Hoffnung nur auf Gott

Hoffnung nur auf Gott

(Jesaja 9,1-6a)

 

 

Das Volk, das in der Finsternis wandelt, hat ein großes Licht gesehen; über den Bewohnern des Landes der Todesschatten ist ein Licht aufgeleuchtet.

Du hast das Volk vermehrt, hast seine Freude groß gemacht; sie werden sich vor dir freuen, wie man sich in der Ernte freut, wie [die Sieger] jubeln, wenn sie Beute verteilen.

Denn du hast das Joch zerbrochen, das auf ihm lastete, und den Stab auf seiner Schulter, und den Stecken seines Treibers …

Denn jeder Stiefel derer, die gestiefelt einherstapfen im Schlachtgetümmel, und jeder Mantel, der durchs Blut geschleift wurde, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben …

 

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Liebe Gemeinde, im heutigen Predigttext werden zwei verschiedene Lagen der menschlichen Realität in der Welt gegenübergestellt. Einerseits spricht der Text von Menschen, die in der Finsternis wandeln. Und andererseits lesen wir, dass diese Menschen, die in der Finsternis wandeln ein großes Licht sehen. Aber was ist damit gemeint, dass Menschen in der Finsternis wandeln? Und was könnte das Licht sein, das über den Bewohnern des Landes der Todesschatten aufleuchten wird? Wenn wir versuchen, uns Menschen in der Dunkelheit vorzustellen, kommt uns vielleicht als erstes eine Kriegssituation in den Sinn, denn in einem Krieg ist alles Böse denkbar, und das Böse kann sich ungehindert ausbreiten. Dem entsprechen auch Hinweise auf den Krieg im Kontext des Predigttextes, in dem die Finsternis mit allen Sinnen erfahrbar ist. Der Soldatenmantel stinkt nach dem Blut der Erschlagenen und das Joch und der Schlagstock haben Striemen auf der Haut der Unterworfenen hinterlassen. Aber verschwindet das Böse, wenn es keinen Krieg gibt? Kann man wirklich sagen, dass das Böse in friedlichen Ländern, die durch Gesetze und Regeln regiert werden, keinen Platz hat?

 

Wahrscheinlich nicht. Staatliche Gesetze und Schutzsysteme können nicht gewährleisten, dass wir uns keine Sorgen um das Böse machen müssen. Denn das Böse hat viele Formen, vor denen Gesetze und staatliche Sicherheitsvorkehrungen nicht schützen können. Formen des Bösen sind z. B. böse Absichten, die sich sogar hinter „scheinbar“ guten Werken verbergen.

 

Natürlich lässt eine Kriegssituation die Dinge einen unvorhersehbaren Lauf nehmen, aber das Böse ist da und ein Leben mit Regeln und Gesetzen garantiert nicht, dass Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und auch in der Politik, wo viele mächtige Herrscher alles tun, um mehr Macht zu erlangen, verschwindet. Das Böse hat also viele Strategien, um Gesetze zu umgehen und sein Ziel zu erreichen, und wenn es sich dazu schönen und eleganten Gewändern zeigt.

 

Deshalb stellt sich mir nun die Frage: Was ist das aufgehende Licht, dass in der Finsternis leuchtet? Im historischen Kontext des Bibeltextes symbolisierte das Licht vielleicht die Hoffnung auf einen König, der die Israeliten aus Krieg und Gefangenschaft retten und das eroberte Königreich Israel wiederherstellen würde. Wenn wir aber diese alttestamentlichen Verheißungen heute als weihnachtlichen Text lesen, erkennen wir, dass das Licht für eine Hoffnung steht, die jede weltliche Hoffnung überschreitet. Ich würde sagen, dass es das Licht Christi für uns ist, der Christus, der der Retter jedes Menschen ist, denn das Licht und die Hoffnung, die er bringt, sind nicht von dieser Welt. Das Licht und der Friede Christi sind deshalb so besonders, weil sie nicht von dieser Welt sind.

 

Aber brauchen wir das Licht Christi in unserem Leben hier auf der Welt überhaupt, wenn für uns gerade alles so weit sicher und gut zu laufen scheint? Und wenn ja, wie bekommen wir es?

 

Das Licht Christi, liebe Gemeinde, ist uns bereits gegeben. Das merken wir auch im Text an den Vergangenheitsform der Verben: „Das Volk, das in der Finsternis wandelt, hat ein großes Licht gesehen; über den Bewohnern des Landes der Todesschatten ist ein Licht aufgeleuchtet.“ Ich sehe darin ausgedrückt, dass das Licht Christi den Menschen seit dem Tag der Schöpfung gegeben ist und in der menschlichen Fähigkeit besteht, Gott zu suchen und Gott zu finden. Und Gott ist, liebe Gemeinde, kein herrschsüchtiger Gott, sondern ein Gott, der uns von jeder Unterdrückung befreit. Und so schreibt Jesaja: „Denn du hast das Joch zerbrochen, das auf [uns] lastete“. Wenn wir wissen wollen wie Gott ist, dürfen wir auf ein machtloses Kleinkind schauen und erkennen, dass Gott Liebe ist, dass Gott uns Liebe schenkt, damit auch wir lieben können. Und wir Christen sehen in Jesus den Christus, der uns zu Gott bringt.

 

Das Licht Christi, liebe Gemeinde, hat die Kraft, in jedem Herzen zu leuchten. Es wählt das Herz des Menschen aus, um dort Wohnung zu nehmen, und zwar in jedem Herzen, das bereit ist, es zu empfangen.

 

Das Licht Christi, das in der ganzen Schöpfung verbreitet ist, kommt also nicht nur von außen zu uns. Wir müssen danach suchen und werden es finden. Vielleicht sollen wir zuerst auf die Stimme Gottes in uns hören. Manchmal können wir sie als unser Gewissen bezeichnen, manchmal ist es nur ein Gefühl, das wir haben. Und manchmal kommen wir durch Worte, die wir hören oder lesen, zu diesem Licht. Und auf all diesen Wegen, auf denen das Licht zu uns kommt, erkennen wir, dass das Licht Christi Weisheit ist, es ist Wachsamkeit, Güte, Liebe, Freundlichkeit und Demut, es ist Gerechtigkeit und Frieden. Vielleicht ist es am besten, wenn wir jeden Tag beten, um bewusst im Licht Christi zu leben, vielleicht mit ähnlichen Worten: Komm, Jesus Christus, und wohne in mir und sei eins mit mir. Nimm meine Ängste, meine Sorgen, nimm meine Selbstbezogenheit und hilf mir, ohne Angst zu sein, so zu leben, dass ich den guten Weg mit der Entschlossenheit gehe, die du mir gibst, und darauf zu bestehen, dein Licht in meinem Leben mit Beharrlichkeit zu bewahren und in Zeiten der Dunkelheit nicht aufzugeben.

 

In der Welt werden wir oft auf ungerechte Situationen stoßen, selbst in unserer Welt, von der wir vielleicht denken, dass sie tadellos ist. Aber das Böse findet seine Wege. Sodass wir immer beten dürfen: Gib uns Christus, Wachsamkeit und Mut, damit wir jeden Tag in deinem Licht wandeln können.

 

Der heutige Predigttext verkündet: Die Zeit des Elends ist zu Ende, Gott selbst wendet sich seinem Volk zu. Daher ist die neue Zeit der Erlösung Gott zu verdanken. Es geht nicht mehr um die Errichtung eines weltlichen Königreichs unter der Führung eines weltlichen Königs, sondern um die anbrechende Zeit der Erlösung selbst, die Gott beginnen lässt.

 

Die Wachsamkeit, die uns das Licht Christi schenkt, hilft uns, kritisch zu sein, kritisch gegenüber allen Machtansprüchen dieser Welt. Und das Buch Jesaja ist offensichtlich politisch kritisch. Davids Thron wird nicht mehr von einem menschlichen König, sondern von Gott selbst eingenommen. So werden dem Kind im poetischen Hymnus göttliche Namen gegeben, die keinem Menschen gehören: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst.

 

Das Wunder von Weihnachten, liebe Gemeinde, leitet uns dazu an, dass wir unsere Hoffnung nicht auf Menschen und nicht auf die Mächtigen dieser Welt setzen, sondern allein auf Gott, einen Gott, der zu uns kommt durch ein kleines hilfsbedürftiges Kind. Der heutige Predigttext lädt uns zu einem Prozess ein, der uns von der Hoffnung auf bestimmte Führungspersönlichkeiten, was dem Wandeln im Finsternis entspricht, zur Hoffnung auf Gott leitet. Dieselben Menschen, die in der Dunkelheit wandelten, haben das Licht gesehen. Und auch wir sind aufgerufen, das Licht zu sehen.

 

Lasst uns, liebe Gemeinde, nur Gott unser Leben regieren lassen, nur Gottes Licht, nur Gottes Frieden, durch die Liebe, damit nicht die Finsternis das letzte Wort hat, sondern das Kind in der Krippe und das Licht, das von ihm ausgeht. Amen.

 

Sylvie Avakian

 

24.12.2024