Der Gott ohne Masken

 

Der Gott ohne Masken

 (1.Korinther 13,4-7)

 

 

Die Liebe ist langmütig und gütig, die Liebe beneidet nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf; sie ist nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu; sie freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.

 

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Im heutigen Predigttext zählt Paulus die Merkmale der Liebe auf. Diese Merkmale der Liebe werden gegen acht negative Bestimmungen abgegrenzt, die wahrscheinlich Paulus als Kritik an der Gemeinde in Korinth erwähnt, unter derer Mitglieder Eifersucht, Selbstdarstellung und Egoismus herrschten. Bei genauerer Lektüre des Textes stellen wir fest, dass die von Paulus genannten Merkmale der Liebe auch an anderen Stellen in der Bibel als Eigenschaften Gottes beschrieben werden. Gott ist langmütig und gütig. Man kann auch sagen, dass Gott selbst die Liebe ist, wie wir im 1.Joh. 4,8 lesen: „Gott ist Liebe“.

 

In der Vergangenheit haben Menschen aber immer versucht, von Gott in mächtigen Bildern zu sprechen, die ihrem eigenen Verständnis oder ihrer Vorstellung von Macht entsprachen. Sie sprachen von Gott als einer Person, der sie Eigenschaften wie Allmacht und Allwissenheit zuschrieben; Eigenschaften, nach denen sie sich selbst sehnten und über die sie Kontrolle haben wollten. Bis heute suchen die Menschen nach dieser Erfahrung von Macht. Sie wollen sie um jeden Preis erlangen. In der neueren Zeit konnten die Menschen sogar auf Gott und die Vorstellung von Gott verzichten, vor allem aus einem Grund: weil sie selbst diese mächtige Person sein wollten. Sie wollten die Kontrolle über ihr eigenes Leben und fast alles andere in der Welt haben, um sie nicht einer externen, unbekannten Person zu überlassen; einem Gott, der in der Vergangenheit weitgehend unbekannt blieb und auch heute noch nicht Gegenstand von Untersuchungen, Informationen und menschlicher Beherrschung ist.

 

Interessant wäre, an dieser Stelle zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes „Person“ zurückzugehen. Der Begriff „Person“ (lateinisch persona) geht auf die Zeit des römischen Theaters zurück. Dort war es so, dass ein Schauspieler eine Maske trug, durch die die Stimme des Schauspielers zu vernehmen war. Die Person, in diesem Sinne, war das Gesicht oder die Maske, durch die eine Persönlichkeit zum Ausdruck kam. Dass dieser Gebrauch des Wortes „Person“ in unserer Sprache nicht ausgestorben ist, zeigt sich besonders an einer wichtigen Redewendung: „ohne Ansehen der Person“. Dieser Ausdruck kommt vor allem im Rechtsleben vor und bedeutet, dass in einem Gerichtsverfahren die soziale Rolle, die ein Angeklagter inne hat, keinen Einfluss auf die Gerichtsentscheidung haben darf. Dieser Ausdruck steht also für die Unparteilichkeit eines Gerichtsverfahrens, was auch bildlich dadurch ausgedrückt werden kann, dass Justitia (die Göttin der Gerechtigkeit) eine Augenbinde trägt, als Zeichen dafür, dass sie für die soziale Rolle des Angeklagten blind ist (Härle, Dogmatik, 5.Auflage, 246).

 

Ist Gott also auch eine Person im Verhältnis zu anderen Personen, eine mächtige, allwissende Person, die alles tun kann?

Man könnte anmerken, dass uns diese uralte Bedeutung des Wortes „Person“ auch an diesem Fasnetssonntag und an den Tagen zwischen dem Schmotzigen Donnerstag und Aschermittwoch (nach katholischer Tradition) begegnet, wenn Menschen Masken aufsetzen, um Persönlichkeiten/Figuren darzustellen, die sie selbst nicht sind.

 

Diese Bedeutung der Person als Maske in einem Theater ist, liebe Gemeinde, auf Gott nicht anwendbar. Denn Gott spielt weder eine Rolle im Theater der Welt noch versteckt er sich hinter Masken. Gott kann auch nicht auf eine Person gegen andere beschränkt werden. Auch wenn wir wissen, dass Menschen Gott durch die Jahrhunderte hindurch mit Masken überziehen wollten, einfach um Gott greifbar, konkret, sinnlich und somit zu einer Person zu machen, die man studieren und erforschen kann.

 

Was bliebe aber von Gott übrig, wenn all die menschlichen Masken, die dem Antlitz Gottes aufgesetzt wurden, verschwinden würden? Was bliebe von uns Menschen übrig, wenn wir alle unsere Masken ablegen und uns schlicht ins Gesicht schauen könnten?

 

Die Antwort, die ich heute auf diese beiden Fragen geben möchte, liebe Gemeinde, steht im Predigttext, nämlich die Liebe. Wenn alle Masken verschwinden, bleibt die Liebe.

 

Aber warum ist es so schwierig, sich der Liebe zu nähern? Und warum versuchen wir stattdessen auf unsere eigene Weise, der Liebe zu entkommen?

 

Die Liebe, liebe Gemeinde, hat ein Element des Leides und des Todes in sich. Hier ist mit Tod nicht der physische Tod gemeint. Sondern vielmehr die innere Hinnahme des Todes und die Bereitschaft, um der Liebe willen alles zu geben. Denn vollkommene Liebe setzt die Bereitschaft voraus, für den Geliebten alles zu geben. Das merken wir, wenn wir über die Worte des Predigttextes nachdenken: „Die Liebe ist langmütig und gütig, … sie freut sich … an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.“ Und oft wollen wir dieses Element des Leides und des Todes vermeiden.

In der Schriftlesung kündigt Jesus sein Leiden und seinen Tod an. Und in diesem Sinne wollen wir uns an diesem Sonntag vor der Passionszeit darauf vorbereiten, mit Jesus den Weg nach Jerusalem zu gehen, den Weg des Kreuzes. Es ist derselbe Weg der Liebe. Die Fülle des Lebens ist auf geheimnisvolle Weise mit dem Tod verwoben, als ob das Leben den Tod braucht, um es vor dem Leben selbst, vor Streit und Zorn, vor der Gefahr des Egoismus und des Stolzes zu schützen. Der Tod kann also als ein rettendes Element im Leben betrachtet werden.

 

In Wirklichkeit ist das jedoch anders. Die Liebe wird in der Welt oft missverstanden, beleidigt, ausgelacht, verachtet und bekämpft. Und deshalb haben Menschen oft in Stolz, in Selbstsucht, in Bitterkeit und Zorn Schutz vor den Gefahren der Liebe gesucht. Wir glauben oft, dass wir in den Mauern des Stolzes und des Zornes sicher sind; Mauern, die wir immer als Masken tragen und hinter denen wir unsere Ängste und Unsicherheiten verstecken. Diese Masken sollten uns das Leben erleichtern. Aber wir übersehen, dass wir uns hinter ihnen sogar von unserem Selbst entfremden. Wir übersehen, dass wir uns immer dann, wenn wir uns von der Liebe entfremdet haben, auch von unserem eigenen Selbst entfremdet sind.

Doch eines Tages werden wir den Mut haben und eine Maske nach der anderen ablegen, dann wird uns das Licht ins Gesicht leuchten und die Liebe wird sich durchsetzen können. Denn nur die Liebe kann Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit überwinden. Und in der Liebe sind wir beheimatet, in unserem auf den Tod ausgerichteten Leben.

 

Kann die Liebe also die Beleidigungen der Welt überwinden, ohne ihnen ausgesetzt und unterworfen zu sein? Die Antwort auf diese Frage kann durchaus ja sein, aber sie wird gleichzeitig Leid voraussetzen. Denn wir wissen, dass wir nur zur Liebe kommen, wenn wir diese Schutzmasken in uns auflösen. Und das ist oft ein sehr schwieriger Prozess.

 

Und hier liegt, liebe Gemeinde, die Souveränität, die Größe und die Schönheit der Person, die dieselbe Schönheit der Liebe ist.

Das ist es, worauf wir hoffen und wofür wir jeden Tag, jeden Sonntag beten, in der Erwartung, dass die Liebe Gottes uns von unseren Ängsten befreit, damit die Liebe das letzte Wort in unserem Leben und im Leben aller anderen hat. Das ist es, was die Liebe zu einer vorwegnehmenden Liebe macht. Die Liebe ist immer einen Schritt vor die Realität dieser Welt gestellt. Sie kann nicht unbeweglich bleiben, kann nicht erstarren. Sie sieht den Schmerz der Anderen und eilt zur Hilfe.

 

In diesem Sinne können wir heute sagen, dass die Liebe das Kommende vorwegnimmt.

 

Die Liebe nimmt vorweg, dass der Geliebte zurückkehren wird,

 

dass das Zuhause wieder warm sein wird,

 

dass die Versäumnisse der Vergangenheit vergessen werden.

 

Die Liebe nimmt den Tod vorweg, denn in ihm

 

sie sieht die ureigenste Möglichkeit ihres Seins.

 

Im Tod kommt die Liebe zur Erfüllung.

 

Im Tod ist die Liebe vollständig, ihr Inhalt wird offenbart und vom Geliebten angenommen. Im Tod erreicht die Liebe ihre ureigenste Möglichkeit zu lieben.

 

„Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten.“ Amen.