Der einzige Weg

Der einzige Weg

(1.Petrus 1,18-21)

 

Denn ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, losgekauft worden seid aus eurem nichtigen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blut des Christus als eines makellosen und unbefleckten Lammes.

 

Er war zuvor ersehen vor Grundlegung der Welt, aber wurde offenbar gemacht in den letzten Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn an Gott glaubt, der ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, damit euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott gerichtet seien.

 

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Obwohl Petrus als Verfasser dieses Briefes genannt wird, ist es höchstwahrscheinlich ein Schüler des Petrus, der sich am Ende des ersten Jahrhunderts mit diesem Brief an die neu konvertierten Christen in Kleinasien wendet. Der Verfasser verwendet die Symbolik des Exodus und der dringenden Flucht der Hebräer aus der Knechtschaft, um seine Leser zu ermutigen, ihr ganzes Vertrauen und ihre Hoffnung auf Gott zu setzen.

 

Darüber hinaus fordert der Verfasser im heutigen Predigttext die Leser auf, in ihrem Leben einen völlig neuen Weg zu beschreiten, der sich von den Lebensweisen und Gewohnheiten, die sie von ihren Vorvätern übernommen haben, völlig unterscheidet. Der Apostel beschreibt die früheren Lebensweisen als „nichtig“, also vergeblich und vergänglich, da die Väter wahrscheinlich nur hinter vergänglichen Dingen, hinter Gold und Silber her waren. Der neue Weg aber, der bevorsteht, ist ganz anders, denn er ist durch Jesus Christus möglich geworden. Er ist derjenige, der die Menschen von den alten Lebens- und Denkweisen erlöst. Und so schreibt er: „Denn ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen … losgekauft worden seid aus eurem nichtigen, von den Vätern überlieferten Wandel“.

 

In diesem einen Vers, liebe Gemeinde, ist also die Antwort auf eine sehr wichtige Frage gegeben: Wovon erlöst uns Jesus Christus, den wir ja gemeinhin als Erlöser bezeichnen? Nach dem Predigttext erlöst uns Jesus Christus von den eitlen und sinnlosen Lebens- und Denkweisen unserer Vorfahren und wahrscheinlich auch unserer Zeitgenossen. Und ich meine, dass diese Aussage in gewisser Weise auch für uns und für alle Menschen gilt, unabhängig davon, welcher gesellschaftlichen Gruppe oder Tradition wir oder die Menschen allgemein angehören. Und warum ist diese Erlösung überhaupt wichtig? Auch heute noch folgen wir alle den Wegen, die wir auf die eine oder andere Weise von unseren Vorvätern oder von unserer Gesellschaft geerbt oder übernommen haben. Was ist daran so falsch, dass Jesus uns davon erlösen und retten soll?

 

Wir denken an dieser Stelle auch an die Worte Jesu an die Jünger, die wir in der Schriftlesung gehört haben (Lukas 9,57-62). Als Jesus einen gerufen hat ihm zu folgen, wollte dieser zuerst seinen Vater begraben und Jesus sagte ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben“ und zu einem anderen sagte er: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

 

Und wenn wir die Frage noch einmal stellen: Warum sollte Jesus uns von den Lebens- und Denkweisen unserer Vorfahren erlösen, können wir die Antwort vielleicht erahnen, wenn wir den Vers in einer anderen Übersetzung hören, wo er lautet: „Ihr wisst, dass ihr aus eurer nichtigen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet“.

 

Liebe Gemeinde, den Glauben kann man nicht vererben. Den Glauben muss man selbst leben, ihn selbst entdecken, ihn selbst sein. Man kann nur erben, was vergänglich ist. Und wenn wir Bräuche und Traditionen erben und sie praktizieren, nur weil wir sie geerbt haben, werden sie an Bedeutung und Sinn verlieren. Natürlich können wir das Wort Gottes säen, lehren, erzählen, predigen, aber dann sollen wir hoffen und vertrauen, dass das Wort, das wir gesät haben, von anderen, z.B. von unseren Kindern aufgenommen wird, damit sie es sich zu eigen machen und daran wachsen können. Beim Glauben geht es also nicht darum, einige Gebote, die wir von früheren Generationen geerbt haben, unverändert an die nächste Generation weiterzugeben. Der Glaube zeigt sich im Leben, in Beziehungen, in der Liebe zu anderen, in der Barmherzigkeit und Güte gegenüber den Leidenden, in der Vergebung anderen gegenüber, und all das erfordert Bewegung und Veränderung. Wir können nicht starr, hart und streng bleiben in Situationen, die Fürsorge und Demut erfordern. Daher kann der Glaube nicht unbewegt bleiben. Die Beständigkeit des Glaubens ist die Beständigkeit des Herzens und der Liebe. Und die Liebe erfordert Veränderung und Bewegung.

 

Aus der Lesung aus dem Lukasevangelium können wir ersehen, dass der Ruf zur Selbstvergnügung dem Ruf zur Nachfolge Jesu entgegengesetzt ist. Da steht zum Beispiel der Ruf nach familiären Verpflichtungen oder der Ruf nach gesellschaftlich akzeptablen Handlungen im Gegensatz zum Ruf, Jesus zu folgen. Wenn das Begraben der Eltern als Befolgung des Gebots, sie zu ehren, angesehen wird, dann steht hier der Ruf des Gesetzes gegenüber dem Ruf Jesus, der in die Nachfolge ruft.

 

Die meiste Zeit, liebe Gemeinde, sind wir vielleicht bereit, einige Übel in unserem Leben aufzugeben, um Jesus nachzufolgen, aber durch die Worte Jesu im Lukasevangelium, denen der Wochenspruch entnommen ist, werden wir herausgefordert, bereit zu sein, sogar das aufzugeben, was wir für gut und sogar notwendig halten, was uns jedoch daran hindert, Jesus treu nachzufolgen.

 

Vielleicht bezieht sich das Bild, die Hand an den Pflug zu legen und nicht zurückzublicken, auf die Notwendigkeit, nicht auf all die ‚guten‘ Dinge in unserem Leben zurückzublicken, wie Familie und Freunde, Annehmlichkeiten und all die ‚erfolgreichen‘ Programme, die wir geschafft haben, sowie auf all die ‚Sünden‘ in unserem Leben, die von Christus vergeben wurden. Liebe Gemeinde, wir dürfen weder bei unseren vergangenen ‚Sünden‘ verweilen noch uns mit unseren vergangenen ‚Erfolgen‘ rühmen, wenn wir Jesus auf dem Weg nachfolgen wollen.

 

Wenn wir auf den Kontext dieses Briefes zurückkommen, sehen wir, dass es für die nichtjüdischen Konvertiten sehr schwierig gewesen sein muss, sich von allem abzuwenden, was ihnen seit ihrer Geburt wichtig war. In ihrem griechisch-römischen Umfeld des ersten Jahrhunderts war die Altertümlichkeit einer Tradition das grundlegende Kriterium für ihre Authentizität. Je weiter man den Ursprung einer Überlieferung in die Vergangenheit zurückverfolgen konnte, desto legitimer wurde sie. Menschen, die all das aufgaben, was ihre Kultur als gut und wahr angesehen hatte, und dies für die Werte einer neuen Gemeinschaft mit einem von der Obrigkeit hingerichteten Erlöser, wären in den Augen derjenigen, die „im Haus“ lebten, als schierer Wahnsinn angesehen worden.

 

Doch genau dazu sind wir als Nachfolger herausgefordert. Das Gegenteil von Rückwärtsgewandtheit ist vorwärts schauen, und das ist eine ziemliche Herausforderung. Die Menschen scheinen eher damit zufrieden zu sein, auf das zu schauen, wo sie jetzt sind, z.B. auf die Rechnungen, die in diesem Monat eingegangen sind, oder auf die Vergangenheit, nämlich dorthin, wo sie einmal waren, z.B. ‚die gute alte Zeit‘. Wir sind aber herausgefordert nach vorne zu schauen, wo wir in den kommenden Tagen oder in der kommenden Zeit sein könnten; eine Vision davon zu haben, wohin Gott uns bringen will, und uns dann auf dieses Ziel zuzubewegen.

 

Wissen Sie, was die größte Schwierigkeit ist, mit der alle Neuankömmlinge in einer Gesellschaft konfrontiert werden, wenn sie sich in die Gesellschaft integrieren wollen? Es ist die Unmöglichkeit, zur Vergangenheit der Gesellschaft zu gehören, in der sie angekommen sind. Die Neuankömmlinge an einem Ort können die Vergangenheit der Menschen nicht feiern, sie haben keine Chance, Teil der Vergangenheit zu sein. Sie können nicht an der Vergangenheit teilhaben, weil es diese Ereignisse nicht mehr gibt. Sie können nur an der Gegenwart und der Zukunft einer Gesellschaft teilhaben, nämlich an dem, was ist und was sein wird. Wenn wir also Jesus folgen wollen, sollen auch wir nach vorne schauen, denn dort ist Jesus. Jesus geht uns immer einen Schritt voraus und bleibt nie in der Vergangenheit, so dass er uns nicht nur begleiten, sondern auch führen kann.

 

„Denn ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, losgekauft worden seid …, sondern mit dem kostbaren Blut des Christus.“

 

Das Unvergängliche ist das Wort Gottes, ist Jesus Christus. Auf ihn wollen wir schauen, damit unser Glaube und unsere Hoffnung auf Gott gerichtet sind.

 

Denn Jesus Christus ist der Weg. Im Gegensatz zu diesem einen und einzigen Weg gibt es in der Welt viele andere Wege, für die alles legitimiert ist, selbst Gesetze und Vorschriften können missbraucht oder manipuliert werden. Liebe Gemeinde, Jesus Christus ist der einzige Weg und doch ist er der Weg für alle Menschen vom Beginn der Schöpfung bis heute. Und deshalb gelten die Worte Jesu im Johannesevangelium für uns alle: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich“. (Johannes 14:6). Amen.

 

 

Sylvie Avakian

 

03.03.2024