Ein von Gott gegebenes Zuhause

 

Ein von Gott gegebenes Zuhause

(1.Petrus 5,1-4)

 

Die Ältesten, die unter euch sind, ermahne ich als Mitältester und Zeuge der Leiden des Christus, aber auch als Teilhaber der Herrlichkeit, die geoffenbart werden soll: Hütet die Herde Gottes bei euch, indem ihr nicht gezwungen, sondern freiwillig Aufsicht übt, nicht nach schändlichem Gewinn strebend, sondern mit Hingabe, nicht als solche, die über das ihnen Zugewiesene herrschen, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid! Dann werdet ihr auch, wenn der oberste Hirte offenbar wird, den unverwelklichen Ehrenkranz empfangen.

 

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Liebe Gemeinde, auch wenn dieser Brief als der erste Petrusbrief bezeichnet wird, wissen wir aus den Studien über den Brief, dass er höchstwahrscheinlich nicht vom Apostel Petrus, sondern von jemand anderem geschrieben wurde. Wahrscheinlich wurde er gegen Ende des ersten Jahrhunderts, vielleicht von einem Jünger des Petrus verfasst. Daher ist das Wort „Zeuge“ im V. 1, „ein Zeuge der Leiden Christi“, nicht unbedingt als „Augenzeuge“ zu verstehen, sondern als jemand, der von den Leiden Christi Zeugnis ablegt.

 

Was ist nun aber das Ziel dieses Briefes? In V. 2 des heutigen Predigttextes lesen wir die Anforderung, die der Verfasser an die Gemeindeleiter stellt: „Hütet die Herde Gottes bei euch“! Dieser Brief kann deshalb als Pastoralbrief bezeichnet werden, der die Bedeutung der christlichen Berufung hervorhebt. Jesus sagte von sich selbst, dass er der gute Hirte ist. Gleichzeitig ruft er andere Menschen auf, seinen Dienst und seine Herrlichkeit zu teilen. Warum ist aber diese Pastoralaufgabe, dieses „Hüten der Herde Gottes“ so wichtig? Meine Ansicht, liebe Gemeinde, ist, kurz formuliert, dass dieses „Hüten“ der Herde Gottes wichtig ist, weil es den Heimatlosen ein von Gott gegebenes Zuhause (Oikos, 2,5; 4,17) bereitstellt.

 

Aber wie kann das geschehen? Wie stellt ein Hirte ein Zuhause für andere bereit, das sogar ein von Gott gegebenes Zuhause ist? Haben wir nicht alle Häuser in dieser Welt, in denen die meisten unserer Bedürfnisse versorgt werden? Wir wissen, dass manche gravierenden Ereignisse in der Welt, wie Kriege oder Deportationen, die Menschen ihrer Häuser berauben. Und dann ist es notwendig, Häuser für diese heimatlose Menschen zu beschaffen. Ist die im Predigttext beschriebene pastorale Aufgabe als Sorge für solche Menschen zu verstehen?

 

Obwohl es eine gute Absicht ist, den Vertriebenen Häuser bereitzustellen, ist die pastorale Aufgabe, zu der wir alle aufgerufen sind, eine andere. Dies wird zum Beispiel daran sichtbar, dass Pfarrerinnen und Pfarrer zwar in spezieller Weise zum „Hüten der Schafe“ aufgefordert sind, nicht die Eigentümer der Häuser sind, in denen sie leben. In diesem Sinne bleiben Pfarrerinnen und Pfarrer auch heute noch, wie auch ich hier in Dettingen, Gäste an dem Ort, an dem sie als Seelsorger arbeiten. Und trotzdem sind sie, aber auch alle Christenmenschen, dazu aufgefordert, anderen ein Zuhause bereitzustellen. Was für ein Zuhause kann das also sein?

 

„Hütet die Herde Gottes bei euch“!

 

Das erste, was mir einfällt, wenn ich diese Aussage höre, ist, dass die Beziehung zwischen dem Hirten und seiner Herde auf Liebe beruht. Kann es sein, dass die Liebe selbst ein Zuhause ist? Es ist eine Liebesbeziehung, die den Beiden verbindet. Alles, was weniger als Liebe ist, wird nicht ausreichen, um die Verbindung zwischen dem Hirten und seiner Herde herzustellen. Eine solche Beziehung bleibt unangetastet, was auch immer in der Welt und im Leben der Person geschieht. Diese Beziehung bleibt unangetastet, unangreifbar durch die Freuden und Sorgen, durch die Gewinne und Verluste dieser Welt.

 

Das Element der Liebe ist auch bei allen Ereignissen und Begegnungen im Leben Jesu wesentlich. Selbst nach seinem Tod, wie wir in der Schriftlesung gehört haben. Als Jesus den sieben Jüngern am See erscheint, fragt er Petrus dreimal, ob er ihn liebe. Nach allem was wir wissen, zählte Petrus zu den engsten Freunden Jesu während seines irdischen Lebens, vielleicht zusammen mit einem oder zwei anderen Jüngern. Und doch verleugnete Petrus aus Angst Jesus dreimal, als dieser von den Soldaten und Beamten der Hohenpriester und Pharisäer verhaftet wurde. Dennoch wird genau demselben Petrus die Verantwortung übertragen, die Gemeinde zu hüten. Die einzige Bedingung dafür ist die Liebe. Deckt die Liebe die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit zu? Höchstwahrscheinlich ja. Die Liebe hat die Kraft, die Fehler der Vergangenheit zu überwinden und zu verzeihen. Und in diesem Sinne sprechen wir die Worte des Psalms 23: „Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“ Und doch ist eins für uns heute wichtig, liebe Gemeinde. Nicht Angst, sondern Liebe kann die Aufgabe übernehmen, sich um andere zu kümmern. Petrus Fehler und Verweigerungen der Vergangenheit, die das Ergebnis von Angst und Furcht waren, sollten nun durch Liebe überwunden werden. Denn in der Liebe gibt es keine Furcht.

 

Es ist diese Liebe, die der Hirte zu den Menschen hat, aber auch die Liebe, die die Menschen zum Hirten haben. Es ist diese gegenseitige Liebe, die es möglich macht, dass Menschen behütet werden, nämlich in der Liebe Gottes ihre Hütte finden und dort auch beheimatet werden. Wo dies der Fall ist, kann man erkennen, dass, von dieser Person, bzw. von dem Hirten, kein Schaden ausgehen kann, was auch immer in der Welt geschieht. Ist es ein blindes Vertrauen? Nein, das ist es nicht. Es ist vielmehr genau das Gegenteil. Man vertraut, weil man diesen Menschen kennt, weil man sein Herz, die Absichten seines Herzens kennt, weil man die Vergangenheit kennt und sich die Zukunft vorstellen kann. Deshalb wird die Liebe bestehen bleiben.

 

Und nur die Liebe kann zum Vertrauen führen; ein Vertrauen, mit dem wir auch die ersten Worte des Psalms 23 sprechen: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“; ein Vertrauen darauf, dass der Hirte, wenn nötig, sein Leben für die Schafe hingibt. Dieses Vertrauen ist aber auch nicht einseitig, bzw. es ist nicht nur Vertrauen zum Hirten, sondern es ist ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis. Und das, liebe Gemeinde, ist der Unterschied zwischen der Bedeutung dieses Psalms und dem bloßen Bild dahinter. Unsere Beziehung zu Jesus ist viel mehr als das Bild eines Hirten, der seine Herde führt, aussagen kann. Das Bild eines Hirten mit den Schafen ist ein schönes Bild. Und doch sind wir nicht dazu aufgerufen, Jesus zu folgen, wie es nur die Schafe in einer Herde tun. Wir sind berufen, Jesus zu lieben, wie er uns liebt. Und wenn er unter uns wäre, hätten wir uns um ihn kümmern müssen. In unserem Glaubensleben sind wir nicht aufgerufen, wie Schafe zu folgen, sondern wir sind aufgerufen, mit Liebe und Vertrauen und mit Mut denselben Weg zu gehen, den er gegangen ist, d.h. selbst diejenigen zu sein, die sich um andere kümmern und andren hüten müssen.

 

In diesem Sinne beinhaltet dieser Weg sowohl die Freude, geliebt zu werden, als auch die Mühe, die es bereiten kann, andere zu lieben. Dieser Weg beinhaltet das Vertrauen auf den Hirten, aber gleichzeitig auch das Bemühen, selbst vertrauenswürdig zu sein.

 

Was ist denn nun also dieses „Zuhause“, das für andere bereitgestellt werden könnte?

 

Das Zuhause, liebe Gemeinde, ist Gott, zu dem wir alle eingeladen sind. Und wir sind aufgerufen, andere einzuladen. Daher sorgt Euch nicht nur um das Dach über dem Kopf, sondern achtet darauf, dass Euer Herz in Gott wohnt.

 

Ein Teil des Weges der Heimkehr zu Gott und des Wohnens in Gott ist dann „Freude“, nämlich die Freude, sich der Heimat zu nähern; eine Freude, die die Quelle aller Freuden enthält. Zum Weg der Heimkehr gehört aber auch die Traurigkeit; eine Traurigkeit, die nicht nur melancholisch ist, sondern Teil des Verweilens in Gott und der Fürsorge für andere auf dem Weg nach Hause ist.

 

Somit gehört die Erhabenheit des Menschen zusammen mit seinem Elend. Traurigkeit und Freude treffen aufeinander, und zur Freude gehört der Kummer. Der Kummer mit seinem inneren Licht hat seinen Ursprung in der Freude. Der Weg der Heimkehr ist also zugleich ein Weg der "trauernden Freude". Und so sagt uns der Predigttext, dass wir dazu berufen sind, beides zu sein: Zeugen der Leiden Christi und zugleich Teilhaber an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll.

 

„Als sie nun gefrühstückt hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Jonas, liebst du mich mehr als diese? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe! Er spricht zu ihm: Weide meine Lämmer!“ Amen.