Das Wort Gottes und der neue Anfang
(1.Mose 1,1-4a. 26-28.31a)
Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer, und es lag Finsternis auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich; die sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde, auch über alles Gewürm, das auf der Erde kriecht! Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie; und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, das sich regt auf der Erde!
Und Gott sah alles, was er gemacht hatte; und siehe, es war sehr gut.
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Die Schöpfungsgeschichte, liebe Gemeinde, ist die Geschichte eines Neuanfangs, eines neuen Lebens. Es geht nicht darum, genau zu erzählen, „was“, „wann“ und „wo“ alles geschehen ist. Deshalb fragen wir heute nach dem Sinn und der Botschaft dieser Erzählung. Im heutigen Predigttext lesen wir, dass Gott alles durch das Wort geschaffen hat: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ Vielleicht bedeutet dies, dass Worte wichtig sind, so wichtig, dass sie Neuanfänge möglich machen.
Für uns ist die Bibel ein Buch, das viele Worte enthält, gute Worte, sodass wir die Bibel sogar „das Wort Gottes“ nennen. Und wir sagen auch, dass Jesus Christus selbst das Wort Gottes ist. Auf dieser Grundlage möchte ich heute die Auferstehung Christi aus einer neuen Perspektive betrachten. Wenn Jesus Christus das Wort Gottes ist und wenn er gestorben, aber auch auferstanden ist, dann bedeutet das, dass das Wort nicht stirbt, sondern heute in uns, in jedem einzelnen von uns, weiterlebt. Denn wo sollte das lebendige Wort wohnen, oder verweilen, wenn nicht in uns? Daher ermöglicht uns die Auferstehung Christi, also das auferstandene Wort in uns, immer wieder einen Neuanfang, egal wo wir sind, egal wie alt wir sind, egal ob wir krank oder gesund sind, Mann oder Frau, jung oder alt – das auferstandene Wort lebt in uns, liebe Gemeinde, und ermöglicht Neuanfänge. (Im Lichte dieser Bedeutung kann man den Text erneut lesen.)
Das neue Leben, das wir anstreben, ist dann ein gutes Leben, ein gutes Leben für alle (im Glaubensbekenntnis sprechen wir von einer Gemeinschaft der Heiligen), ein Leben, in dem Freiheit und Gerechtigkeit möglich sind, ein Leben, in dem das Licht alle Finsternis überwindet und jeder Mensch in Ehre und Würde sein kann, befreit von allen Zwängen, von Ängsten, von Ausgrenzung und Schmerz. Das ist unsere Hoffnung, liebe Gemeinde, das ist unser Traum, und wir sollen unseren Traum nicht aufgeben.
Was ich heute sagen möchte, ist, dass ein Neuanfang, ein Anfang von etwas Gutem, wie wir im Predigttext lesen, oder der Mut, etwas Neues zu beginnen, uns von Gott gegeben ist. So möchte ich Vers 26 verstehen. Dort lesen wir, dass Gott den Menschen als sein Ebenbild in die Welt gestellt hat. Und wir haben das Wort Gottes in uns. Der Mensch ist also aufgerufen, an Gottes Schöpfungswerk mitzuwirken und selbst Neuanfänge zu wagen.
Aber wie kommt es zu einem Neuanfang in unserem Leben?
Und man kann hier auch fragen: Warum brauchen wir solche Neuanfänge? Warum hören oder predigen wir von einer neuen Schöpfung? Die Antwort lautet: Weil nicht alles perfekt ist und es daher immer wieder notwendig ist, das Werk der Schöpfung fortzusetzen. In unserem Glaubensleben können wir uns nicht mit der Überzeugung zufrieden geben, dass wir alles richtig machen. Der Glaube ist etwas Großes, er besteht nicht nur aus mir und Jesus. Wenn ich also heute bete, ist dann alles in Ordnung? Das Gute, nach dem wir streben, ist, dass die gesamte Schöpfung sich auf das zubewegt, was wir das Gute oder Gott nennen.
Und wenn wir uns Zeit nehmen, darüber nachzudenken, werden wir erkennen, welche neuen Anfänge wir in unserem Leben ermöglichen können. Vielleicht ist es eine zerbrochene Beziehung zu jemandem, an deren Versöhnung wir arbeiten können. Vielleicht ist es ein Hobby, das wir einmal hatten, aber aus Zeitmangel oder mangelnder Lust aufgegeben haben. Vielleicht ist es ein Nachbar, von dem wir wissen, dass er Hilfe braucht, aber wir haben uns noch nicht entschlossen, ihm zu helfen. Oder vielleicht betrifft es direkt unser Leben, unsere Gesundheit, wir wissen, dass wir etwas Gutes tun können, aber wir schieben es immer wieder auf.
Ein neuer Anfang, liebe Gemeinde, findet im Wesentlichen und zunächst im Herzen des Menschen statt.
Alle anderen Anfänge sind äußere Erscheinungen, vielleicht äußere Veränderungen eines Ortes, eines Hauses, oder eines Autos. In diesem Sinne sind sie meist eine Fortführung des Alten, sofern die Veränderung nicht im Herzen stattgefunden hat. So kann es sein, dass man an einen neuen Ort zieht, ein neues Haus baut, einen neuen Garten anlegt, aber wenn der neue Anfang nicht im Herzen geboren worden ist (wo das Wort wohnt), ist er nichts anderes als die Fortsetzung des alten Lebens, des alten Charakters und der alten Gewohnheiten. Andersherum ist es aber oft so, dass es von außen anfangs vielleicht gar nicht bemerkt wird, dass ein Neuanfang im Leben eines Menschen stattgefunden hat. Denn ein Neuanfang ist das Ergebnis davon, dass das Wort Gottes unser Herz berührt und uns von innen heraus verändert. Eine solche Veränderung geschieht in aller Stille. Sie braucht keine Werbung, sie muss sich nicht beweisen. Sie ist einfach da. Und oft ist es so, dass andere diese Veränderung nicht sofort erkennen können oder vielleicht nicht sehen wollen, sie nicht befürworten, da Neuanfänge oft auch ungewohnt sind und deshalb auf viele Hindernisse stoßen.
Dennoch sollen wir Neuanfänge wagen. Doch in unserem Leben, in dem uns täglich viele Worte und Stimmen auf uns einreden, ist es gar nicht so einfach, Gottes Wort herauszuhören. Viele widersprüchliche Stimmen melden sich zu Wort, Stimmen, die Meinungen gegen andere Meinungen stellen. Es gibt eine rhetorische Redeweise, die allgemein bekannte Gefühle und Bilder verwendet, um die Menschen zu erreichen und ich meine, diese Stimmen wirken unserer Kreativität und der Möglichkeit eines Neuanfangs völlig entgegen. Diese Art der rhetorischen Rede richtet sich an Menschen und macht sie zu Followern und Anhängern der vertretenen Ansichten. Diese Art von Rhetorik ist nicht neu und wird nicht nur in den sozialen Medien eingesetzt, sondern seit jeher in der Politik auch verwendet, in der die Menschen ebenfalls angesprochen und als Anhänger gewonnen werden sollen, die einfach dem folgen, was attraktiv und mächtig zu sein erscheint.
Im Gegensatz dazu stellt das Wort Gottes für uns immer wieder eine Herausforderung zum Nachdenken und zur Veränderung dar, eine Herausforderung einen neuen Anfang zu wagen. Und wir müssen aufmerksam zuhören und unterscheiden können zwischen dem, was wahrhaftig unser Herz und unseren Verstand anspricht und dem, was uns zu bloßen Anhängern macht.
In der Schriftlesung haben wir von der Weisheit gehört, oder besser gesagt: Die Weisheit spricht dort.
„23 Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, vor dem Anfang, vor den Ursprüngen der Erde.
24 Als noch keine Fluten waren, wurde ich geboren, als die wasserreichen Quellen noch nicht flossen.“
Weisheit kommt, liebe Gemeinde, aus dem Wort Gottes, aus dem Lesen des Wortes, aus dem Nachdenken über das Wort, aus dem Ernstnehmen des Wortes und dem Glauben daran, denn das Wort war da am Anfang von allem.
Und das können wir überall um uns herum sehen. Es gibt Weisheit im Leben, in der Schöpfung, in der Natur, in allem. Und die Bibel sagt uns, dass nur Menschen, neben Gott, diese Weisheit haben. Nur Menschen sind nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, und nur Menschen können die Worte hören, sie verstehen und sie nutzen, um etwas Neues zu schaffen.
Nach dem Tod Jesu waren alle seine Jünger verzweifelt. Sie dachten, es gäbe nichts mehr zu tun. Und doch war es dieses auferstandene und lebendige Wort, das die Jünger von Emmaus nach dem Tod Jesu nach Jerusalem zurückkehren ließ, wo sie gemeinsam mit anderen Jüngern zu predigen begannen und anderen die frohe Botschaft von der Auferstehung Christi verkündeten.
Somit ist die Botschaft des Evangeliums für uns heute, liebe Gemeinde, ein ermutigendes Wort. Es ist ein Wort des Trostes, der Freude, der Hoffnung, dass neue Anfänge möglich sind, egal ob klein oder groß.
Lasst uns keine Angst vor Veränderungen haben. Lasst uns nicht davor zurückschrecken, über die Worte nachzudenken und unsere eigene Meinung zu haben. Das Wort Gottes macht uns nicht zu Mitläufern ohne eigene Meinung, wie es die Welt oder die Mächtigen dieser Welt mit anderen zu tun versuchen.
Im Gegenteil, das Wort Gottes ist für uns eine Quelle der Weisheit, damit wir Gutes sagen, denken und tun und stets auf eine neue Schöpfung hinarbeiten können. So können wir mit Zuversicht sagen, dass das auferstandene und lebendige Wort bei uns und in uns ist und uns jeden Tag mit Weisheit erfüllt.
„Bleibt in mir, und ich [bleibe] in euch!“ (Johannes 15,4) sagte Jesus. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu geworden!“ (1.Korinther 5,17) Amen.
Sylvie Avakian
11.05.2025