Das Wort, das Heil und der Geist

 

Das Wort, das Heil und der Geist

 (Jesaja 55, 6-11)

 

 

Sucht den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, während er nahe ist! Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Übeltäter seine Gedanken; und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, bis er die Erde getränkt und befruchtet und zum Grünen gebracht hat und dem Sämann Samen gegeben hat und Brot dem, der isst — genau so soll auch mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht: Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird ausrichten, was mir gefällt, und durchführen, wozu ich es gesandt habe!

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Die Worte des Propheten Jesaja, die der heutige Predigttext sind, stammen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., d. h. aus der Zeit vor der Rückkehr der Israeliten aus dem Babylonischen Exil, und wurden wahrscheinlich später zusammengestellt. Der heutige Predigttext befasst sich vor allem mit der Frage: Was wird mit den Gottlosen und Übeltätern geschehen, wenn sie nach Israel zurückkehren? Und der Text gibt die folgende Antwort darauf: Das Wort Gottes wird auch in den Gottlosen wirken, ähnlich wie der Regen, der „vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, bis er die Erde getränkt und befruchtet und zum Grünen gebracht hat und dem Sämann Samen gegeben hat und Brot dem, der isst“, „denn bei [Gott] ist viel Vergebung.“ (V.7.10-11).

 

Aber was ist mit „Wort Gottes“ gemeint, auch für uns heute? Ist damit das geschriebene Wort gemeint, oder mehr als was geschrieben steht?

 

Der Begriff des „Wortes“ [logos auf Griechisch] ist sehr alt. Schon in vorchristlicher Zeit beschrieben die griechischen Philosophen mit „Wort“ [logos] das Prinzip der rationalen Ordnung des Universums. Auch im Alten Testament lesen wir, dass Gott alles durch das Wort geschaffen hat. Die Christen griffen diese Idee des „Logos“ auf. Doch für sie war der Logos nicht einfach ein abstraktes Prinzip, sondern eine konkrete Person: In Jesus Christus als „Logos“, dem Wort Gottes, sahen sie die volle Offenbarung Gottes.

 

Jesus selbst hat nichts geschrieben. Er hat uns keine verfassten Texte oder aufgeschriebenen Worte hinterlassen. Stattdessen hat er Leben und Liebe, Tod und Sieg über den Tod hinterlassen. Seine Jünger und Nachfolger schrieben über ihn. Manchmal schrieben sie seine Worte auf und manchmal gaben sie in ihren eigenen Worten wieder, was er gesagt hatte.

 

An dieser Stelle ist eine Erklärung notwendig: Wir glauben, dass die Worte der Bibel durch das Wirken des Geistes geschrieben wurden und dass die Worte der Bibel demnach auch durch den Geist gelesen und verstanden werden sollen. Das Wort, liebe Gemeinde, wohnt nur dann im Herzen, wenn es der Geist in das Herz überträgt. Das bedeutet, dass Worte, selbst die Worte der Bibel, wenn ihnen der Geist fehlt, tote Worte und tote Buchstaben sind, die keine bleibende Bedeutung und Wirkung in unserem Leben haben können. Es ist allein durch den Geist, dass die Ereignisse des Abendmahls, des Todes, der Auferstehung Christi eine ununterbrochene Wirkung in unserem Leben haben. Es ist der Geist, der Christus in uns erschafft und ihn hier und jetzt zu einer inneren Wirklichkeit macht.

 

In diesem Sinne können wir verstehen, dass die vielen Geschichten und Erzählungen der Bibel, einschließlich der Wundererzählungen, einen Zweck haben: nämlich das Wort zu vermitteln und das Heil zu bewirken, ähnlich wie die Worte Jesu.

Das Ziel einer Wundererzählung – wie wir auch heute in der Schriftlesung gehört haben – ist dann nicht zu behaupten, die Welt geändert zu haben, sondern die Herzen der Menschen zu verändern und zu durchdringen, damit sie in Bewegung versetzt werden und zu Gott kommen können. Das ist dann wiederum das Ziel des Wortes: dass der Mensch zu Gott zurückkehrt und Gott ihn durch sein überreiches Erbarmen zu sich aufnimmt.

Und so verstehen wir den heutigen Predigttext: „Der Gottlose verlasse seinen Weg, er kehre um zum Herrn“. Das ist das Ziel aller Worte. Das Wort Gottes ist also durch den Geist in ständiger Wirkung, auch wenn wir das nicht sehen, auch wenn wir das nicht verstehen. Gottes Worte kommen auf vielen und geheimnisvollen Wegen zu uns Menschen, und am Ende werden alle in Gott versöhnt. Die Übeltäter werden umkehren und das Heil erlangen wie die Gerechten und Frommen dieser Welt (V 7). Denn Gott will nicht, dass auch nur eins seiner Kinder verloren geht.

 

Was können wir dann über unsere Worte sagen?

 

Im Jakobusbrief lesen wir, dass derjenige, der nicht mit Worten sündigt, ein vollkommener Mensch ist. So lautet es dort: „Denn wir alle verfehlen uns vielfach; wenn jemand sich im Wort nicht verfehlt, so ist er ein vollkommener [Mensch], fähig, auch den ganzen Leib im Zaum zu halten.“ (Jakobus 3,2). Wenn wir über die Worte nachdenken, die wir üblicherweise sprechen, erkennen wir aber, dass wir viele Worte aus Selbstbezogenheit und Fokussierung auf unsere eigenen Bedürfnisse, Interessen und Wünsche sprechen. Wie können wir dann unsere Worte beherrschen, die manchmal ohne viel Nachdenken aus unserem Mund kommen und oft zerstörend und verletzend sind?

Es ist der Geist, liebe Gemeinde, der auch uns hilft, unsere Worte zu wählen und auf jene zu verzichten, die des Geistes beraubt sind, die verletzen und zerstören können; Worte, die keinen Sinn haben. Durch den Geist wird nicht nur die Bibel zu unserem Buch, sondern wir strömen aus der Bibel, aus den Worten, und werden selbst zu Worten und Evangelium, zu Licht und Sinn in dieser Welt.

Wie passiert das aber? Wie lässt sich dieser innere Prozess beschreiben?

 

Der Prozess beginnt damit, dass wir dem Geist erlauben, unsere Worte und unser Herz zu prüfen und zu reinigen, so wie das Feuer das Gold prüft und läutert. Ich denke, dass ist einer der Gründe, warum der Geist in der Apostelgeschichte mit Feuerzungen verglichen wird. Dann werden alle Worte, die aus Selbstsucht gesprochen wurden, verschwinden und es werden jene Worte übrig bleiben, die in irgendeiner Weise zum Wohl und Heil anderer Menschen beitragen, zur Versöhnung der Menschen in Gott. Das bedeutet nicht, dass wir nur schöne Worte sprechen sollten. Manchmal sind auch warnende, aufklärende Worte notwendig, zum Wohle der anderen.

 

Und in diesem Sinne sind die Gedanken Gottes nicht unsere Gedanken. Die Gedanken Gottes sind reine Heilsgedanken, rein zum Wohle aller Menschen. In ihnen gibt es keinerlei Egoismus. Und doch sind die Gedanken Gottes uns so nahe und treffen uns im Herzen, weil sie gleichzeitig für uns sind, für unser Wohlergehen und unser Seelenheil. Um dies besser zu verstehen, können wir an den älteren Bruder aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn denken (Lukas 15,28-32). Als er nach Hause zurückkommt und entdeckt, dass sein jüngerer Bruder zurückgekehrt ist, spricht der ältere Bruder Worte des Zorns, weil er nur an sich selbst und seine eigenen Interessen denkt. Aber der Vater sieht beide. Die Gedanken des Vaters sind Gedanken des Heils und der Versöhnung, deshalb sind sie nicht die Gedanken des älteren Sohnes. Aber gleichzeitig begegnen sie dem älteren Sohn ähnlich wie dem jüngeren, denn der Vater will, dass beide versöhnt werden und das Heil erlangen.

 

Mit anderen Worten: Dieser innere Prozess ist dem Gebet ähnlich. Wir bringen unsere Worte und Herzen vor Gott und sagen: Gott, du hast alles durch dein Wort geschaffen. Dein Wort ist gut und du hast alles gut gemacht. Dein Wort ist auch heute und jeden Tag gut und schafft alles neu und gut. Hilf uns, hilf mir, gute Worte zu sprechen, Worte, die aufbauen und helfen, Worte, die Mut machen und trösten. Hilf uns und mir zu erkennen, dass ich durch meine Worte an deinem Schöpfungsakt teilhabe, und es soll eine gute Schöpfung sein, ein gutes Werk, ein gutes Wort.

 

Lasst uns, liebe Gemeinde, auf unsere Worte achten. Lasst uns Worte sprechen, die zur Vergebung und zum Heil beitragen; Worte, die vom Geist geformt und durchdrungen sind, denn nur diese sind Worte, die eine Veränderung in der Welt bewirken können.

Was wird mit den gottlosen Menschen geschehen, wenn sie nach Israel zurückkehren?

Das ist die Antwort: Das Wort Gottes wird auch in ihnen wirken, ähnlich wie der Regen, der, auch wenn er auf trockene Erde fällt, die Erde bewässert, damit sie aufgeht und sprosst und dem Sämann Samen und dem Esser Brot gibt. Amen.