Der Geist Gottes: Die Liebe, die in uns brennt

Der Geist Gottes: Die Liebe, die in uns brennt 

(Johannes 14,15–19. 23b–27)

 

Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote! Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch bleibt in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie beachtet ihn nicht und erkennt ihn nicht; ihr aber erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück; ich komme zu euch. Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich; weil ich lebe, sollt auch ihr leben! …

 

Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort befolgen, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Wer mich nicht liebt, der befolgt meine Worte nicht; und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat. Dies habe ich zu euch gesprochen, während ich noch bei euch bin; der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 

 

Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch; euer Herz erschrecke nicht und verzage nicht!

 

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Jesus spricht diese Worte zu seinen Jüngern vor seinem Tod und nimmt damit in gewisser Weise seinen eigenen Tod und die damit verbundene Verzweiflung und Bedrängnis seiner Jünger vorweg. Er möchte sie trösten und ermutigen, auch nach seinem Tod weiterhin nach seinen Worten zu leben. Als Tröster und Helfer für die Jünger spricht Jesus vom Geist Gottes, der auch in den ersten Zeilen des Predigttextes als „Paraklet“ [παράκλητος] Beistand, Helfer, Fürsprecher, Tröster, und Geist der Wahrheit bezeichnet wird.

 

Das war aber auch die Hauptaufgabe Jesu: den Menschen zu helfen, zu erkennen, dass sie Kinder eines liebenden Gottes sind, und ihnen dadurch Mut und Trost zu spenden. Aber Jesus als Mensch war an eine physische Realität gebunden, die ihre Grenzen hat. Jesus konnte nicht für immer bei den Jüngern bleiben, aber der Geist Gottes, der in den Jüngern wohnt, kann es. Der Geist ist also eine Hilfe für die Jünger, und wir können sagen, liebe Gemeinde, dass der Heilige Geist, der Gott in uns ist, auch heute eine Hilfe für uns ist. Der Geist Gottes, der uns zuteilwird und in dessen Namen wir getauft sind, macht uns bewusst, wer wir sind. Der Geist hilft uns, uns der Gnade Gottes bewusst zu werden, und hilft uns manchmal, uns selbst zu verzeihen, um immer wieder neu anfangen zu können. Wenn Sie möchten, können wir sagen, dass wir den Geist Gottes immer brauchen. Ohne ihn sind wir auf uns allein gestellt mit unseren begrenzten Kräften und unserer oft fehlbaren Natur.

 

Dieser Helfer oder Beistand, nämlich der Heilige Geist, ist jedoch für die Welt unsichtbar. An dieser Stelle wird mir eine wesentliche Eigenschaft eines Helfers bewusst. Ein Helfer hilft nicht, um gesehen oder gewürdigt zu werden, sondern um die Wahrheit eines anderen Menschen erkennbar und sichtbar zu machen. Dies, liebe Gemeinde, ist oft der schwierigste Teil jedes Dienstes, den wir für andere leisten. Denn wir werden immer wieder der Versuchung ausgesetzt sein, unseren Dienst als etwas zu betrachten, das uns selbst Anerkennung verschafft. Dabei ist es doch das wichtigste Ziel jedes Dienstes, dazu beizutragen, dass die Wahrheit der anderen erkennbar wird oder Raum erhält.

 

Das ist aber auch zugleich eine sehr anspruchsvolle Aufgabe in einer Welt, die die Wahrheit meist verdeckt, damit alles nach den Plänen und zum Vorteil einiger weniger läuft, ohne Rücksicht auf die Wahrheit anderer. Eine solche Missachtung der Wahrheit anderer können wir jeden Tag in der Welt erleben, zum Beispiel einfach, wenn wir die Nachrichten hören, und es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass dies jeden Augenblick geschieht. Die Welt kann den Geist nicht empfangen, „denn sie beachtet ihn nicht und erkennt ihn nicht,“ sagt Jesus. Der Geist kann nicht dort wohnen, wo Menschen ständig versuchen, sich auf Kosten anderer durchzusetzen, wo die Wahrheit verborgen gehalten wird. Der Geist kann nicht dort wohnen, wo Stolz immer das letzte Wort hat. Denn der Geist kann nicht egozentrisch oder selbstsüchtig sein. Wir können dies verstehen, weil der Geist seinem Wesen nach nichts Konkretes ist, das man sehen, anfassen oder beweisen kann. So kann die Welt den Heiligen Geist nicht empfangen, aber die Jünger können es, denn der Geist wohnt bei ihnen. Bedeutet das, dass auch wir heute den Geist erkennen und empfangen können, wenn wir es wollen? 

 

Hier spricht Jesus von Liebe und vom Befolgen seiner Worte: „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote! … Wer mich nicht liebt, der befolgt meine Worte nicht“. Es ist die Liebe, die das Wohnen des Geistes in uns möglich macht. Die Jünger Jesu liebten Jesus. In ihren Herzen war bereits ein Platz für ihn geschaffen worden. Dort könnte der Heilige Geist wohnen. Wie steht es mit uns? Manchmal kommen wir, liebe Gemeinde, durch die Stille zum Geist, aber oft durch Worte; Worte, die uns helfen zu lieben.

 

Es gibt also eine Gemeinsamkeit zwischen Liebe und dem Geist. Beide zielen darauf ab, die Wahrheit eines anderen zum Vorschein zu bringen. Und deshalb ist der Geist mit Liebe verbunden, denn wenn wir lieben, schaffen wir Platz für andere in unserem Leben.

 

Es ist, als würde Jesus sagen, dass Liebe der Schlüssel ist. Wenn du liebst, schaffst du Raum in dir selbst, in deinem Herzen. Wenn du Jesus liebst, hast du bereits Raum im Herzen für den Heiligen Geist, der der Geist Jesu Christi ist. Wir können also sagen, dass jemand, der jemanden aufrichtig liebt, bereits Raum im Herzen für den Geist Gottes hat. Denn die Liebe kann nicht hassen, kann nicht überheblich sein. Vielmehr schafft die Liebe ihrem Wesen nach Raum für andere. Und genau dort, in der Bereitschaft, Raum für andere zu schaffen, wohnt der Geist. 

 

Der Heilige Geist ist daher vergleichbar mit der Liebe, die in uns brennt, die für die Wahrheit und für den Frieden brennt. Und so lesen wir, dass Jesus, der auch seine Jünger liebte, von seinem Tod spricht und dafür sorgt, dass die Jünger den Geist und den damit verbundenen Frieden empfangen können.

 

Und wenn ich an Erzählungen über Menschen aus der Bibel denke, die mit dem Heiligen Geist gelebt haben, denke ich neben Jesus an Josef (im Alten Testament), der in vielen Lebensphasen mehrfach mit dem Verlust von allem konfrontiert war, sogar mit dem Verlust seines Lebens, als seine Brüder ihn an die Ägypter verkauften und später wegen einer Verfehlung, die er nicht begangen hatte, in Ägypten ins Gefängnis geworfen wurde. Aber er konnte immer durchhalten, er fand die Kraft zum Durchhalten, und ich würde sagen, er fand sie im Heiligen Geist. In seinem sehr armen Leben konnte er vielen Menschen und sogar seinen Brüdern Raum geben, indem er sie geliebt und ihnen verziehen hat. 

 

Etwa fünfzig Tage nach dem Tod Jesu lesen wir in der Bibel, dass die Jünger beunruhigt und verängstigt waren und sich vor den Behörden versteckten, die Jesus zum Tode verurteilt hatten. Dort wird das Kommen des Geistes als Feuerzungen beschrieben. Wir haben die Geschichte in der Schriftlesung gehört. In dieser Erzählung hilft der Heilige Geist den Jüngern, ihre Angst zu überwinden und die frohe Botschaft zu verkünden, die Jesus gebracht hatte, damit sie sein Werk und seine Botschaft fortsetzen konnten. Und wir erkennen, dass der Geist immer mit Bildern beschrieben wird, weil er keine konkrete Form hat, daher waren Bilder irgendwie wichtig. Und hier kommt das Bild des Feuers als Symbol für den Geist. Der Geist brennt in uns, ähnlich wie die Liebe, die auch im Herzen des Menschen brennt.

 

Der Heilige Geist hat jedoch nicht viel mit übernatürlichen Ereignissen zu tun, die durch angebliche übernatürliche Kräfte verursacht werden. Vielmehr wirkt der Heilige Geist in Demut und Schlichtheit. Seine Kraft offenbart sich in der Selbstentäußerung, in der Überwindung des Stolzes und in der Herstellung des Friedens. Lasst uns, liebe Gemeinde, nicht zögern, den Geist zu empfangen. Denn alles wird vergehen, aber die Liebe „bleibt in Ewigkeit“.

 

Vielleicht ist es am besten, diese Predigt mit den Worten Jesu an Martha zu schließen, die sich bei Jesus darüber beschwerte, dass Maria nicht viel im Haushalt tat, sondern nur dasaß und den Worten Jesu lauschte. Und Jesus sprach zu ihr: „Martha, Martha, du machst dir Sorge und Unruhe um vieles; eines aber ist Not. Maria … hat das gute Teil erwählt.“ (Lukas 10,41-42) Amen.

 

Sylvie Avakian

Matthäuskirche, 08.06.2025