Der natürliche und der geistliche Mensch

 

Der natürliche und der geistliche Mensch

(1.Korinther 2,12-16)

 

– Zum Pfingstsonntag –

 

 

Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, sodass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist; und davon reden wir auch, nicht in Worten, die von menschlicher Weisheit gelehrt sind, sondern in solchen, die vom Heiligen Geist gelehrt sind, indem wir Geistliches geistlich erklären. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss. Der geistliche [Mensch] dagegen beurteilt zwar alles, er selbst jedoch wird von niemand beurteilt; denn »wer hat den Sinn des Herrn erkannt, dass er ihn belehre?« Wir aber haben den Sinn des Christus.

 

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„Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist“. Was bedeutet dieser Satz, den Paulus an die Korinther schrieb? Damals gab es in der Stadt Korinth einen Konflikt zwischen der blühenden christlichen Gemeinde, die der Überlieferung nach von Paulus gegründet worden war, und der umgebenden Gesellschaft, die weiterhin die traditionellen Götter und Göttinnen der griechischen und römischen Religion verehrte.

 

In den Versen 14-15 wird dieser Unterschied zwischen Welt und Geist durch ein Bild weiterentwickelt; ein Bild, das zwischen einem natürlichen und einem geistlichen Menschen unterscheidet: „Der natürliche Mensch … nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist … Der geistliche [Mensch] dagegen beurteilt zwar alles, er selbst jedoch wird von niemand beurteilt“.

 

Wer ist nun der natürliche Mensch und wer ist der geistliche Mensch?

 

Ich möchte über diese beiden Fragen mit Blick auf unseren heutigen Kontext nachdenken, und irgendwann im Verlauf der Predigt werde ich auf den Kontext in Korinth zurückkommen.

 

Der natürliche Mensch ist jeder Einzelne von uns. Solange wir aus Fleisch und Blut sind, kann man uns sehen, anfassen, wir können auch wissenschaftlich untersucht werden. Wenn wir also krank werden, werden wir (oder unser Körper) wissenschaftlich-medizinisch untersucht. Ich weiß nicht, ob einige von Ihnen schon einmal die Erfahrung gemacht haben, operiert zu werden und unter den Geräten eines Arztes, oder einer Ärztin, liegen zu müssen. In solchen Momenten kann man spüren, dass man, an dieser Stelle, nichts anderes ist als ein Stück Material, irgendein natürliches Material, Fleisch, Knochen und Blut, über das man selbst keine Kontrolle mehr hat. In diesem Sinne sind wir alle natürliche Menschen, mit allem, was zu diesem natürlichen Wesen gehört, nämlich mit allen Bedürfnissen, die ein natürliches Wesen hat; Nahrung, zum Beispiel. Wir können nicht leben, ohne ernährt zu werden. Unsere menschliche Existenz ist also Teil der Ordnung und der Gesetze der Natur. Das liegt nicht in unserer Entscheidungsmacht. Wir sind der natürlichen Ordnung ausgesetzt, ob wir es wollen oder nicht. Hier haben wir keine Wahl. Zum Beispiel: Wir haben nicht entschieden, wie unser Körper wirken soll. Natürlich können wir vieles darüber lernen, so wie die Schüler in den Schulen über Naturwissenschaften lernen. Oder wir können es ignorieren. In beiden Fällen sind wir Teil der allgemeinen natürlichen Ordnung.

 

Wer ist denn der geistliche Mensch?

 

Vom Predigttext her können wir immerhin sagen, dass der geistliche Mensch derjenige ist, der den Geist Gottes hat. Aber was bedeutet das? Soll damit gesagt werden, dass einige Menschen den Geist Gottes haben und andere nicht? Ich möchte heute behaupten, dass der Geist Gottes jedem Menschen bereits gegeben ist, auch wenn der Mensch sich dessen nicht bewusst ist und ihn nicht empfangen will. Aber wenn der Mensch sich dem Geist Gottes öffnet, erst dann wird er sich der Gaben des Geistes bewusst, die sich im Leben des Menschen als die Früchte des Geistes zeigen werden: die Liebe, die Freude, der Friede, die Freundlichkeit und die Selbstbeherrschung ...

 

Was ist dann der Geist, oder das Geistliche? Eine einfache Erklärung für den Geist ist, dass er nicht materiell ist. Der Geist, liebe Gemeinde, behauptet die Abwesenheit des Materiellen und hat in unserem Leben eine selbstentäußernde Wirkung. In diesem Sinne können wir verstehen, wie Jesus sich entäußerte, indem er die Gestalt eines Knechtes annahm. Der Geist befreit uns von unserer Anhänglichkeit an das Materielle, an unser eigenes Ich. Und kann deshalb als Selbsthingabe beschrieben werden. Deshalb kann es keinen bösen Geist geben, nicht einmal einen Geist der Welt. Das wäre ein Selbstwiderspruch. Wir lesen im Predigttext über den Geist der Welt, und damit meint Paulus höchstwahrscheinlich die anderen religiösen Traditionen von Korinth, die ihrem Wesen nach materialistisch waren, oder materialistische Natur hatten.

 

Aber hier sollten wir vorsichtig sein. Der Geist ist nicht gegen das Materielle, oder gegen die Welt, aber er ist in seiner Natur nicht-materiell. Man könnte sagen, der Geist ist der Sinn der Welt, ihre Bedeutung, ihr Ziel, ihre Freiheit und ihr Trost, auch wenn die Welt sich des Geistes nicht bewusst ist oder ihn sogar leugnet. Wir könnten auch sagen, dass der Geist Gott ist. Und Gott schenkt sich für die Welt. Der Geist wird dann üblicherweise als Wind, oder Feuer, vorgestellt, den wir nicht berühren oder einfangen können. Daher kann der Geist nicht begrenzt werden, er kann nicht ergriffen oder gefangen und an einem bestimmten Ort oder von bestimmten Menschen festgehalten werden, die behaupten, den Geist zu besitzen. Der Geist ist offen und frei, und er kann von allen Menschen empfangen werden, in Freiheit und Offenheit.

 

Wenn also der Geist, liebe Gemeinde, die Abwesenheit des Materiellen behauptet, können wir daraus folgern, dass der geistliche Mensch derjenige ist, für den das Materielle nicht das Zentrum des Lebens ist. Er ist derjenige, der sein Herz von der Materie befreien kann, so dass der Wind des Geistes dort wehen und das Herz des Menschen beleben und erneuern kann. Und in diesem Sinne sollten wir die Gaben bzw. die Früchte des Geistes, verstehen: die Liebe, die Freude, den Frieden …also ohne jegliche materielle Abhängigkeit.

 

Aber, wenn der Geist allen Menschen von Anfang an gegeben ist, warum feiern wir dann ausgerechnet an diesem Sonntag das Pfingstfest, das Fest des Heiligen Geistes?

 

Die Bibel erzählt uns, dass die Jünger Jesu am Pfingsttag, also 50 Tage nach Ostern, die Gabe des Geistes empfangen haben. Sie beginnen zu predigen und über Jesus zu lehren, ohne Angst vor den Behörden zu haben. Dies war vorher, unmittelbar nach dem Tod Jesu, nicht der Fall gewesen. Kann man sagen, dass die Jünger diese 50 Tage brauchten, um die Christusbotschaft zu verinnerlichen und um selbst bereit zu sein, sie an andere weiterzugeben? Höchstwahrscheinlich ja.

 

Nach dieser Behauptung hat jeder Mensch zumindest das Potential in sich, den ihm bereits gegebenen Geist anzunehmen, sich also dem Geist zu öffnen. Und ich kann meine Behauptung durch ein einfaches Beispiel eines Menschen erklären, der sein ganzes Leben abseits des Geistes gelebt hat und dann, in einem Moment, in dem er oder sie sich entscheidet, den Geist Gottes anzunehmen, in diesem Moment direkten Zugang zu Gott und zum Geist Gottes hat, den wir üblicherweise als Liebe beschreiben. Deshalb, und im Gegensatz zum natürlichen Menschen, können wir sagen, dass der Mensch immer die Freiheit hat, als geistlicher Mensch zu leben, oder den Geist Gottes abzulehnen und sich mit seinem natürlichen Wesen zu begnügen.

 

Das bedeutet, dass wir nur dann ein geistlicher Mensch sein können, wenn wir es wollen. Das bedeutet weiter, selbst wenn ich als Pfarrerin meine Arbeit mache, predige und aus der Bibel lehre und Menschen besuche. Das alles kann ich entweder als geistlicher Mensch tun oder als natürlicher Mensch, der seinen Job macht. In jedem Augenblick kann ich wählen, ob ich ein geistlicher Mensch sein will oder nicht.

 

Auch, liebe Gemeinde, wenn der Heilige Geist allen Menschen von Anfang an gegeben ist, und wir auch in der Schöpfungsgeschichte vom Geist lesen, ist es durch das Leben und den Tod Jesu Christi, dass wir den Heiligen Geist den Geist Christi nennen. Durch Jesus ist der Geist für uns nicht mehr ein abstrakter Geist, sondern der Geist dessen, der gelebt hat und gestorben ist und in seinem Leben und Sterben lieben konnte. Es ist also wahrhaftig der Geist Christi, der Geist der Liebe, der Geist der Hingabe. In seinem Leben und seinem Tod hat Jesus den Geist verkörpert. Durch Jesus haben wir ein Bild, eine Vorstellung davon, wie ein geistlicher Mensch sein kann. Und er sagte zu denjenigen, die ihm folgen wollten:

 

„Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Markus 8,34)

 

Wollen wir heute den Heiligen Geist in unserem Leben empfangen und ihn an andere weitergeben? Wir können dies jedes Mal tun, wenn wir uns für die Liebe entscheiden, nicht mit Worten, die man hören kann, sondern mit einer Bewegung des Herzens, die der Geist bewirkt.

 

Ich möchte die heutige Predigt, liebe Gemeinde, mit den Worten Martin Luthers aus einem Lied im evangelischen Gesangbuch (Nummer 126,1) schließen: „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein, mit Gnaden sie füll, denn du weißt, dass sie dein Geschöpfe sein.“ Amen.