, von der Sklaverei zur Freiheit? Der Weg, der in vielen Details beschrieben wird, war ein Weg durch die Wüste. Vierzig Jahre, lesen wir, wandern die Israeliten durch die Wüste, und natürlich verirren sie sich in der Wüste, bevor sie das verheißene Land erreichen.
Heute möchten wir uns vorstellen, dass wir alle den Weg von der Sklaverei in die Freiheit durch die Wüste gehen wollen, und dass wir aufgerufen sind, diesen Weg immer wieder zu
gehen.
Ich glaube, liebe Gemeinde, dass wir alle irgendwann in unserem Leben etwas wie Sklaverei erfahren haben und durch die Wüste gegangen sind. Natürlich kann man sagen, wir waren nie in
Sklaverei wie es die Juden in Ägypten waren. Aber wir sollten das Wort "Sklaverei" hier nicht wörtlich nehmen. Wir alle sind oder waren irgendwann Sklaven irgendwelcher Überzeugungen gewesen,
denen wir nicht ausweichen konnten. Manchmal werden sie uns auferlegt, zum Beispiel von unserem Arbeitgeber, oder Chef. Manchmal denken wir, dass wir unserer Angst, unseren Abneigungen oder
unsere Vergangenheit nicht ausweichen können, und dann werden wir zu Sklaven unserer Ängste und Befürchtungen.
Und wir wissen wohl auch aus Erfahrung, dass der Weg aus der Sklaverei nicht einfach ist und meist durch eine Wüste führt. Man kann sogar sagen, dass es keine Erlösung, keine Freiheit
geben würde, ohne durch die Wüste gehen zu müssen. Das hat auch Jesus getan. Er blieb in der Wüste vierzig Tage, bevor er seine Mission begann. Die Wüste ist im Text als groß, schrecklich und als
dürres Land beschrieben, wo feurige Schlangen und Skorpione sind. Für einige von uns ist die Wüste der Mangel an finanziellen Mitteln, für andere die Unsicherheit, von anderen geliebt zu werden,
und für wieder andere ist es vielleicht der Verlust von Freundschaften oder sozialen Beziehungen. Wie herausfordernd die Wüste auch zu sein scheint, irgendwann erkennen wir, dass wir aus der
Sklaverei herauskommen müssen, auch wenn das bedeutet, dass wir durch die Wüste gehen müssen. Und diejenigen, die nicht den Mut haben, durch die Wüste zu gehen, bleiben oft ihr ganzes Leben lang
in der Sklaverei, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.
Und jetzt müssen wir die Reihenfolge im Auge behalten: Zuerst geraten wir in eine Art der Sklaverei, dann müssen wir, wenn wir uns nach Freiheit sehnen, durch die Wüste gehen und schließlich erreichen wir unser Ziel, die Freiheit oder das Heil. Aber selbst dann wird wieder die Gefahr bestehen, dass wir nochmal in Sklaverei fallen und erneut die Freiheit suchen. Das Geheimnis der inneren Stärke liegt dann, liebe Gemeinde, in der Bereitschaft, die beiden Erfahrungen der Wüste und des verheißenen Landes immer wieder neu zu erleben.
Aber wie sollten wir diesen Weg beschreiten können? Was kann uns auf unserem Weg durch die Sklaverei, die Wüste und bis zur Ankunft im verheißenen Land helfen?
Es gibt eine wichtige Hilfestellung, die uns im heutigen Predigttext vermittelt wird, und das ist das Erinnern an Gott.
Der Text warnt die Israeliten davor, Gott zu vergessen. Gott ist es, der die Israeliten aus der Sklaverei in die Freiheit geführt hat. Und so mahnt der Prophet: Vergesst Gott nicht
und hütet euch vor der Versuchung zu glauben, dass ihr alles aus eigener Kraft geschafft habt. Die Worte des Predigttextes scheinen auch uns heute viel zu sagen zu haben.
Warum ist das Gedenken an Gott so wichtig und wann genau sollen wir uns an Gott erinnern? In der Zeit der Sklaverei? Wenn wir durch die Wüste des Lebens gehen oder auch im verheißenen
Land?
Es passiert häufig, dass Menschen in schwierigen Zeiten nach Gott suchen. Aber wir sind aufgerufen, uns auch in guten Tagen an Gott zu erinnern, wenn wir unsere Ziele erreicht haben
und denken, dass wir Gott nicht mehr brauchen. Denn die Gefahr ist da Gott zu vergessen und zu denken, dass wir ohne Gott alles haben, was wir brauchen, und dies wird zu nichts anderem führen,
als dass wir wieder in die Sklaverei fallen. Denn Gott ist die Quelle der Freiheit, Gott ist die Quelle des Heils, und ohne Gott werden wir zu Sklaven unseres eigenen Selbst und unserer
Überheblichkeit.
„Hüte dich, dass du … deinen Gott, nicht vergisst … damit nicht, wenn du isst und satt wirst und schöne Häuser erbaust und darin wohnst… dann dein Herz sich überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst“.
Was bedeutet es aber, sich an Gott zu erinnern?
Das Wort „erinnern“ bedeutet ins Gedächtnis rufen, Gott gedenken, im Gedächtnis behalten, erwähnen, aufzeichnen. Das Gegenteil von Erinnern wäre, Gott zu vergessen und sich mit dem zu begnügen, was es gibt, und so zu denken, dass man sich seine eigene Wirklichkeit schafft. Und die Herausforderung, liebe Gemeinde, besteht darin, zu erkennen, dass es einen Gott gibt. Der heutige Text lädt uns ein, uns immer und in allen Phasen unseres Lebens an Gott zu erinnern. Wenn wir uns in guten Zeiten an Gott erinnern, werden wir bereit sein, unseren Glauben zu leben und ihn immer wieder zu bestätigen, auch wenn wir dann mit neuen Schwierigkeiten im Leben konfrontiert werden. Dies impliziert die innere Bejahung und Verwirklichung unseres Christseins, und genau deshalb singen wir auch heute noch: „Ich sage ja zu dem, der mich erschuf“. Wir werden bereit sein, den Kreis wieder zu schließen. Es geht darum, dass wir in unserem Leben immer wieder diesen Weg durchlaufen. Es ist nicht so, dass wir einmal in der Wüste waren und jetzt im Himmel sind. Sklaverei, Wüste und Erlösung sind Stationen, die wir immer wieder durchlaufen, und die einzige Hilfe, die uns gegeben wird, ist die Erinnerung an Gott. Sich in der Zeit der Sklaverei an Gott zu erinnern, damit wir nach Freiheit streben. An Gott denken, wenn wir durch die Wüste gehen, damit Gott all unsere Bedürfnisse erfüllen kann. An Gott denken in der Zeit der Ernte, damit wir Gott für alle Gaben der Ernte, für alle Gaben des Lebens danken.
Dankbarkeit, liebe Gemeinde, ist das Ergebnis der Erinnerung an Gott. Die Dankbarkeit selbst ist ein Geschenk, ein großes Geschenk, das nicht viele Menschen haben. Wie wir in der
Schriftlesung gehört haben, kehrte nur einer der zehn Aussätzigen zurück und dankte Jesus für das Geschenk des Heils. Und nun, obwohl dies nur ein Gleichnis ist und wir nicht einmal wissen, wer
diese Menschen gewesen sein könnten. Aber glauben Sie mir, wir können sagen, dass derjenige, der sich bei Jesus bedankte, der Stärkste von allen zehn war. Wie allen anderen hat Jesus ihm die
Heilung gewährt und dann musste er in die Wüste gehen. Sie wissen, dass diese Krankheit für die Menschen damals sehr belastend war. Niemand wollte sich ihnen nähern, auch wenn sie von ihrer
Heilung hätten hören können. Aber dieser eine Aussätzige geht mit Dankbarkeit durch die Wüste des Lebens auf das versprochene Heil zu.
Das ist das Geheimnis, liebe Gemeinde, das Geheimnis der Kraft und der Bereitschaft, sich allen Herausforderungen des Lebens zu stellen. Es ist die Dankbarkeit, die das Leben verändert und jedem von uns neue Kraft und neue Hoffnung schenkt.
„Hüte dich, dass du den HERRN, deinen Gott, nicht vergisst … gedenke … an Gott — denn Er ist es, der dir Kraft gibt, solchen Reichtum zu erwerben.“ Amen.