Den Weg der Wahrheit gehen

 

Den Weg der Wahrheit gehen

(Lukas 22,39-46)

(Zum Gründonnerstag)

 

Und er ging hinaus und begab sich nach seiner Gewohnheit an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch seine Jünger. Und als er an den Ort gekommen war, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt! Und er riss sich von ihnen los, ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder, betete und sprach: Vater, wenn du diesen Kelch von mir nehmen willst — doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er war in ringendem Kampf und betete inbrünstiger; sein Schweiß wurde aber wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen. Und als er vom Gebet aufstand und zu seinen Jüngern kam, fand er sie schlafend vor Traurigkeit. Und er sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt!

 

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Heute, liebe Gemeinde, wollen wir Jesus in den letzten Stunden seines Lebens begleiten. Wie konnte er es bis zum Ende durchhalten? Wie konnte er den bitteren Tod am Kreuz annehmen? Auch wenn wir, liebe Gemeinde, heute nicht unmittelbar mit dem Tod konfrontiert sind, und doch hat jeder von uns Fragen und Sorgen im Leben. Wie sollen wir mit ihnen umgehen? Wie sollen wir darauf vertrauen, dass Gott mit uns ist, auch in den schwersten und bittersten Momenten des Lebens, in denen wir uns sprichwörtlich gottverlassen fühlen? Wir wollen den Weg Jesu gehen. Wir wissen: Sein Weg ist der Weg der Wahrheit, es ist der Weg der Liebe und der Vergebung, der Hoffnung und der Barmherzigkeit. Können wir lieben und barmherzig sein, auch wenn das Leben zu uns so ungerecht ist, wie es zu Jesus war?

 

An einem solchen Abend hat Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gehalten. Während des Abendmahls hat er sich vor allem um eins gekümmert, nämlich darum, seine Jünger dazu zu ermutigen, den Weg, den sie mit ihm gegangen sind, weiter zu gehen. Für den weiteren Weg schenkt Jesus seinen Jüngern Brot und Wein als Symbole für seine Gegenwart bei ihnen. Er möchte, dass sie sich an ihn erinnern, an ihn denken. Ein Teil der göttlichen Wahrheit, liebe Gemeinde, ist auch menschlich, und auch mit uns verbunden, sogar mit jedem einzelnen von uns. Brot und Wein sollen die Jünger auf dem Weg ihres Lebens daran erinnern, dass sie nicht allein sind. Jesus ist bei ihnen, im Geist, in Brot und Wein. Jesus hatte sicher schon so oft mit seinen Jüngern Brot gegessen und Wein getrunken. Aber jetzt, am Vorabend seines Todes, erhalten Brot und Wein eine andere, eine neue Bedeutung.

 

Nach dem Abendmahl geht Jesus mit seinen Jüngern auf den Ölberg. Dort will er beten, wie es seine Gewohnheit war. Er verlässt seine Jünger, im Predigttext heißt es „er riss sich von ihnen los“, er trennt sich von ihnen. Er will ganz allein mit Gott sein. Wissen Sie, in der Welt hören wir viele Stimmen. Manche wollen wir hören, weil sie uns helfen können, und andere wollen wir lieber vermeiden. Aber das Gebet ist seinem Wesen nach darauf ausgerichtet, dass der Mensch nur die Stimme Gottes hört. Das bedeutet, für eine Weile in völliger Stille zu verharren. Zum Gebet kommen wir mit unseren Fragen, Ängsten und Sorgen. Und wir wollen sie ganz in die Hände Gottes legen. In dem Augenblick des Gebets soll uns keine Stimme stören. Die Stimmen der Welt dürfen uns nicht beeinflussen, uns nicht zum Zögern und Wanken bringen. Und so betet auch Jesus. Er war in „ringendem Kampf“. In der Luther Bibel heißt es: „er geriet in Todesangst“. Und er betet inbrünstiger, sodass sein Schweiß wie Blutstropfen auf die Erde fiel. Er wusste, was ihm bevorsteht. Er wusste auch, dass seine Jünger ihn verlassen werden, einer wird ihn verleugnen, der andere ihn verraten. Er bittet Gott darum, dass sein bitteres Geschick von ihm genommen wird, dass ihm das Leiden erspart wird.

 

Was ist dann das Gebet? Zum Gebet kommen wir mit allem, was uns persönlich beschäftigt, und wir erlauben Gott, uns neu zu formen. Das Gebet ist also ein Ausharren in der Hoffnung auf Gott, ein Vertrauen auf Gott und die Bereitschaft, das zu sein, was wir gemeint sind zu sein. Im Leben sind wir, liebe Gemeinde, nicht immer frei. Aber im Gebet sind wir es. Im Gebet können wir entscheiden, bzw. Gott erlauben uns zu formen, uns neu zu machen, uns neu zu schaffen, so dass wir bei jedem Gebet im Geist und nach dem Geist neugeboren werden und bereit sind, den Weg weiter zu gehen, der vor uns steht. In diesem Sinne ist das Gebet, liebe Gemeinde, das Zusammenkommen des Menschen mit Gott. Wir kommen zu Gott und wir wollen Gott in unserem Leben empfangen. Und das ist meistens gar nicht so einfach. Der Weg der Wahrheit ist nämlich nicht einfach. Denn wenn wir uns entscheiden, diesen Weg zu gehen, werden wir nicht mehr selbst im Mittelpunkt unseres Lebens stehen. Wir werden erlauben, dass Gott kommt; Gott, der heute als die Wahrheit beschrieben werden darf, und uns neu formt. Wir werden dann andere lieben und ihnen vergeben können, wie Jesus es getan hat. Wir werden anderen helfen und sie unterstützen wollen, wann immer wir das können. Wir werden unser bitteres Geschick annehmen müssen, auch wenn es uns schwerfällt. Die Welt dagegen hat uns einfachere Wege anzubieten. Deshalb gehört zum Beten manchmal auch das Ringen zwischen den Wegen der Welt und dem Weg Jesu, der der Weg der Wahrheit ist.

 

Alle, die den Weg der Wahrheit gehen, alle die die Wahrheit suchen, alle, die das sein wollen, was sie zu sein berufen und gemeint sind, alle die Mutigen, die für die Wahrheit und für die Gerechtigkeit leben und für sie auch sterben, sind die Nachfolger Christi, die Nachfolger des gleichen Wegs.

Im Gebet wird Jesus dann getröstet. Er wird Stärkung erhalten, die in Form eines Engels zu ihm kommt. Das ist es, was das Gebet mit uns macht. Wenn wir beten und darum bitten, dass Gott uns hilft, dann werden wir Hilfe und Stärkung in unseren Herzen empfangen. Die Form, liebe Gemeinde, in der wir die Stärkung des Herzens empfangen, mag von Situation zu Situation verschieden sein, aber wir wissen, in welcher Form sie auch immer kommt, dass Gott selbst unsere Stärke, unser Trost und unsere Hoffnung ist. Und so ist Jesus nach dem Gebet bereit. Er steht auf und geht zurück zu seinen Jüngern und geht den Weg bis zum Ende, bis zum Kreuz.

Heute, liebe Gemeinde, wollen wir an Jesus denken, uns an sein Leben, seinen Weg und seinen Tod erinnern und durch Brot und Wein uns von ihm bestärken lassen und seine Kraft und seine Demut in unserem Herzen empfangen. In allen Schwierigkeiten des Lebens, liebe Gemeinde, vergessen Sie nicht zu beten, denn dadurch finden wir unseren Trost.

 

In diesem Sinne beten wir heute mit den Worten des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Herr ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich.“ Amen.