Ein Fest für alle

 

Ein Fest für alle

 (Lukas 14,16-23)

 

 

Er aber sprach zu ihm: Ein Mensch machte ein großes Mahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Mahles, um den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon alles bereit! Und sie fingen alle einstimmig an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss unbedingt hinausgehen und ihn ansehen; ich bitte dich, entschuldige mich! Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe hin, um sie zu erproben; ich bitte dich, entschuldige mich! Wieder ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet, darum kann ich nicht kommen!

Und jener Knecht kam wieder und berichtete das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Gassen und Plätze der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein! Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast; es ist aber noch Raum da! Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus an die Landstraßen und Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde!

 

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Im heutigen Predigttext lesen wir von einem Menschen, der ein großes Festmahl gab und viele dazu einlud. Zur Zeit des Festmahls aber fingen alle Eingeladene gleich an, sich zu entschuldigen.

 

Heute möchte ich mit Ihnen, liebe Gemeinde, über die Idee einer Einladung zu einem Festmahl nachdenken. Warum ist eine Einladung zum Mahl etwas Besonderes und Gutes, unabhängig davon, ob wir die Einladenden oder die Eingeladenen sind? Ich möchte heute vorschlagen, eine Einladung zu einem Mahl nicht nur als Gelegenheit für körperliche Nahrung und auch nicht nur als Einladung zu geselligem Beisammensein zu betrachten, sondern auch als Gelegenheit für geistliche Gemeinschaft und Begegnungen. Aber wie kann eine Einladung zu einem Mahl eine Gelegenheit für geistliche Gemeinschaft sein?

Um die Frage beantworten zu können, möchte ich mich dem Gleichnis im heutigen Predigttext zuwenden. Ein Mann, wir dürfen davon ausgehen, ein reicher Mann oder ein Adliger, bereitet ein großes Festmahl vor und lädt viele Menschen zu seinem Festmahl ein. Als die Zeit gekommen ist, schickt er seinen Diener, um die Eingeladenen in sein Haus zu bringen. Aber sie fangen alle an, sich zu entschuldigen. Jeder der Gäste hat eine Ausrede, beziehungsweise eine Beschäftigung, die ihn daran hindert, die Einladung zum Festmahl anzunehmen. So sagt der erste, er habe einen Acker gekauft und muss unbedingt hinausgehen und ihn ansehen, der andere sagt, er habe fünf Joch Ochsen gekauft und müsse sie sich auch ansehen. Ein dritter hatte gerade eine Frau geheiratet und kommt deshalb nicht. Als der Hausherr die Absagen der Eingeladenen erfährt, befiehlt seinem Diener, auf die Gassen und Plätze der Stadt zu gehen um die Armen, die Krüppel, die Lahmen und die Blinden in seinem Haus zum Festmahl zu bringen.

 

Beim Lesen oder Hören des Gleichnisses können wir erahnen, dass Jesus über die Einladung Gottes an die Menschen spricht. Dennoch ist es nicht so eindeutig. In dem Gleichnis kommen Elemente realer Einladungen hier in der Welt mit dem Bild der zukünftigen Zusammenkunft aller Menschen im Reich Gottes zusammen. Das gilt auch für uns. Wir befinden uns immer in einer „Dazwischen“-Situation, zwischen der Welt und dem Himmel. Unsere Worte und Gedanken schwanken immer zwischen diesen beiden. Gott aber möchte, dass alle Menschen zu Gott kommen. Aber warum vergleicht Jesus die Einladung Gottes an die Menschen mit der Einladung eines Hausherrn zu einem Festmahl? Was ist das Besondere an einer solchen Einladung? Warum dieses Bild?

 

Ein gemeinsames Essen ist, liebe Gemeinde, eine Gelegenheit, sich einem anderen zu öffnen und die Möglichkeit zu haben, die Selbstöffnung des anderen zuzulassen. Bei einer gemeinsamen Mahlzeit sind beide Seiten, Gastgeber und Gast, offen für eine neue Begegnung, für eine Entfaltung des Selbst, die üblicherweise in anderen Kontexten unseres täglichen Lebens nicht möglich ist. Dies ist normalerweise auch nicht der Fall, wenn wir mit unseren Familienmitgliedern oder Freunden zusammensitzen, da wir denken, dass sie uns bereits kennen und es nicht nötig ist, uns zu erklären, zu sagen, wer wir sind, vielleicht wer wir sein wollen, oder sogar von den Enttäuschungen zu erzählen, mit denen wir in unserem Leben konfrontiert wurden.

 

Durch die Gespräche, die eine Einladung begleiten, durch die einfachen Gesten und Antworten, lernt man den anderen kennen. Mit einer Einladung zum gemeinsamen Essen lädt man den anderen ein, nicht nur in das eigene Haus, sondern auch in das eigene Leben einzutreten. Die Gespräche, die stattfinden, können sogar das eigene Leben verändern, durch die Geschichten, die man erfährt, und die Details des Lebens, die geteilt werden. Demnach ist eine solche Einladung eine Gelegenheit für eine Veränderung im Leben aller beteiligten.

 

Was aber passiert mit den Eingeladenen im Gleichnis? Warum lehnen sie die Einladung ab? Jeder hat etwas zu tun, das wichtiger zu sein scheint als die Einladung des Hausherrn. Sie sind wahrscheinlich zufrieden und stolz auf das, was sie im Leben erworben und erreicht haben. Mit ihren Berechnungen und Bedenken versäumen sie das Fest. Ist es nicht auch so, dass wir manchmal keine Zeit für Gott haben und für andere Menschen, weil wir meinen, etwas Wichtigeres zu tun zu haben? Was ich sagen möchte, liebe Gemeinde, ist, dass auch wir manchmal nicht sehen, was im Leben wichtig ist. Ähnlich wie die eingeladenen Gäste im Gleichnis sind wir üblicherweise so sehr mit unseren Berechnungen beschäftigt, mit dem was wir haben, oder in den Händen halten, dass wir das Wesentliche übersehen. Und natürlich könnte man fragen, was ist denn das Wesentliche? Ich würde antworten, wesentlich ist jeder Mensch, nicht nur die, die zu uns „gehören“, also zu unserer Familie oder zu unserem Freundeskreis, sondern wirklich jeder Mensch ist wesentlich für allen anderen und für Gott und genau das verleiht einem Fest seinen Sinn; ein Fest, zu dem alle eingeladen sind, ohne Berechnungen, ohne strategischen Gründen. Und es ist in diesem Sinne, dass wir das Abendmahl feiern. Jeder ist eingeladen und jeder ist wichtig und hat Platz.

 

Wer sind dann diejenigen, die die Einladung annehmen? Es ist bemerkenswert, dass diejenigen, die die Einladung annehmen, alle Menschen sind, die einen Mangel an etwas haben, die nach dem jüdischen Gesetz irgendeinen Makel oder eine Schwäche aufweisen. Und so lesen wir, dass es die Armen und Krüppel, die Lahmen und Blinden sind diejenigen, die von den Dienern des Hausherrn ins Haus hereingeführt werden.

 

Wir können nicht, liebe Gemeinde, zu Gott kommen mit der Überzeugung, dass wir perfekt sind. Wenn wir uns Gott nähern, erkennen wir, wie sehr es uns an Vollkommenheit mangelt. Wenn wir uns Gott nähern, erkennen wir, was uns fehlt, denn wenn wir perfekt wären, bräuchten wir Gott nicht. Aber wir sind nicht perfekt. Und deshalb bitten wir jedes Mal, wenn wir das Abendmahl feiern, um Vergebung. Wir bitten darum, dass Gott all unsere Defizite ausgleicht, dass Gott all die dunklen Flecken in unserem Leben mit seinem Licht durchdringt, damit Gottes Licht auch in unserem Leben leuchtet.

 

Gott ist selbst, liebe Gemeinde, kein Gott, der uns nicht braucht und deshalb unabhängig von uns bleibt. Gott ist vielmehr immer ein einladender Gott. Gott lädt uns ständig ein, und so können wir verstehen, dass Gott immer in einem Zustand des Sich-öffnens, des Rufens, des Empfangens und des Kommens ist. Gott lädt uns ein und kommt gleichzeitig zu uns. Ich weiß nicht, ob Sie diese Erfahrung schon einmal gemacht haben: Sie erwarten, dass jemand zu Ihnen kommt, aber während Sie warten und erwarten, gehen Sie auf diese Person zu. Ich glaube, Gott macht etwas Ähnliches. Gott lädt uns ein und kommt gleichzeitig zu uns.

 

Wenn wir den Ruf Gottes hören, lasst uns, liebe Gemeinde, unseren Besitz, unsere Beschäftigungen und Berechnungen hinter uns lassen und zu Gott kommen. Gott weiß alles. Gott kennt unsere Bedürfnisse, unsere Sorgen, unsere Schwächen, unser Versagen, unsere Wünsche und Träume und wird uns durch seine Kraft und seine Lenkung in unseren Herzen helfen.

 

Und so haben wir in der Schriftlesung die Worte des Propheten Jesaja gehört:

 

Und Gott „wird auf diesem Berg die Schleierhülle wegnehmen, die alle Völker verhüllt, und die Decke, womit alle Nationen bedeckt sind. … Gott wird die Tränen abwischen von jedem Angesicht und die Schmach seines Volkes hinwegnehmen von der ganzen Erde. … Und an jenem Tag wird man sagen: Seht, das ist unser Gott, auf den wir gehofft haben, dass er uns rette; … nun lasst uns frohlocken und fröhlich sein in seiner Rettung!“ Amen.

 

 

 

Sylvie Avakian

 

18.06.2023