„Seid … gleich gesinnt“

 

„Seid … gleich gesinnt“

 (1.Petrus 3,8-17)

 

Endlich aber seid alle gleich gesinnt, mitfühlend, voll brüderlicher Liebe, barmherzig, gütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung, sondern im Gegenteil segnet, weil ihr wisst, dass ihr dazu berufen seid, Segen zu erben. Denn »wem das Leben lieb ist und wer gute Tage sehen will, der bewahre seine Zunge vor Bösem und seine Lippen, dass sie nicht Trug reden; er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche den Frieden und jage ihm nach! Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Flehen; das Angesicht des Herrn aber ist gegen die gerichtet, die Böses tun.« Und wer will euch Schaden zufügen, wenn ihr Nachahmer des Guten seid? Doch wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr! Ihr Drohen aber fürchtet nicht und lasst euch nicht beunruhigen; sondern heiligt vielmehr Gott, den Herrn, in euren Herzen! Seid aber allezeit bereit zur Verantwortung gegenüber jedermann, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, [und zwar] mit Sanftmut und Ehrerbietung; und bewahrt ein gutes Gewissen, damit die, welche euren guten Wandel in Christus verlästern, zuschanden werden in dem, worin sie euch als Übeltäter verleumden mögen. Denn es ist besser, dass ihr für Gutestun leidet, wenn das der Wille Gottes sein sollte, als für Bösestun.

 

__________________________________________

 

 

Der erste Petrusbrief wurde wahrscheinlich um das Jahr 80 n.Ch. von einem Kollegen des Petrus an mehrere Gemeinden in der römischen Provinz Kleinasien geschrieben. Im Kapitel 1, Vers 1 des Briefes nennt der Autor seine Adressaten „die auserwählten Fremdlinge“ (Luther Bibel) und ermutigt sie, ungeachtet aller Schwierigkeiten und Verfolgungen fest in ihrem Glauben zu bleiben.

 

Die neu konvertierten Christen waren mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Die meisten von ihnen hatten ihre Wurzeln in der griechisch-römischen Welt und waren unter der Herrschaft des Römischen Reiches mit der griechisch-römischen Religion, dem „Heidentum“ aufgewachsen. Die römische Religion war zu dieser Zeit polytheistisch und örtlich gebunden. Jede Stadt verehrte ihre eigenen Götter und Göttinnen, die ursprünglich aus dem antiken Griechenland stammten. Diese Stadt [polis]-Religion war in die politische oder bürgerliche Identität der Menschen eingebettet und untrennbar mit ihr verbunden. Und so war die Religion mit den dazugehörigen Ritualen und öffentlichen Praktiken ein zentraler Bestandteil des öffentlich-sozialen Lebens im römischen Reich. Christ zu sein bedeutete, dass die frühen Christen viele Rituale und Praktiken der Gesellschaft ablehnten und dann deshalb von ihren eigenen Familien, Gesellschaften und Obrigkeiten als gemeinschaftsschädigende, schlechte Bürger verfolgt. Diese für die Christen schwierige Zeit dauerte bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts an, als Konstantin der Große den Christen die freie Ausübung ihrer Religion zusicherte.

 

Die Beschreibung der Verfolgungen, die die ersten Christen erlitten haben, erscheint uns oft als etwas, von dem wir üblicherweise denken, dass es der Vergangenheit angehört. Manchmal denken oder hören wir, dass es auch heute noch einige Länder gibt, in denen Christen verfolgt werden, aber natürlich nicht im Westen. Im Gegensatz dazu möchte ich heute behaupten, dass es zum Christsein, oder zum Gläubigsein gehört verfolgt zu werden.

 

Inwiefern aber gehört es zum Christsein, verfolgt zu werden?

 

Vielleicht kann man erst fragen, was bedeutet Christsein oder Gläubigsein? Im Predigttext ist eine Art Beschreibung wie ein Christ sich in einer Gesellschaft verhalten sollte: „Endlich aber seid alle gleich gesinnt, mitfühlend, voll brüderlicher Liebe, barmherzig, gütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung, sondern im Gegenteil segnet, weil ihr wisst, dass ihr dazu berufen seid, Segen zu erben.“

 

Und wir merken, dass diese Worte eine ziemliche Herausforderung darstellen, auch für uns heute. „Gleich gesinnt“ zu sein? Woher kommt das? Wie können Menschen in einer Gesellschaft gleich gesinnt werden? Gleich gesinnt, von Sinnen, also in anderen Worten, meint der Apostel, dass Menschen ähnlichen Sinn und ähnliche Bedeutung im Leben haben, sodass sie eins werden.

 

In unserer heutigen Gesellschaft kommt es vor allem auf das Wohlbefinden des Menschen an. Und ein vorrangiges Ziel der Arbeit oder der Bemühungen im Leben ist es, Geld zu bekommen. Aber das sind für sich genommen keine verbindenden Faktoren. Wie kommt es dann zu diesem „Gleich gesinnt“ zu sein? Wahrscheinlich hatte der Apostel den Glauben vor Augen und stellte sich eine Art von Spiritualität vor, die die Menschen vereinen könnte. Er würde vielleicht sagen: Der Geist vereint, der Geist Christi, der Geist der Liebe.

 

Die Spiritualität ist aber eine meist missverstandene Realität in der Welt, ungeachtet all der unterschiedlichen Weltanschauungen und Zeiten, die ein solches Christsein in der Welt begleiten mögen. Aber warum wird die Spiritualität üblicherweise missverstanden? Wahrscheinlich, weil die Spiritualität eine Realität ist, die sich nicht an statische Formen, Strategien oder Programme anpassen lässt, sondern sie ist ständig auf der Suche nach Wahrheit und Freiheit und das ist der Grund ihres Glanzes. Im Laufe der Geschichte gab es viele spirituelle Gläubige und Mystiker, die sogar von der Kirche verurteilt wurden, weil sie nicht in bestimmte Gesetze oder Systeme passten.

 

Und dann stellen wir fest, dass auch heute in unseren gegenwärtigen Gesellschaften scheint eine christliche, spirituelle Existenz oft fehl am Platz zu sein, selbst wenn das Element der Verfolgung durch Zwang und Gewalt fehlt. Und was kann man über die heutige westliche Weltanschauung sagen? Unser heutiges Weltbild beruht üblicherweise auf behaupteten Fakten und Argumenten, und diese werden in der Regel als gültig akzeptiert, auch wenn die Behauptungen manchmal mit Lügen vermengt sein könnten. Üblicherweise wird kaum jemand in Frage stellen, ob eine Behauptung wahr oder gut genug ist; was zählt, ist, dass sie logisch ist und in das jeweilige Weltbild passt. Darüber hinaus könnte jede Infragestellung der Behauptungen als Gefährdung des eigenen Wohlstands erscheinen, so dass man alle störenden Elemente vermeiden würde.

 

In diesem Sinne wird der Glaube oder die Spiritualität oft als ein störendes Element in einer Gesellschaft angesehen. Denn eine Gesellschaft an sich strebt oft nach einer Einheit, ohne Rücksicht auf die Individuen. Eine Gesellschaft strebt nach einem Wort, einer Tat, einer Meinung, selbst wenn sie behauptet, eine demokratische Gesellschaft zu sein. Demokratie in diesem Sinne ist ein begrenztes „Ja“ oder „Nein“, d.h. ein „Ja“ oder „Nein“ zu gewissen vorher gedachten und beschlossenen Modellen und Formen, ohne dass eine wirkliche Auseinandersetzung der Menschen mit der Frage selbst notwendig wäre. Eine Demokratie in dem hier beschriebenen Sinne ist eine geplante Demokratie, eine vorbestimmte, und sie ist das Ergebnis äußerer Zustimmung oder äußerer Ablehnung der jeweils gestellten Frage. In einer solchen Demokratie ist den einzelnen Menschen immer irgendwie die Angst davor präsent, etwas zu sagen, was alle anderen nicht sagen, oder davor in einer Weise zu handeln, die dem Handeln aller anderen widerspricht. Vielmehr versuchen die einzelnen Menschen, sich in das allgemeine Bild einzufügen, einer von vielen zu sein und dann die Vorteile zu genießen, die eine solche Demokratie und Zusammenhalt gewährt. An dieser Stelle ist es notwendig, diese äußere Einheit einer Gesellschaft als geplante oder organisierte Einheit zu unterscheiden von der Einheit im Geiste, die der Apostel im Predigttext meint.

 

Was kann dann die Rolle des Glaubens in der heutigen Gesellschaft sein? Die Christen lebten in der Antike als Fremde, ist das nicht in gewisser Weise auch der Fall hier und im 21. Jahrhundert? Was ich hier sagen möchte, liebe Gemeinde, ist, dass es zum Christsein gehört, die behaupteten Wahrheiten zu prüfen und den falschen Behauptungen zu widerstehen, auch wenn dies ziemlich hohe Kosten verursachen könnte. In diesem Sinne ist die Verfolgung kein exklusives Phänomen der frühen Christen, sondern überall, wo Glaube und Liebe leuchten, wird es eine Art von Verfolgung geben.

 

Und doch gibt es viele Beispiele für solche freien Entscheidungen. Heute mögen wir an Hermann Stöhr denken, den promovierten Sozialpolitiker, Pazifisten und Widerstandskämpfer, der 1940 wegen Verweigerung des Kriegsdienstes zunächst inhaftiert und später zum Tode verurteilt wurde. Und er schrieb: „Die Liebe, wie sie sich im Leben und im Tode Christi offenbart ist die einzige Macht, die das Böse bezwingen kann und die einzige dauernde Grundlage für eine menschliche Gesellschaft.“

 

Und in diesem Sinne verstehen wir die Aussage des Apostels im Predigttext: „Doch wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr! Ihr Drohen aber fürchtet nicht und lasst euch nicht beunruhigen“.

 

Im Hintergrund klingt Jesu Stimme, die wir in der Schriftlesung gehört haben: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen“ (Matthäus 5,43-44).

 

Von einem solchen Glauben geht ein Glanz aus, eine Ausstrahlung, die anziehend ist und das Leben heller macht. Es ist ein Licht für das tägliche Leben der Gemeinde. Inmitten aller Drohungen und Ängste, inmitten aller Nachlässigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen, lasst uns, liebe Gemeinde, fest im Glauben bleiben, lasst uns gleich gesinnt, barmherzig, voll brüderlicher Liebe, gütig und barmherzig sein, auch wenn dies oft sich entgegen dem Trend der Gesellschaft zu verhalten bedeutet! Und lasst uns nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern es mit der Liebe Christi überwinden. Amen.

 

 

 

 

 

Gott, unser Vater,

 

du bringst uns vor dir zusammen als deine Kinder.

 

Wenn wir zu dir kommen, verschwinden alle Unterschiede,

 

wird es keine Reichen und keine Armen geben,

 

keinen Mann und keine Frau.

 

Vor dir gibt es keinen Starken und keinen Schwachen,

 

keinen Herrn und keinen Diener.

 

Denn du bist es, der Kraft und Leben schenkt,

 

du bist der, der uns mit all unseren Unvollkommenheiten annimmt,

 

mit all unserem Versagen und unseren Fehlern.

 

Du bist der, der uns immer und immer wieder neues Leben und neue Hoffnung schenkt.

 

Gib uns, Gott, die Kraft, für die Gerechtigkeit in dieser Welt einzutreten.

 

Gib uns die Weisheit zu sprechen, wenn wir sprechen sollen,

 

andere zu lieben und zu segnen, auch wenn uns das manchmal unmöglich erscheint.

 

Schenke der Welt deinen Frieden

 

Und hilf uns und allen Menschen, zuerst dein Reich und deinen Willen zu suchen,

 

und darauf zu vertrauen, dass du uns durch deine Liebe alles andere gewähren wirst.

 

Heute beten wir für unsere Kinder und alle Kinder der Welt,

 

wir beten für unsere Konfirmanden,

 

dass du sie in ihrem Leben begleitest,

 

dass sie dich und dein Licht bei allen Schritten ihres Lebens suchen. Amen.