„und öffnet das Fenster …“

Zum Adventsfenster:

 

„und öffnet das Fenster …“

 

 

 

Liebe Adventsgemeinde, ich lese ein paar Zeilen aus einem Buch mit dem Titel „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.[1] In diesem Buch verarbeitet die Autorin Susann Pasztor das Thema Tod und Abschied. Es handelt vom letzten Weg im Leben einer Frau, einem Sterbebegleiter und wie die Frau Abschied vom Leben nimmt; es ist ein letzter Weg, der dennoch eine neue Perspektive eröffnet:

 

„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. Ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut. Diese frische Luft, dieser leichte Wind, das offene Fenster. Und das Licht. Und der Duft der Lindenblüten. In den Gardinen schwingt ein sanftes Wehen hin und her, und draußen singen ein paar Vögel, sonst ist es still. Und jetzt wird es anders weitergehen. Aber vorher ist auch viel gewesen. Auch wenn so viel gewesen ist. Wir verabschieden das, was nicht bleiben kann und lassen gehen, was gehen will und gehen muss.“

 

Geburt und Tod bleiben, liebe Adventsgemeinde, Geheimnisse unseres Lebens. Zu solchem Geheimnis gehören die Worte des Apostel Paulus: „Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; und er ist vor allem, und alles hat seinen Bestand in ihm.“ (Kolosser 1,16-17)

 

Die Worte des Apostels sagen, dass auch wir unseren Bestand in Gott haben. Was für ein Geheimnis. Dieses große Geheimnis, das wir Gott nennen und zu dem wir alle gehören und in ihm unser Bestand haben, kommt an Weihnachten zu uns in Gestalt eines kleinen Kindes. Durch das in der Krippe geborene Kind, das als Erwachsener am Kreuz stirbt, kommt Gott zu uns und öffnet uns ein Fenster, ein Fenster zum Geheimnis Gottes, zum Himmel, damit auch wir unser Herz öffnen. Das ist aber keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass wir zu Gott gehören und Gott zu uns, dass Himmel und Erde, auch wenn sie unterschieden sind, doch zusammengehören. Oft sind wir uns dieser tiefen Verbundenheit mit Gott gar nicht bewusst. Wären wir uns dessen bewusst, hätte diese Verbundenheit uns von Gefangenschaften des Lebens, von Traurigkeit, Ängsten und Sorgen befreien können. 

 

Diese Verbundenheit mit Gott ist dann das größte Geschenk, dass wir zu Weihnachten je bekommen können. Alle anderen Geschenke mögen gut sein. Sie mögen uns eine Zeit lang Freude bereiten, aber das Geschenk des Himmels, liebe Adventsgemeinde, ist ein offenes Fenster und eine offene Tür, durch die die Kluft zwischen Gott und uns aufgehoben wird. Dort, in der innersten Tiefe unserer Seele gehören wir zu Gott und Gott zu uns. Um das Geschenk zu bekommen, müssen wir das Fenster unseres Herzens öffnen. Dabei spielt es keine Rolle, wie lang unser Lebensweg noch geht oder wie er bis heute verlief. Jetzt ist vielleicht die Zeit, das Herz für das Geschenk des Himmels zu öffnen.

 

Durch das Öffnen eines Fensters haben wir Zugang zu dem, was jenseits der Begrenzungen unserer Räume liegt, jenseits der Wände und der Dächer unserer Häuser. Und dann wird Gott wie ein frischer Wind zu uns kommen. Denn das Geheimnis Gottes, wir nennen es manchmal den Geist (oder den Heiligen Geist), ist wie ein Wind; ein Wind, der uns dazu einlädt, uns „mit allem zu versöhnen, was man nicht verstand, mit der Liebe, mit dem Leben, mit dem Tod.“[2] Und wenn der Wind über unsere Gesichter weht und das Licht scheint, wenn der Wind durch unsere Herzen strömt, müssen wir ihn empfangen, und er wird uns von unserer Zerschlagenheit entlassen, unsere Blindheit heilen und uns aufrichten. Dann werden sich unsere Augen freuen und unser Leben wird zu leuchten beginnen, so dass die menschlichen Gesichter selbst zu Fenstern des Himmels werden. In all dem, liebe Adventsgemeinde, sind wir Empfänger. Das ist das Beste, was wir im Advent und an Weihnachten sein können. Wir können die Fenster unseres Herzens weit aufmachen, sodass am geöffneten Fenster Jesus zu uns kommt. Der, der kommen wird, war schon da. Er kommt und geht und dann kommt er wieder. Und wir wissen, dass er bleibt, auch wenn er geht. Halten Sie Ihre Fenster weit geöffnet. Denn die Kraft dieses Windes ist ganz verlässlich. Diese Zuversicht, diese Aussicht, ist die Kraft des Geistes, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

 

„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. Ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut.“ Amen.

 

 

 

[1] Susann Pásztor, Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017. Siehe auch: „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Predigt zu Johannes 16,5-15“ von Caroline Warnecke, 04.06.2017.

 

[2] Pásztor, Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster, 256.