Zum Toten- und Ewigkeitssonntag

Zum Toten- und Ewigkeitssonntag

(Daniel 12,1b-3)

 

 

Denn es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie es noch keine gab, seitdem es Völker gibt, bis zu dieser Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, jeder, der sich in dem Buch eingeschrieben findet. Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen; die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Schmach und Schande.

 

Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsausdehnung, und die, welche die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.

 

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Das Danielbuch, dem der heutige Predigttext entnommen ist, ist das einzige apokalyptische Buch im Alten Testament, also ein Buch wo über das Ende der Zeit geschrieben wird. Um den Text vollständig zu verstehen, muss der Kontext, in dem er geschrieben wurde, erforscht werden, was wir heute nicht ganz tun können. Gleichzeitig wollen wir versuchen, herauszufinden, was der Text uns heute zu sagen hat. Der heutige Predigttext ist auch wahrscheinlich die einzige Stelle im Alten Testament, an der die Auferstehung und das ewige Leben ausdrücklich behauptet werden.

 

Im Predigttext lesen wir, dass das Volk in einer Zeit der Drangsal gerettet wird. Und wir wissen, dass das Danielbuch im zweiten Jahrhundert v. Chr. geschrieben wurde, als die Juden unter der hellenistischen Herrschaft eine schwere Krise und Verfolgung erlebten. Der Text bringt dann Hoffnung nicht nur für die Lebenden und die Leidenden, sondern auch für die Toten.

 

Wie können wir diesen Text heute verstehen? Warum kommt die Rettung immer nach einer großen Trübsal? Dazu fallen mir einige Beispiele auch aus der Bibel ein. Die Juden befanden sich zur Zeit Moses in Ägypten. Dort erlebten sie große Bedrängnis. Männer mussten als Sklaven arbeiten, Kinder wurden getötet und dann kommt die Rettung, als Mose sie aus Ägypten befreit. Auch Abraham konnte in der Tiefe einer Nacht das Lichtermeer im Himmel sehen. Die Fülle der Sterne konnte ihm Hoffnung für die Zukunft geben. In der Bibel wird Abraham als ein Mann des Glaubens vorgestellt. Aber was macht einen Menschen zu einem Mann oder einer Frau des Glaubens? Was ist es, das wir Glauben nennen?

 

An verschiedenen Stationen seines Lebens hat Abraham vor allem eins getan: Er konnte seine Heimat zurücklassen, er konnte auf seinen eigenen Willen verzichten, als er mit Lot, seinem Neffen, ein Konflikt hatte (also gab er ihm die erste Wahl, dorthin zu gehen, wohin er wollte). Und wir lesen, dass Abraham sogar bereit war, seinen eigenen und einzigen Sohn als Opfergabe für Gott zu geben. Wenn wir also über den Glauben im Leben Abrahams nachdenken, können wir sagen, dass der Glaube der Mut ist, auf alles im Leben verzichten zu können, und, dass dieser Verzicht nur durch ein tiefes Vertrauen auf Gott möglich ist.

 

Vielleicht gibt es auch in unserem Leben solche Beispiele für Menschen, die immer geben und vergeben, auch in den schwierigen Zeiten, und in solchen Momenten irgendwie leuchten und Licht verbreiten.

 

Ein solches Leuchten tritt dann vor allem in den dunklen Zeiten auf. Wir können auch an Beispiele aus unserem eigenen Leben denken. Immer dann, wenn wir nicht bereit sind, uns den Schwierigkeiten im Leben zu stellen, bleiben sie bestehen. Wenn wir uns aber entschließen, uns ihnen zu stellen und somit den Status quo zu ändern, dann müssen wir durch bestimmte Schwierigkeiten gehen und Verluste in Kauf nehmen. Es ist also wahr, wenn man sagt, dass große Schwierigkeiten die Erlösung herbeiführen. Oder umgekehrt: Erlösung erfordert Anstrengung und Schmerz.

 

Solche Anlässe in unserem Leben lassen uns, liebe Gemeinde, zu dem Schluss kommen, dass wir im Grunde nichts zu verlieren haben, denn wir besitzen nicht die Dinge und nicht die Menschen, mit denen wir unser Leben teilen. Auch wenn wir vielleicht ein Leben lang um unsere Rechte, unsere Überzeugungen, oder unser Eigentum gekämpft haben. Vielleicht kommen wir eines Tages zu der Einsicht, dass wir alles, was wir haben, irgendwann zurücklassen werden, weil wir alle sterben werden. Und selbst die Ansprüche und Behauptungen, die wir von anderen übernommen haben, erfahren wir später, dass sie sich ändern können, dass sie nicht unbedingt die besten waren. Und sobald wir es erkennen, dass es uns alles geschenkt ist und wir nur unser Bestes tun können, um uns um all das zu kümmern, was uns gegeben ist, dann wird genau dieser Moment zu einem Glanzmoment in unserem Leben sein, auch wenn uns dann nur noch wenige Wochen oder wenige Monate zu leben bleiben, wir werden diese Tage und Wochen ganz anders leben als bisher.

 

Wir werden plötzlich erkennen, dass wir frei sind, frei von der Habgier, frei von den Erwartungen der anderen. Erst die Erkenntnis des Todes macht Freiheit und Erlösung möglich. Der Tod hat dann eine heilende Kraft in sich. Mit dem Tod, auch dem Tod unserer Verstorbenen, verschwindet jeder Egoismus, jede Überheblichkeit, jeder Wunsch, immer mehr zu besitzen, denn mit dem Tod kann man nichts mehr besitzen. Und so leuchtet der Mensch wie ein Stern am Himmel. In diesem Sinne sagen wir, dass der Tod der Tod der Dunkelheit ist, der Tod aller Hindernisse, die der Liebe, dem Mitgefühl und der Versöhnung im Wege stehen. Durch den Tod kommt das Licht in uns zum Vorschein, und wir werden wie die Sterne alle anderen zur Gerechtigkeit führen. Und so haben wir im Predigttext gelesen: „Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsausdehnung, und die, welche die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“

 

Dieses Leuchten wie ein Stern kommt auch hier in der Welt zum Ausdruck, erfreulicherweise, so dass wir nicht sterben sollen, um zu leuchten. Aber wie? Wie kann man zu diesem Leuchten wie der Glanz des Firmaments und wie die Sterne für immer und ewig kommen, auch hier in der Welt? Wir können diese Art von Glanz in allen christlichen Werten erahnen, in der Liebe, der Vergebung, der Freundlichkeit, der Demut, des Mitgefühls und des Mutes, in all diesen ist irgendwie ein Element des Todes enthalten. In einem Moment des Mutes sehen wir, z.B., wie jemand leuchten kann, aber auch in einem Moment der Demut und Bescheidenheit. Sowohl Mut als auch Demut erfordern eine Art von Tod, weil sie ein Risiko mit sich bringen. Der Mut, etwas Neues zu wagen, riskiert den Verlust des Alten. Und durch Demut tritt man in einem unsicheren Bereich, in dem man von der Mehrheit der Menschen missverstanden werden kann. Und die Liebe, liebe Gemeinde, ist der größte aller Werte. Wer also den Weg zur Liebe gefunden hat, der hat den Weg zur Ewigkeit gefunden.

 

Und wahrscheinlich diejenigen, die die Liebe ablehnen, im Hier und Jetzt eine Art „Hölle“ erleben. Aber die „Hölle“ ist nicht ewig. Sie ist vorübergehend und vergänglich, bis die Liebe sie überwindet. Zumindest ist das, liebe Gemeinde, unsere Hoffnung.

 

Eine solche Liebe, die das Heil durch den Tod bewirkt, ist in der Person Jesu Christi erfüllt. In diesem Sinne verstehen wir auch die Worte Jesu an Thomas in der heutigen Schriftlesung. „Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich!

 

Jede gute Tat, mit der wir anderen helfen, jedes Mitgefühl, jede Vergebung, jede Geste der Freundlichkeit, der Fürsorge und jeder Verzicht auf Egoismus tragen zu einer solchen Liebe bei und verschaffen uns einen Lichtmoment, einen Moment, der auf den Morgenglanz der Ewigkeit verweist, wie wir zu Beginn des heutigen Gottesdienstes gesungen haben.

 

In diesem Sinne, ist heute nicht nur der Totensonntag, sondern auch der Ewigkeitssonntag. Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, scheut euch nicht, anderen zu helfen, freundlich zu sein, ihnen zu verzeihen, damit euer Licht ewig leuchtet und lasst uns unserer Verstorbenen in Liebe gedenken, damit sie und wir gemeinsam den Weg in die Ewigkeit gehen. Amen.