Vorsicht vor der Habgier! (Was ist mit „Sünde“ gemeint?)

 

Vorsicht vor der Habgier!

 (Was ist mit „Sünde“ gemeint?)

(Markus 12,1-12)

 

 

Und er fing an, in Gleichnissen zu ihnen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Wachtturm und verpachtete ihn an Weingärtner und reiste außer Landes. Und er sandte zur bestimmten Zeit einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern [seinen Anteil] von der Frucht des Weinberges empfange. Die aber ergriffen ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. Und wiederum sandte er einen anderen Knecht zu ihnen; und den steinigten sie, schlugen ihn auf den Kopf und schickten ihn entehrt fort. Und er sandte wiederum einen anderen, den töteten sie, und noch viele andere; die einen schlugen sie, die anderen töteten sie. Nun hatte er noch einen einzigen Sohn, seinen geliebten; den sandte er zuletzt auch zu ihnen und sprach: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen! Jene Weingärtner aber sprachen untereinander: Das ist der Erbe! Kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbgut uns gehören! Und sie ergriffen ihn, töteten ihn und warfen ihn zum Weinberg hinaus.

Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben! Habt ihr nicht auch dieses Schriftwort gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen, und es ist wunderbar in unseren Augen«? Da suchten sie ihn zu ergreifen, aber sie fürchteten das Volk; denn sie erkannten, dass er das Gleichnis gegen sie gesagt hatte. Und sie ließen ab von ihm und gingen davon.

___________________________

 

Ein Gleichnis, liebe Gemeinde, hat immer eine Erklärung, denn es weist immer auf etwas hin, das über seine wörtliche Bedeutung hinausgeht. Ein Mann pflanzt einen Weinberg, umzäunt ihn, baut eine Kelter und einen Wachturm und verpachtet ihn an Weingärtner. Das war in Palästina zur Zeit Jesu üblich. In der Tat waren abwesende Großgrundbesitzer ein übliches Merkmal des griechisch-römischen Wirtschaftssystems.

 

Zur bestimmten oder richtigen Zeit schickt der Grundbesitzer einen Diener zu den Weingärtnern, zu den Pächtern, um von ihnen etwas von der Frucht des Weinbergs zu holen. Dies sollte im fünften Jahr der Anpflanzung sein, wenn die Früchte bereits reif sind. Wir können anhand des Texts vermuten, dass die Pächter ihren Anteil behalten dürfen, denn der Landbesitzer will einen Anteil an den Früchten des Weinbergs erhalten. Später lesen wir, dass der Landbesitzer auch viele andere Diener schickt. Aber die Diener werden von den Pächtern immer schlechter und zunehmend brutaler behandelt. Die Diener werden erst geschlagen und verwundet, dann beschimpft und gesteinigt. Später werden einige auch getötet. Bis der Landbesitzer seinen einzigen, geliebten Sohn schickt. Der Landbesitzer im Gleichnis ging wahrscheinlich davon aus, dass die Pächter seinen Sohn, anders als seine Diener, mit Respekt behandeln würden. Die Pächter hingegen erwarteten, so scheint es im Text, dass durch die Ermordung des Erben Verwirrung gestiftet wird und dass sie in der Lage sein werden, sich den Besitz anzueignen - natürlich nicht auf legalem Wege.

 

In unserem Gleichnis stehen die Diener des Landbesitzers für die Boten Gottes in Israel, einschließlich der Propheten, die immer wieder das Wort Gottes verkündeten. Und doch wurden sie von der Mehrheit der Menschen ihrer Zeit nicht gehört, nicht angenommen, teilweise sogar entehrt und getötet. Das war auch die Botschaft der Schriftlesung aus Jesaja 5,1-7. Die Liebe und Großzügigkeit des göttlichen Landbesitzers werden von den Pächtern nicht erwidert. Nachdem die Diener abgewiesen wurden, schickt der Landbesitzer seinen „geliebten Sohn“, der im Gleichnis Jesus Christus symbolisiert. Das Gleichnis verwendet denselben Ausdruck, „geliebter Sohn“, der bei der Taufe und bei der Verklärung Jesu verwendet wird, um Jesus als den Sohn Gottes zu identifizieren (1,11; 9,7). Die Pächter wagen es auch den Sohn zu töten und damit lehnen sie die Autorität des Vaters ab. Indem sie versuchen, den Weinberg zu erben, zeigen sie ihren Wunsch, für sich selbst zu arbeiten. „Und sie ergriffen ihn, töteten ihn und warfen ihn zum Weinberg hinaus.“ In ähnlicher Weise lesen wir in Hebräer 13,12, dass Jesus „außerhalb des Tores gelitten“ hat. Somit kann dies mit dem Ort der Kreuzigung Jesu in Verbindung gebracht werden, der außerhalb der Stadt Jerusalem lag.

 

Soweit zur Bedeutung des Gleichnisses. Was kann uns dieses Gleichnis heute sagen?

 

Was in der Geschichte unseres Glaubens und unserer Theologie als „Sünde“ betrachtet wurde, ist meist nicht schlechtes Handeln, sondern eine egoistische Haltung, die Gott und andere Menschen nicht braucht. In der Tat werden Gott und seine Boten zu einem Störfaktor, der sich den selbstsüchtigen Wünschen der Menschen in den Weg stellt. Die Stimme der Wahrheit, liebe Gemeinde, ist oft störend und unangenehm und wird deshalb um jeden Preis und von fast allen Seiten zum Schweigen gebracht. Die Menschen empfinden die Stimme der Wahrheit oft als Bedrohung für ihr eigenes Leben, vielleicht sogar als Bedrohung für ihr wirtschaftliches Leben. Das war schon zu Zeiten des Alten Testaments so. Es war zur Zeit Jesu so, und es ist heute so, weil die Wahrheit oft nicht dem Willen der Mächtigen in Politik und Wirtschaft entspricht.

 

Am Ende des Gleichnisses lesen wir, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten versuchten, Jesus zu verhaften, aber sie fürchteten sich vor dem Volk; denn sie erkannten, dass Jesus das Gleichnis gegen sie erzählte. Sie erkannten sich in den bösen Pächtern aus dem Gleichnis wieder, und so ließen sie ihn stehen und gingen weg. Somit geben sie an, wer die Autorität über sie hat; es ist nicht Gott, nicht die Tora, sondern die Menschenmenge. Sie fürchten die Menschenmenge und lassen ihre Angst vor der Mehrheit der Menschen ihr Handeln bestimmen.

Der entscheidende Punkt in diesem Gleichnis ist das Versagen der Weingärtner, ihrer Verpflichtung als Pächter treu zu bleiben. Und die Frage, mit der wir heute alle konfrontiert sind, lautet: Sind wir uns heute der Gegenwart Gottes bewusst? Sind wir uns des Todes bewusst? Liebe Gemeinde, weder ist Gott ein toter Besitzer eines Landes, das wir erben können, noch werden wir ewig leben, um all das allein zu genießen, was uns gegeben ist.

Einige Merkmale des Gleichnisses wiederholen sich in dem Kontrast zwischen dem, was der Vater über seinen Sohn sagt (sie werden ihn respektieren) und dem, was die Pächter sagen (lasst uns ihn töten); zwei extreme Ausdrücke dessen, was gut und was böse ist. In diesem Gleichnis wird das unsinnige Verhalten der Pächter mit der maßlosen Liebe des Besitzers des Weinbergs kontrastiert. Dennoch lässt sich die Frage nicht vermeiden: „Wie lange hält die Liebe? Gibt es keine vernünftigen Hindernisse, die die Liebe aufhalten könnten?“ Die Antwort des heutigen Gleichnisses auf diese Frage lautet: Nein. Die Liebe liebt immer, auch um den Preis des Todes.

 

Die göttliche Liebe „hofft alles“, sie hofft, dass die Pächter den Sohn respektieren werden. Vielleicht ist dies die Bedeutung der Aussage im Hohelied der Liebe: „die Liebe hofft alles“ (1.Kor.13,7). Für mich endet das Gleichnis mit dem Tod des Sohnes und darin liegt die Hoffnung für alle und die Hoffnung des Landbesitzers. Die Hoffnung des Landbesitzers ist in diesem Sinne glühend und leidenschaftlich. Denn es gibt nichts mehr zu tun, nichts mehr zu geben, als den Sohn für andere zu geben und das Risiko seines Todes auf sich zu nehmen. Es kann keine weiteren Verhandlungen, keine weiteren Verfahren geben. Aus unserer Lebenserfahrung wissen wir, dass es uns als Eltern (fast) nicht möglich ist, einen Sohn oder eine Tochter dorthin zu schicken, wo irgendeine Art von Risiko oder Gefahr für die Kinder entstehen könnte. Man geht lieber selbst dorthin, wo es ein Risiko gibt. Und da Gott nicht nur wie ein liebender Vater ist, sondern die Liebe selbst, können wir uns vorstellen, dass die Hingabe des Sohnes in diesem Gleichnis nichts anderes ist als die Hingabe Gottes selbst. Eines bleibt zu sagen. Gott braucht keinen Teil der Frucht des Weinberges. Aber wir müssen lernen, dass wir nicht die alleinigen Besitzer der Reichtümer dieser Welt sind. Wir müssen das für uns selbst lernen, für unsere eigene Integrität und unser Leben.

 

Ich möchte diese Predigt mit einigen Gedanken zu Vers 10 schließen, der ein Zitat aus Psalm 118 (V.22) ist. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.“ Der verworfene Stein wird zum Eckstein, der die Mauern eines Gebäudes zusammenhält. Jesus Christus, liebe Gemeinde, ist der Eckstein - das Schlüsselelement - in unserem Leben, um das herum alles andere verbunden oder zusammengehalten wird. In ihm werden wir auch im Leben anderer Menschen Früchte tragen können, genau wie der Eckstein, der alle anderen Steine und Wände eines Gebäudes zusammenhält.

Lasst uns, uns vor der Habgier hüten, denn in ihr liegt die Zerstörung unseres Lebens und des Lebens der anderen. Lasst uns bewusst leben, dass wir Verwalter und Treuhänder der Reichtümer sind, die uns anvertraut wurden. Lasst uns die Früchte, die wir haben, mit anderen teilen, bevor sie von Motten und Rost zerfressen werden. Lasst uns nicht die Angst vor der Menschenmenge zur Autorität machen, die unser Handeln bestimmt, sondern mit dem Eckstein vereint sein, denn darin liegt unser Heil.

Darum hat auch Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten. Darum lasst uns, liebe Gemeinde, zu ihm hinausgehen vor die Tore unserer Häuser, unserer Dörfer und Städte und seine Schmach tragen! Denn wir haben hier keine bleibende Stadt“. (Hebräer 13,12-14) Amen.