Eine geöffnete Tür

Eine geöffnete Tür

(Offenbarung 3,7-8, 10-11)

 

 

Sendschreiben an die Gemeinde von Philadelphia

 

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, … Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine geöffnete Tür gegeben, und niemand kann sie schließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.

Weil du das Wort vom standhaften Ausharren auf mich bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, damit die versucht werden, die auf der Erde wohnen.

Siehe, ich komme bald; halte fest, was du hast, damit [dir] niemand deine Krone nehme!

 

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Das Buch der Offenbarung ist das letzte Buch im Neuen Testament. Das Buch wurde in einer Zeit der Bedrängnis geschrieben, gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, als die Christen im Römischen Reich, bzw. in Kleinasien, im westlichen Teil der heutigen Türkei, von den römischen Behörden verfolgt wurden. Der damalige Kaiser war der erste römische Kaiser, der von allen seinen Untertanen verlangte, ihn zu Lebzeiten als Gott zu verehren. Er setzte den Kaiserkult mit aller Strenge durch, so dass alle römischen Bürger einmal im Jahr zu Ehren des Kaisers Weihrauch verbrennen und sagen mussten: „Der Kaiser ist unser Herr.“ Die Christen, die in dieser Region eine kleine Minderheit darstellten, waren dadurch einem schweren Gewissenskonflikt ausgesetzt. Viele Christen entflohen der Verfolgung, indem sie am Kaiserkult teilnahmen. Andere haben versucht die Verfolgungen durchzuhalten, und andere erlitten die Todesstrafe und wurden so zu Märtyrern des christlichen Glaubens. Da es im Römischen Reich gefährlich war, direkt zu sprechen, wurden in diesem Buch der Offenbarung die Ereignisse mit Hilfe von geheimnisvollen Zeichen und Bildern aus der jüdischen Apokalyptik in verschleierter Form beschrieben. Gegen alle Unterdrückung durch staatliche Gewalt versucht das Buch den christlichen Gemeinden Hoffnung zu geben, damit sie in der Zeit des Leidens durchhalten können.

 

Diese Botschaft der Hoffnung wird dann in Form von Briefen an sieben Städte oder sieben Gemeinden in Kleinasien geschrieben. Diese Gemeinden sind wahrscheinlich von Paulus gegründet worden. Und da sieben die Zahl der Vollendung ist, bedeutet dies, dass das Buch sich an die universale, allumfassende Kirche wendet.

 

Der heutige Predigttext ist einem Brief an die Gemeinde in Philadelphia entnommen, einer Stadt in Kleinasien, wo es für die junge christliche Gemeinde wahrscheinlich nicht leicht war, in einem solchen Umfeld zu überleben. Wenn ich mir den Predigttext ansehe, fällt mir eine Aussage besonders auf: „Siehe, ich habe vor dir eine geöffnete Tür gegeben, und niemand kann sie schließen“. „Eine geöffnete Tür“ in einer so heiklen Situation? Was könnte diese geöffnete Tür sein?

 

Die Christen in Philadelphia wollten höchstwahrscheinlich ihrem Glauben treu bleiben. Die christliche Botschaft, die sich auf Jesus Christus und seine Lehren gründet, hat, liebe Gemeinde, große Anziehungskraft. Sie hat mit Liebe und Vergebung zu tun, mit Mut und Demut. Aber das zu bewahren, war zu der Zeit, als dieser Brief geschrieben wurde, ein sehr riskantes Vorhaben. Denn das bedeutete, gegen eine starke Welle in der Gesellschaft bestehen zu können. Alle mussten sich in ein und dieselbe Tradition ihrer Zeit einfügen, dem König oder dem Kaiser gehorchen, aber die Christen sahen und sehen die Dinge anders. Und deshalb gibt ihnen dieser Brief Hoffnung: Es gibt eine geöffnete Tür für sie, die niemand schließen kann, nicht einmal der Kaiser.

 

Gott öffnet immer neue Türen auch in unserem Leben, und ich glaube, dass jeder von uns seine eigenen Schwierigkeiten oder Herausforderungen im Leben hat, durch die er/sie geht. Manchmal sind wir enttäuscht, wenn wir einen großen Verlust erlitten haben. Manchmal denken wir, dass auch wir uns in die Gesellschaft einfügen und sagen und tun sollen, was andere sagen, auch wenn wir selbst nicht von dem überzeugt sind, was sie sagen oder tun. Was hat es dann mit einer geöffneten Tür auf sich? Liebe Gemeinde, jeder Gedanke, jedes Wort, jeder Schritt und jede Tat, die uns näher zu Gott und zu den Mitmenschen bringt, werden uns durch eine solche geöffnete Tür ermöglicht. Durch diese Tür ist uns die Möglichkeit gegeben, auf Gott zuzugehen, barmherzig und gnädig zu sein, wie Gott barmherzig und gnädig ist. Es ist eine Tür, die, wenn wir sie durchschreiten, uns ins Licht bringt, so dass wir klarer sehen und besser verstehen was gerade geschieht und was wir tun wollen und sollen. Aber diese Tür ist nichts Magisches. Sie kommt nicht von außen als etwas Außergewöhnliches zu uns, sondern sie kommt meistens aus unserem Inneren. Wir kommen zu ihr, wenn wir selbst denken und nach Licht suchen, aber auch wenn wir beten und Gott vertrauen. Und wir können sagen, dass diese Tür Christus selbst ist, der in unseren Herzen wohnt, uns sein Wort gibt und uns auf einen besseren Weg führt.

 

Diese geöffnete Tür gibt uns dann die Chance, nach jedem Sturz immer wieder aufzustehen und nach jeder Enttäuschung weitergehen zu können. Die geöffnete Tür, die im Grunde immer vor uns ist, egal ob wir sie sehen oder nicht, ob wir durch sie hindurchgehen oder sie ignorieren, diese geöffnete Tür ist das größte Geschenk, das wir im Leben haben können; ein Geschenk, das uns niemand wegnehmen kann.

 

Es kann sein, dass wir manchmal nicht wissen, wohin die Tür uns führen wird, obwohl wir sie als Licht und Wärme erkennen. In solchen Fällen sollten wir mit Geduld warten und am besten warten und beten. Die Gemeinde in Philadelphia konnte wahrscheinlich das tun, in Zeiten, in denen sie nicht wusste, wie es weitergehen könnte. Und so lesen wir im Brief: „Weil du das Wort vom standhaften Ausharren auf mich bewahrt hast“.

 

Liebe Gemeinde, Gott ist die geöffnete Tür in unserem Leben. Und Gott kommt durch viele geöffnete Türen zu uns. Und wir können darauf auf unterschiedliche Weise reagieren. Wir können die geöffnete Tür ignorieren und es vorziehen, in geschlossenen Räumen zu bleiben, weil uns der Mut fehlt, durch die Tür zu gehen. Oder, wir können durch die Tür gehen und so in den vielen und mühseligen, heiklen Situationen des Lebens ausharren.

 

Der Verfasser des Briefes schreibt weiterhin an die Gemeinde: du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet, obwohl du kleine Kraft hast. Diese Aussage ist, liebe Gemeinde, auch für uns heute wichtig, denn nicht nur die Menschen in Philadelphia hatten kleine Kraft, sondern weil wir alle mit kleiner Kraft zu Gott kommen. Das heißt, nur wenn wir uns bewusst sind, dass unsere Kraft klein ist, dass wir eigentlich nicht viel machen oder vieles ändern können, erst dann dürfen und können wir zu Gott kommen, erst dann erkennen wir, dass wir Gott brauchen und Gott wird dann alles vollbringen, was in uns und für uns fehlt.

 

Das heißt auch, dass wir selber aufgerufen sind zu Gott zu kommen, nämlich durch die geöffnete Tür zu gehen. Denn was kann eine geöffnete Tür in unserem Leben ausrichten, wenn wir nicht durch sie hindurchgehen? Also wenn Gott zu uns kommt, sollen wir auch auf Gott zugehen und somit bewahren wir das Wort Gottes, auch mit unserer kleinen Kraft.

 

Und wenn wir Gottes Wort bewahren, dann wird Gott uns in der Stunde der Versuchung bewahren, so sagt uns der Predigttext. Man könnte auch sagen: Das Wort, das wir im Herzen bewahren, wird uns in der Stunde der Versuchung bewahren. Und jeder von uns, liebe Gemeinde, kann die Stunde der Versuchung anders erkennen und erfahren. Aber wir wissen, dass sie da ist, die Stunde, in der wir anfangen, uns zu fürchten, zu zögern, unser Vertrauen auf Gott zu verlieren, der Moment, in dem wir das Wort aufgeben oder es verleugnen, um uns der Welt und ihren Ansprüchen anzupassen. Aber Gott gibt uns, liebe Gemeinde, durch die vielen geöffneten Türen die nötige Kraft, aufrecht gegen den Gegenwind zu stehen, gegen all die Sinnangebote unserer Zeit, die doch nicht der Wahrheit und dem Wort Gottes treu sind. In dieser Adventszeit warten wir auf das Kommen Gottes zu uns durch das in der Krippe geborene Kind. Jesus ist in die Welt hineingeboren, er hat ohne Angst gelebt und ist gestorben, obwohl er selbst kleine Kraft in dieser Welt hatte. Wenn wir also ihn im Herzen bewahren, bewahrt er uns in der Stunde der Versuchung.

 

Die vielen geöffneten Türen in unserem Leben sind, liebe Gemeinde, Fenster zum Himmel, lassen Sie uns diese Türe nicht übersehen und sie nicht ignorieren. Die geöffneten Türen sind wie die Kerzen, die uns Licht und Wärme schenken. In unserer heutigen Welt sind immer noch viele Menschen der Verfolgungen und Anfeindungen ausgesetzt und, heute sterben immer noch unschuldige Menschen und Kinder. Lasst uns, liebe Gemeinde, das Wort der Wahrheit, der Liebe und der Barmherzigkeit im Herzen bewahren und nach diesem Wort auch leben, lasst uns auf den Friedensfürsten warten, der von sich selbst sagte:

 

„Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden“ (Joh. 10,9). Amen.

 

 

 

Sylvie Avakian

 

10.12.2023